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Weltgesundheitsbericht 2013: Research for universal health coverage

Artikel 2302 Im August legte die Weltgesundheits-organisation(WHO ihren neuesten Jahresbericht vor, der sich diesmal dem Thema Forschung für universelle Absicherung im Krankheitsfall widmet. Damit knüpft die WHO an ihren letzten Bericht von 2010 an, der die Bedeutung geeigneter Gesundheitsfinanzierungssysteme zum Erreichen universeller Sicherung aufgezeigt hatte. Der Bericht Weltgesundheitsbericht 2010 der WHO: Der Weg zu universeller Sicherung im Forum Gesundheitspolitik stellte den Weltgesundheitsbericht 2010 vor.

Die meisten Entwicklungs- und Schwellenländer stehen vor der Herausforderung, mit den jeweils verfügbaren Mitteln der gesamten Bevölkerung Zugang zu erforderlichen Gesundheitsleistungen zu ermöglichen. Trotz der wachsenden weltweiten Bedeutung von universeller sozialer Absicherung im Krankheitsfall, die zu einem der dominierenden Themen der Entwicklungszusammenarbeit geworden ist, bestehen in den Ländern viele offene Fragen, wie die angemessenen Absicherung aller zu bewerkstelligen ist. Mit ihrem diesjährigen Bericht will die WHO auf den großen Forschungsbedarf hinweisen, der für eine weltweite Umsetzung von universeller Absicherung im Krankheitsfall erforderlich ist. Derzeit würde zwar viel in neue Ideen und Techniken investiert, aber vorhandenes Erfahrungswissen nicht hinreichend genutzt und in die Praxis umgesetzt.

Aber, so erklärt die Weltgesundheitsorganisation ihr Anliegen, universelle soziale Absicherung im Krankheitsfall lasse sich nicht ohne wissenschaftliche Evidenz und Untermauerung erreichen: "Gesundheitssystem- und Versorgungsforschung erfährt vergleichsweise geringe Unterstützung und wenig Aufmerksamkeit", meint die WHO in ihrem Jahresbericht 2013, und erkennt einen "besonderen Bedarf, die Kluft zwischen bestehendem Wissen und dem Vorgehen zu überwinden". Zwar erfordern grundsätzliche Fragen universeller Absicherung wie die Struktur des Gesundheitswesens, Angebots- und Nachfrageverhalten und Zielvorgaben lokale Antworten, darüber hinaus bestehe aber in allen Ländern erheblicher Bedarf an systematischer Aufarbeitung und Umsetzung von Erfahrungswissen:

Der Weltgesundheitsbericht führt etliche Beispiele dafür auf, wie evidenzbasierte Erkenntnisse gesundheitspolitische Maßnahmen bestärken können:

• Evaluierungsergebnisse aus 22 afrikanischen Ländern belegen, dass insektizid-behandelte Moskitonetze die Kindersterblichkeit um 13-31 % reduzieren

• Die Auswertung von Studien aus sechs Ländern zeigen, dass konditionierte Transferzahlungen an arme Haushalte, die an die Inanspruchnahme bestimmter Gesundheitsleistungen gekoppelt sind, bei Kindern die Häufigkeit der Nutzung von Gesundheitszentren um 11-20 % und bei Vorsorgeleistungen sogar um 23-33 % erhöhte

• Studienergebnisse aus fünf europäischen Ländern belegen, dass die alterungsbedingte Ausgabensteigerung zwischen 2010 und 2060 nicht über 1 % pro Jahr liegt und sogar sinkende Tendenz aufweist.

Niemand wird die Bedeutung derartiger Ergebnisse für die Politik- und Entwicklungsberatung bezweifeln; insbesondere solche Erkenntnisse, die gängige gesundheitspolitische Mythen entkräften, sind überaus begrüßenswert. Aber so begrüßenswert wissenschaftliche Erkenntnisse zur Untermauerung politischer Entscheidungen auch sind, der Ansatz des WHO-Jahresberichts erweist sich letztlich doch als arg technokratisch und selbstreferenziell. Denn es fehlt eine systematische Analyse, welche Daten und wissenschaftlichen Erkenntnisse am wichtigsten sind, wie diese Erkenntnisse letztlich zur Verbesserung der Gesundheit beitragen können und wie sie sich in einen Systemansatz integrieren lassen.

Der Bericht betont in seinem Hauptteil, dass gesundheitsbezogene Forschung weltweit zunimmt und an Bedeutung gewinnt, und liefert 12 Beispiele von Studien, die beweisen, "wie wissenschaftliche Forschung einige der wesentlichen Fragen aufgreifen kann, wie universelle Absicherung zu erreichen ist". Die angekündigten Beispiele reichen von der Prävention und Kontrolle spezieller Erkrankungen bis hin zu funktionierenden Gesundheitssystemen. Allerdings verbleibt der Bericht auf rein programmatischer Ebene, greift keine Studie auf, die eine systemische Perspektive einnimmt oder Interaktionen verschiedener Akteure und Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Interventionen einbezieht.

Das ist bemerkenswert, schließlich hatte die WHO nur vier Jahre zuvor ihren Bericht Systems thinking for health systems strengthening veröffentlicht, in dem sie Gesundheitssysteme als komplexe, anpassungsfähige Systeme beschreibt. Die WHO fordert und befördert Systemdenken als "einen wesentlichen Ansatz zur Stärkung von Gesundheitssystemen". Und vor einem Jahr veröffentlichte die WHO einen 474-Bericht mit dem Titel Health policy and systems research - a methodological reader, der umfagngreiche Ratschläge enthält, wie man die Evidenzgrundlage für Gesundheitspolitik und Gesundheitssystemstärkung verbessern könnte.

Nicht minder überraschend ist die eher beiläufige Betrachtung der sozialen Determinanten von Gesundheit. Dabei hatte die WHO diesem Thema doch zwei Jahre zuvor eine globale Konferenz in Rio de Janeiro gewidmet, auf der es zur Verabschiedung der Rio Political Declaration on Social Determinants of Health kam. Und erst im Mai dieses Jahres hatte die 66. Weltgesundheitsversammlung den entsprechenden Sekretariats-Bericht Social determinants of health - Report by the Secretariat angenommen.

Der Weltgesundheitsbericht 2013 nimmt nur ansatzweise Bezug auf soziale Determinanten und deren immense Bedeutung für Forschung im Dienste einer universelle Absicherung im Krankheitsfall. Auf Seite 94 des WHO-Jahresberichts heißt es: "Many of the determinants of health and disease lie outside the health system so research needs to investigate the impact of policies for "health in all sectors". Research will add to the evidence on how human activities affect health, for example through agricultural practices and changes to the natural environment". Das ist zwar nicht falsch, aber trotz des Bezugs auf den großen Bereich der indirekten Gesundheitspolitik jenseits des Krankenversorgungswesens doch zu stark auf einzelne soziale Determinanten eingeengt, um den Eindruck einer ausgeprägten Krankheitsperspektive zerstreuen zu können.

Der Bericht bleibt bei der gesellschaftspolitischen Analyse weitgehend an der Oberfläche und lässt insgesamt deutlich erkennen, dass er ein Kompromisspapier zwischen sehr heterogenen staatlichen und nicht-staatlichen Interessensgruppen und darstellt. Gesellschafts- und verteilungspolitische Fragen räumt die WHO nicht die Rolle ein, die ihr gebührt, wenn das Ziel wirklich Universalität, d.h. die Absicherung aller Menschen mit allen notwendigen Leistungen und möglichst ohne direkte Beteiligung an den Behandlungskosten. Ohnehin stellt sich die Frage, ob selbst die solidesten und reliabelsten Daten und wissenschaftlichen Erkenntnisse tatsächlich ausreichen, bestehende Ungleichheiten zu reduzieren und die Gesundheit der Menschen zu verbessern. Evidenzbasierte Politik ist ein Wunschtraum aller Wissenschaftler, in der Praxis aber allenfalls rudimentär messbar. Gerade die Gesundheitspolitik ist zudem ein Feld, wo nicht nur unterschiedliche, sondern vielfach sogar widersprüchliche Evidenz aufeinander trifft.

Insgesamt lässt die WHO in ihrem Jahresbericht 2013 wieder einen eher technokratischen Ansatz erkennen, der hinter früheren Verlautbarungen und Veröffentlichungen zurückbleibt. Ihr Dilemma, letztlich nur gesundheitsbezogene Forschung fördern und betreiben zu können, bestärkt einen Forschungsansatz, der sich auf möglichst messbare, konkrete und auf Einzelphänomene fokussierte Fragestellungen konzentriert. In Zeiten unübersehbarer Dominanz von Marktinteressen und des wachsenden Einflusses transnationaler Konzerne auch in der WHO eine nicht unbedenkliche Entwicklung.

Auch wenn der WHO-Bericht 2013 die Themen Ungleichheit und Health-in-All hier und dort benennt und die Notwendigkeit erkennt, das gesundheitsfördernde Potenzial sektorübergreifender Politikansätze intensiver zu erforschen, betrachtet er diese und vergleichbare Aspekte als zusätzliche, komplementäre Herausforderung, die in Anbetracht der Vielzahl anderer offener Fragen keine besondere Priorität genießen können. Das ist nachvollziehbar - denn im Mittelpunkt des WHO-Forschungsansatzes im Dienste universeller Sicherung steht nicht der Mensch, sondern Erkrankungen und Erkrankungsrisiken. Der derzeitige internationale Boom um universal health coverage (UHC), also universelle Absicherung im Krankheitsfall einschließlich universellen Zugangs zu Versorgungsleistungen, könnte dasselbe Schicksal ereilen wie vor gut 30 Jahren die Primary Health Care (PHC) Bewegung, die mit der Erklärung von Alma Ata einen Aufbruch weg von der Medikalisierung und hin zu einem stärker gesellschaftlich bestimmten Gesundheitsverständnis einleitete. Unter der Führung der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) stutzen wichtige entwicklungspolitische Akteure das ursprünglich umfassende PHC-Konzept auf eine selektive primäre Gesundheitsversorgung zurecht, wo die exogen bestimmte Bezahlbarkeit anstelle des realen Bedarfs zum Maß der Möglichkeiten wurde. Mit Ihrem Jahresbericht 2013 hat die WHO möglicherweise dazu beigetragen, dass der UHC-Bewegung dasselbe Schicksal widerfährt und zu einer selektiven "universellen" Absicherung degeneriert.

Auf der Website der Weltgesundheitsorganisation WHO steht der Weltgesundheitsbericht 2013 kostenfrei in voller Länge zum Download zur Verfügung.

Jens Holst, 10.11.13