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Einflussnahme der Pharma-Industrie


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"Ghost Management" der Pharmaindustrie: Stammen viele wiss. Veröffentlichungen aus der Feder von Marketingfirmen?

Artikel 0945 20-40 Prozent aller Veröffentlichungen in medizinischen Fachzeitschriften über Arzneimittelstudien werden vermutlich nicht von den im Artikel genannten Autoren, sondern von kommerziellen Unternehmen geplant und geschrieben. Geschäftsziel dieser Firmen, von denen es allein in den USA vermutlich einige hundert gibt, ist das Marketing für Arzneimittel auf dem Weg über wissenschaftliche Publikationen und Workshops, wobei die tatsächlichen Ghostwriter und ihre zahlreichen Zuarbeiter im Verborgenen bleiben. Zu dieser Aussage kommt ein jetzt in der Zeitschrift "PLOS Medicine" veröffentlichter Artikel, der auch deutlicht macht, dass auch unabhängige Meta-Studien und Übersichtsreferate auf diese Weise mitbeeinflusst werden und unwissentlich das verborgene Marketing der Pharmaunternehmen für ihre Produkte mit befördern.

Anfang 2007 enthüllten dänische, britische und kanadische Wissenschaftler, dass bei einer Vielzahl von Arzneimittelstudien "Ghost-Writer" beteiligt sind, Personen, die bei den Hersteller-Firmen beschäftigt sind und nachweislich an den Studien beteiligt waren, aber nicht als Mitautor der Studie genannt werden (vgl. Autorenlisten wissenschaftlicher Aufsätze als vierte Stufe der Lüge? Arzneimittelstudien zwischen Geist und Ghostwritern). Über eine noch subtilere und zugleich in weitaus größerem Umfang realisierte Form der Einflussnahme von Pharma-Unternehmen auf wissenschaftliche Veröffentlichungen berichtet jetzt die Open-Access-Zeitschrift "PLOS Medicine": Das "Ghost Management". Einige hundert Unternehmen mit Tausenden von Mitarbeitern sind demzufolge im Auftrag von Pharma-Unternehmen hauptsächlich damit beschäftigt, die Veröffentlichung von Artikeln über Arzneimittelstudien in wissenschaftlichen Zeitschriften zu lancieren. Solche Firmen wie "Current Medical Directions" oder "Complete Healthcare Communications (CHC)" planen minutiös Veröffentlichungen, Workshops und Werbe-Aktivitäten, erstellen in Kooperation mit Bibliothekaren Referate und Zeitschriftenaufsätze und versprechen Pharma-Unternehmen auf diese Weise, "das Vertrauen von Ärzten in Ihre Markenprodukte zu maximieren". Der Slogan von CHC auf der Homepage: "CHC - The Leader in Strategic Publication Planning to Maximize Prescriber Confidence in Your Brands".

In welchem Umfang wird heute von der Pharma-Industrie für die Publikation ihrer klinischen Studien in medizinischen Fachzeitschriften auf ein Ghost-Management zurück gegriffen? Da die geschäftlichen Verbindungen zwischen Firmen, die allein auf pharmazeutisches Marketing durch wissenschaftliche Publikationen spezialisiert sind und auftraggebenden Pharma-Unternehmen fast immer geheim bleiben, fällt eine präzise Antwort auch Sergio Sismondo, Pfofessor an der Queen's University in Ontaria Kanada, dem Autor des Aufsatzes in PLOS-Medicine, nicht leicht.

Einige Hinweise hat er jedoch zunächst gefunden im Rahmen eines Prozesses Ende der 90er Jahre, an dem der Arzneimittelhersteller Pfizer und die Marketing-Firma "Current Medical Directions (CMD)" im Zusammenhang des Medikaments "Sertraline" beteiligt waren. Bei diesen Verhandlungen gab es Einsicht in insgesamt 85 wissenschaftliche Manuskripte, in denen über das Medikament berichtet wurde. Ein Großteil dieser Manuskripte stammte wohl von kommerziellen Verfassern und die meisten wurden auch in renommierten Fachzeitschriften veröffentlicht. Eine Literatur-Recherche von Prof. Sismondo zum Suchbegriff "Sertraline" für die Jahre 1998-2000 fand dann knapp 500 Artikel mit diesem Begriff und gut 200 Artikel, in denen der Begriff sogar im Titel auftauchte. Seine Schlussfolgerung war: Etwa 18-40% der wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu diesem Medikament wurde direkt oder indirekt vom Hersteller Pfizer und der Marketingfirma CMD beeinflusst.

Ein weiterer, zumindest qualitativer Hinweis auf die Reichweite des Ghost-Management ergibt sich für den Wissenschaftler aus der Zahl der Firmen, die im Bereich Medizinische Bildung und Kommunikation tätig sind. So fand eine Studie im Jahre 2001 insgesamt 182 solcher Unternehmen, drei Jahre zuvor waren es nur 153 gewesen. (vgl. Gil A. Golden u.a.: Medical education and communication companies: An updated in-depth profile) Eine eigene Internet-Recherche von Prof. Sergio Sismondo brachte es nur auf 23 Treffer, ein Ergebnis, das sich jedoch leicht daraus erklären lässt, dass viele Unternehmen dieses wissenschaftliche Marketing lieber im Verborgenen blühen lassen oder dass dies nur einen Teil ihrer Aktivitäten ausmacht. Damit stimmt auch überein, dass die beiden überaus bedeutsamen, hier schon zitierten Unternehmen CMD und CHC nicht in der Trefferliste des Wissenschaftlers waren.

Die überaus subtilen und hochgradig organisierten Publikationsstrategien der Firmen werden aus ihren eigenen Beschreibungen deutlich, so erklärt eines der MECCs (medical education and communication company) als Ziel: "Produkt-Akzeptanz und -konsum durch die systematische und geplante Verbreitung von Meldungen und Daten an geeignete Zielgruppen, und dies zu den günstigsten Zeitpunkten über die effektivsten Kommunikations-Kanäle". CHC hat nach eigenen Angaben "die Systemvoraussetzungen und Qualifikationen verfeinert, um das intellektuelle Herz des pharmazeutischen Marketing zu entwickeln, die Veröffentlichungs-Planung. Und das Ergebnis für Ihr Produkt? Kontinuierliche Aufmerksamkeit, Interesse und Vertrauen bei verschreibenden Ärzten". Angeboten werden dazu das Management von Artikel-Erstellungen (unter Mithilfe von Bibliothekaren, Layoutern, Statistikern etc.) und ihr Einreichen bei Zeitschriften und Konferenzen. Auf der Website findet man eine Liste mit 10 fiktiven Arzneimittelstudien und dazu zumindest 24 wissenschaftlichen Artikeln, die daraus erstellt werden könnten.

Ein nicht unerheblicher Teil der MECCs ist im Besitz großer Verlagshäuser, zum Beispiel ist "Excerpta Medica" ein Teil des Geschäfts von "Elsevier", "Wolters Kluwer Health" verweist auf seine Zugehörigkeit zum Verlagshaus "Lippincott Williams & Wilkins" mit fast 275 Fachzeitschriften. Die Problematik des Ghost Management liegt nach Ansicht von Prof. Sismondo nicht nur darin, dass die wissenschaftliche Fundierung der Aufsätze bei einer Delegierung an wissenschafts-externe Unternehmung unklar bleibt. Ebenso fragwürdig ist die am Pfizer-Beispiel zum Medikament Sertraline deutlich gewordene quantitative Ballung einseitiger Berichterstattung, die dann auch Einfluss gewinnt auf Meta-Studien und Cochrane-Reviews, die ja - nolens volens - auch die Artikel von MECCs einbeziehen.

Eine rasche und unkomplizierte Möglichkeit der Abhilfe erkennt der Wissenschaftler nicht. Er spricht allerdings einige Empfehlungen aus. Verlage von Fachzeitschriften sollten Manuskripte, die direkt von Marketingfirmen eingereicht werden, zurückweisen, sollten Autoren mehrfach befragen über nicht genannte Mitautoren und Sponsoren und bei Zuwiderhandlungen auch Strafen verhängen. Ähnliche Vorschläge werden auch für Universitäten gemacht, die etwa eine Zusammenarbeit mit MEECs für ihre Wissenschaftler untersagen sollten.

• Hier ist eine Pressemitteilung der Queen's University, Kingston, Ontario (Canada) Pharmas affect medical studies, contends Queen’s prof
• Der Artikel ist hier (mit vielen Quellenangaben) im Volltext zu lesen: Sergio Sismondo Ghost Management: How Much of the Medical Literature Is Shaped Behind the Scenes by the Pharmaceutical Industry?

Gerd Marstedt, 4.10.2007