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Versorgungsforschung: Geburt, Kaiserschnitt


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Kaiserschnitte sind populär, aber risikobehaftet

Artikel 1314 Kaiserschnitte erfreuen sich auch in Deutschland zunehmender Beliebtheit. Mittlerweile erblickt mehr als ein Drittel der hierzulande geborenen Kinder das Licht der Welt nicht auf natürlichem Wege. Damit hat sich die Häufigkeit der Schnittentbindungen in den letzten beiden Jahrzehnten mehr als verdoppelt. Was bei Komplikationen und schwierigen Geburten ein Segen ist, bleibt indes nicht gänzlich folgenlos für die Neugeborenen. Eine umfangreiche mehrjährige Untersuchung aus der Universitätsklinik im dänischen Aarhus, die jetzt in der renommierten englischen Fachzeitschrift British Medical Journal (336 (7635), S. 85-87) unter dem Titel Risk of respiratory morbidity in term infants delivered by elective caesarean section: cohort study veröffentlicht wurde, zeigte nämlich, dass Kaiserschnittkinder bedeutend häufiger unter Atmungsproblemen bis hin zu schweren Erkrankungen der Atemwege leiden.

Die dänischen Forscherinnen und Forscher werteten die Daten von fast 35.000 Kindern aus, die zwischen 1998 und 2006 in der gynäkologischen Abteilung ihrer Universitätsklinik ohne angeborene Probleme zwischen der 37. Und der 41. Schwangerschaftswoche zur Welt kamen. Die Häufigkeit von Kaiserschnittgeburten lag in diesem Zeitraum insgesamt bei knapp 16 %, wobei nur jede zweite Schnittgeburt aufgrund von Komplikationen erforderlich war, während alle übrigen geplant waren.

Medizinisch indizierte Schnittgeburten bei Gefahr für Mutter und Kind sind unvermeidbar und tragenerheblich zur Senkung von geburtsbedingter Sterblichkeit bei. Daher konzentrierten sich die dänischen Gynäkologinnen auf so genannte elektive Kaiserschnitte, bei denen sich Arzt und Patientin im Vorfeld und unabhängig vom Geburtsverlauf darauf einigen, das Kind operativ zur Welt zu bringen. Also verglichen sie die Atemwegsprobleme von elektiven Kaiserschnittkindern mit denen von Säuglingen, die normal oder per Notfalloperation das Licht der Welt erblickten.

Dabei zeigte sich, dass Neugeborene bei freiwilligen Kaiserschnitten bis zu vier Mal häufiger unter Luftnot, beschleunigter Atmung und Lungenhochdruck litten als normal entbundene Kinder. Einer von 40 Säuglingen, die per geplantem Kaiserschnitt geboren wurden, brauchte sogar eine dreitägige oder längerfristige maschinelle Beatmung. Erhöhte Komplikationsraten ließen sich vor allem für Geburten in der 37. Und 38. Schwangerschaftswoche nachweisen. In der 39. Woche waren sie geringer ausgeprägt und in der 40 nicht nachweisbar, wobei hier auch nur noch jedes 85. Kind durch einem geplanten Kaiserschnitt zur Welt kam, was die statistische Aussagekraft einschränkt.

Überraschend ist dieses Ergebnis übrigens gar nicht, lernt doch jeder Medizinstudent bereits im vorklinischen Physiologiekurs, dass der Geburtsstress und vor allem die darunter heftig ansteigende Ausschüttung von Kortison beim Neugeborenen die Bildung des so genannten surfactant factor anregt. Diese Substanz erhöht die Oberflächenspannung der Lungenbläschen und verhindert, dass sie bei der Ausatmung kollabieren. Kaiserschnittkindern fehlt der Anreiz zur erhöhten Kortisonproduktion und somit zur Bildung des Überzugs über die Lungenbläschen, die dadurch leichter zusammenfallen und die Atmung behindern können. Diese Argumentation verfolgt auch ein deutschsprachiger Beitrag der Vereinigung Lungenärzte-im-Netz.

Aufgrund des schön früher beobachteten erhöhten Risikos von Atmungsproblemen bei Kaiserschnittkindern Die von Peter Stutchfield, Rhionnan Whitaker and Ian Russell durchgeführte, 2005 ebenfalls im British Medical Journal veröffentlichte Studie Antenatal betamethasone and incidence of neonatal respiratory distress after elective caesarean section: pragmatic randomised trial aus dem BMJ 331 (7518). S. 662-664, die hier kostenfrei als Volltext herunterzuladen ist, hatte bereits 2005 gezeigt, dass nach 37 Schwangerschaftswochen (SSW) 11.4 %, nach 38 SSW 6.2 % und nach 39 SSW 1.5 % der Kaiserschnittkinder wegen Atemproblemen eine Spezialbehandlung brauchten.

Nun könnte man denken, da ließe sich doch Abhilfe schaffen, indem Kaiserschnitt entbundene Neugeborene einfach ein bisschen Kortison erhalten, damit es mit der intra-alveolären Oberflächenspannung und der Atmung schön klappen möge. So untersuchten Stutchfield et al., was die Gabe von Kortikosteroiden kurz vor der Niederkunft per Kaiserschnitt bewirkte. Und es zeigte sich ein interessantes Ergebnis: Erhielten die werdenden Mütter in den letzten 48 Stunden vor der Geburt hoch dosiertes Kortikoson, lag die Komplikationsrate bei weniger als der Hälfte, nämlich in der 37. SSW bei 5.2 %, in der 38. SSW bei 2.8 % und in der 39. SSW bei 0.6 %. Zwar fanden Stuart Dalziel, Vanessa Lim, Anthony Lambert, Dianne McCarthy, Varsha Parag, Anthony Rodgers und Jane Harding bei einmaliger Gabe von Betamethason keine messbaren Effekte auf die kognitive und psychische Entwicklung der Neugeborenen, wie sie in ihrem Artikel Antenatal exposure to betamethasone: psychological functioning and health related quality of life 31 years after inclusion in randomised controlled trial in der Ausgabe 331 (7518) des BMJ zeigen, der ebenfalls kostenfrei hier zur Verfügung steht.

Doch so leicht lässt sich die Natur auch wieder nicht ins Handwerk pfuschen. Bedauerlicherweise haben nämlich Kortisongaben in der Schwangerschaft eine Reihe von unerwünschten Effekten; so verzögern sie die Myelinisierung des Gehirns sowie das Wachstum bestimmter Gehirnteile der Neugeborenen, sie rufen erhöhten Blutdruck hervor, haben hemmenden Einfluss auf das Gesamtwachstum und verursachen Verhaltensstörungen in der Entwicklung des Kindes. Derselbe Autor, der im BMJ ausbleibende unerwünschte Wirkungen einmaliger hochdosierter Kortisongaben bei der intellektuellen und psychischen Entwicklung Neugeborener aufzeigte, verwies in einem Artikel im Lancet 365 (9474), S. 1856-1862, auf die durch einmalige hoch dosierte Gabe von Kortikosteroiden erhöhte Gefahr hyperglykämischer Stoffwechsellagen und der Ausbildung eines Diabetes mellitus sowie kardiovaskulärer Erkrankungen hin. Von diesem Beitrag aus dem Lancet ist für Nicht-AbonentInnen allerdings nur das Abstract kostenfrei einsehbar.

Eine Überblickseinschätzung der Wirkungen und Risiken von Kortisonbehandlungen im Vorfeld von Kaiserschnitten liefert der Londoner Professor Philipp Steers für Geburtshilfe in seinem Leitartikel Giving steroids before elective caesarean section in der Ausgabe 331 (7518) des BMJ; dieses Editorial steht ebenfalls kostenfrei zur Verfügung.

Frauenärzte wie der Direktor der Klinik für Geburtshilfe der Berliner Charité, Professor Joachim Dudenhausen, zweifeln im Übrigen die Bedeutung der dänischen Studie an und warnen vor übereilten Rückschlüssen. Dazu führt er nicht nur einen vielsagenden Begriff ein, der die Kategorie zwischen "medizinisch indizierten" und "elektiven, also geplanten" Kaiserschnitten verwischen soll, in dem er von "medizinisch begründeten, geplanten Kaiserschnitten" spricht. Gleichzeitig übergeht er geflissentlich das Ergebnis der Aarhuser Studie, dass auch in der 39. Schwangereschaftswoche das Risiko einer Atemwegserkrankung von neugeborenen elektiven Kaiserschnittkindern immerhin noch doppelt so groß ist wie bei Normalgeborenen. die Ausgabe 3/2008 von G+G Wissenschaft zitiert Dudenhausen mit folgender Einschätzung: "Das Ergebnis kann wichtig sein für die Terminierung eines medizinisch begründeten, geplanten Kaiserschnitts. Wenn dabei das relative Risiko für Atemwegserkrankungen bei Neugeborenen in der 37. Und 38. Woche höher ist, in der 39. aber nicht, muss der Termin entsprechend gewählt werden. Die Auswertungen erlauben diesen Schluss aber nicht eindeutig. Wünschenswert wäre, den Anteil der Kinder in beiden untersuchten Gruppen zu kennen, bei denen übersäuertes Blut auf eine Mangelversorgung mit Sauerstoff hindeutete oder die nach der Geburt eine herabgesetzte oder fehlende Atmung aufwiesen; zudem sind die "Atemwegserkrankungen" nicht präzise definiert. Keinesfalls lässt sich mit dieser Studie über die Berechtigung und Sinnhaftigkeit der Rate von Schnittentbindungen argumentieren."

Doch diese Position sicherlich nur zum Teil evidenzbasiert, schließlich spielen die Interessen der Anbieter eine entscheidende Rolle. In Zeiten von Fallpauschalen und knapper Kassen in deutschen Krankenhäusern ist es mehr als wahrscheinlich, dass die bessere Bezahlung die Entscheidung zu Schnittgeburten beflügelt. Dieser Effekt ist hierzulande bei Weitem nicht so ausgeprägt wie beispielsweise in Chile, wo die Kaiserschnittrate je nach Versicherungsstatus zwischen 30 und 65 % variieren kann. Doch auch deutschen Frauen rät das Ergebnis der dänischen Studie zu größerer Vorsicht bei möglicherweise allzu leichtfertigen Entscheidungen für einen Kaiserschnitt.

Hier finden Sie die frei verfügbare Studie aus der Geburtshilflichen Abteilung der Universität Aarhus

Jens Holst, 10.8.2008