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Auch Nützliches muss nicht immer und für alles nützlich sein. Das Beispiel Stillen.

Artikel 2562 Auch wenn das Stillen sicherlich eine Menge physiologischer und psychischer Vorteile für Mütter wie Babies hat, sollte der mittel- und langfristige Nutzen für das Wachstum, die Normalgewichtigkeit und einen normalen Blutdruck der Kinder trotz einiger Belege durch Beobachtungsstudien nicht überschätzt werden.
Dies ist jedenfalls das Ergebnis der Sekundäranalyse entsprechender Daten aus einer auf der Basis eines WHO-Programms in Weissrussland durchgeführten randomisierten kontrollierten Langzeitstudie von 13.557 Kindern mit durchschnittlich 16,2 Jahren (48,5% Mädchen/junge Frauen). Die Kinder in der Interventionsgruppe waren möglichst lange ausschließlich gestillt worden, die in der Kontrollgruppe deutlich weniger und kürzer (im Alter von drei Monaten waren 45% der Babies in der Interventions- und 6% in der Kontrollgruppe auuschließlich gestillt worden).

Die Ergebnisse:

• Eine höhere Intensität von Stillen war im Alter von 16 Jahren nicht mit einer geringeren Übergewichtigkeit oder einem niedrigeren Blutdruck assoziiert.
• Betrachtet man nur den Body Mass Index, war der bei den Kindern mit intensivem Stillen sogar höher als bei den weniger intensiv gestillten Kindern.

Die AutorInnen weisen einschränkend auf einige Schwierigkeiten der Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse hin und betonen, dass andere diskutierte positive Wirkungen des Stillens dieses durchaus rechtfertigen.

Der Aufsatz Effects of Promoting Long-term, Exclusive Breastfeeding on Adolescent Adiposity, Blood Pressure, and Growth TrajectoriesA Secondary Analysis of a Randomized Clinical Trial von Richard M. Martin et al. ist am 1. Mai 2017 in der Fachzeitschrift "JAMA Pediatrics" erschienen und als "online first"-Beitrag komplett kostenlos erhältlich.

Bernard Braun, 7.5.17


"Kind mit 38 oder 43?" Hochriskant für Mutter und Kind oder eher nicht!?

Artikel 2524 Ein Teil der immer noch rund 70% aller Schwangeren, die nach den im Mutterpass aufgelisteten Indikatoren eine "Risikoschwangerschaft" durchmachen, sind dies aufgrund ihres Alters von über 35 Jahren. Und dass es sich nicht um ein abstraktes Risiko handelt, bestätigt scheinbar zwingend eine Reihe von gesundheitlichen Störungen (z.B. Downsyndrom, Karzinome), die bei Kindern älterer häufiger als bei denen jüngerer Mütter auftreten. Sollten also Frauen über 35 Jahre zum Wohle ihrer Kinder generell von Schwangerschaften absehen und/oder besser ein paar Jahre früher schwanger werden? Und müssen sie, wenn sie dies nicht tun, ein Leben lang ein schlechtes Gewissen haben?

Wenn man die Ergebnisse einer gerade veröffentlichen Längsschnittanalyse der Gesundheit und Lebensqualität von über 1,5 Millionen in Schweden zwischen 1960 und 1991 geborenen männlichen und weiblichen Kinder betrachtet, lässt sich diese Frage nicht mehr eindeutig bejahen und entlastet Frauen, die sich dennoch für ein "Kind mit 38" entscheiden, zumindest von einem Teil des selbstgeschaffenen oder oktroyierten schlechten Gewissens.

Das deutsch-britische Forscherteam untersuchte die Beziehungen zwischen dem Alter der Mutter zum Zeitpunkt der Geburt ihrer Kinder, deren späterer Größe und Gewicht, körperlicher Fitness, Leistungsniveau in der weiterführenden Schule und höchstem Bildungsabschluss. Diese Indikatoren gelten als Indikatoren bzw. Proxies (Hilfsvariablen, Stellvertretermerkmale) für die Gesamtgesundheit, die Chancen auf dem Arbeitsmarkt und die Gesamtheit der Lebenschancen ("lifetime opportunities").
Die Daten erlaubten dann Vergleiche dieser Faktoren zwischen den im frühen Lebensalter der Mutter geborenen Kindern und ihren im höheren Lebensalter der Mutter geborenen Geschwistern.

Das wesentliche Ergebnis mehrerer unterschiedlich nach Makro- und Mikromerkmalen von Eltern und Kindern adjustierten Berechnungen lautet, dass die im höheren Lebensalter geborenen Kinder gemessen an den Indikatoren entweder signifikant gesünder, größer und bildungsbezogen und damit auch bei den Beschäftigungschancen bessergestellt (längere Schulzeiten mit höheren Abschlüssen) sind als ihre älteren, früher im Leben ihrer Mütter geborenen Geschwister oder zumindest nicht signifikant schlechter gestellt sind: "We find that the total effect of increasing maternal age—which includes individual-level factors such as reproductive aging and changing social resources, as well as the positive impact of improving macro-level period conditions—is consistently positive." Die Einflussstärke der sozialen Makrobedingungen ist so stark, dass die festgestellten positiven Effekte für die Spätergeborenen selbst bei durchweg negativem Gewicht der individuellen Bedingungen auftreten.

Und noch deutlicher:

• "In fully adjusted models that remove the influence of the positive time trend, we found no substantively or statistically significant disadvantage for outcomes in adulthood for those born to older mothers, not even for those born to mothers aged 45 or older."
• "Nevertheless, in absolute terms, offspring who are born to an older mother in contemporary Sweden and survive to adulthood do better than their older siblings who were born when their mother was at her peak level of reproductive health."

Trotzdem sie damit erheblich das eingangs erwähnte schlechte Gewissen älter gebärenden Frauen und ihrer Partner reduzieren helfen, weisen die ForscherInnen auf zwei Einschränkungen hin: Erstens könnte es sich bei den Müttern mit mindestens zwei Kindern um "strong mothers" mit "relatively robust babies" handeln, was einen Teil der positiven Ergebnisse der jüngeren Kinder erklären könnte. Zweitens können und wollen sie angesichts einer Reihe von auch zitierten Querschnitts- und Beobachtungsstudien, die immer noch ein höheres Risiko einer schweren Geburt und von negativen gesundheitlichen Zuständen der von älteren Müttern geborenen Kindern belegen, keine "policy recommendation that it is better for women to delay childbearing to an older age" geben.

Sie empfehlen aber, dass Frauen, die über ein Kind nachdenken, die Erkenntnisse ihrer Studie bei ihrer Entscheidung für oder gegen ein Kind und/oder nachdem sie schwanger sind oder ein Kind geboren haben, mitbedenken.

Ergänzend ist festzuhalten, dass diese Erkenntnisse streng genommen nur für Mütter mit einem früh- und einem spätgeborenen Kind gelten und nicht für ein einziges Kind im Mutteralter von 38 oder 43 Jahren.

Diese Studie zeigt dreierlei: Sie motiviert auch bei anderen gewichtigen handlungsleitenden gesundheitsbezogenen Erkenntnissen skeptisch zu sein und sie gründlich zu hinterfragen. Sie zeigt außerdem, dass häufig Verlaufsbetrachtungen negative aber auch positive Ergebnisse aus Querschnittsanalysen widerlegen oder erheblich abmildern können. Und schließlich sollten bei gesundheitsbezogenen Studien mit Aussagen zu biografischen Risiken nicht nur individuelle Mikrofaktoren, sondern auch Bedingungen auf der sozialen Makroebene mitberücksichtigt werden.

Die 26 Seiten umfassende Studie Advanced Maternal Age and Offspring Outcomes: Reproductive Aging and Counterbalancing Period Trends von Kieron Barclay und Mikko Myrskyl ist in der Fachzeitschrift "Population and Development Review" (2016; 42 (1)) erschienen und komplett kostenlos erhältlich.

Bernard Braun, 17.5.16


Geburten nach Fahrplan: 8,9% aller Geburten in den USA sind elektive (Zu-)Frühgeburten

Artikel 2434 Wer dachte, dass die seit Jahren in Deutschland und vergleichbaren Ländern herrschende Rate von Kaiserschnitten zum errechneten Geburtszeitpunkt (die WHO hält eine Rate von 10% bis 15% für notwendig), die einzig gesundheitlich problematische Variante der Geburt ist, täuscht sich nach den Ergebnissen einer gerade veröffentlichten Studie aus den USA möglicherweise erheblich.
Eine ForscherInnengruppe untersuchte in 22 dazu bereiten US-Bundesstaaten retrospektiv die dort im Versicherungsbereich der staatlichen Versicherung Medicaid (Medicaid bezahlt bis zu 48% der jährlichen Geburten in den USA), also der Versicherung für eher ärmere US-BürgerInnen, in den Jahren 2010 bis 2012 stattgefundenen 839.688 Einlings-Geburten. Sie schaute dabei genauer auf die Art und den Zeitpunkt der Geburten.

Dabei machten die ForscherInnen eine Reihe unerwünschter Beobachtungen:

• 8,9% dieser Geburten (75.131) waren elektive (Zu-)Frühgeburten ("early elective deliveries"). Dabei handelt es sich um Geburten, bei denen ohne medizinische Notwendigkeit bei Mutter und Kind die vaginale Geburt eingeleitet wurde oder per Kaiserschnitt erfolgte - bei ungeborenen Kindern mit weniger als 39 bestätigten Schwangerschaftswochen. Normal sind durchschnittlich 40 oder 41 Schwangerschaftswochen.
• Zu früh ohne gesundheitliche Not eingeleitete Geburten führen oft zu schlechten Zuständen bei Mutter und Kind und verursachen auch zusätzliche Kosten bei Patientinnen, Kliniken und Krankenversicherungen.
• Die AutorInnen schätzen auf der Basis ihrer Studie, dass es USA-weit jährlich zu rund 160.000 derartiger Geburten kommt.
• Dass es auch anders geht, zeigt die Abnahme dieser Geburtsart in 12 der 22 Bundesstaaten und zwischen 2007 und 2011 um 32%.

Der Aufsatz Early Elective Deliveries Accounted For Nearly 9 Percent Of Births Paid For By Medicaid von Tara Trudnak Fowler et al. erschien in der Dezemberausgabe 2014 der Zeitschrift "Health Affairs" (vol. 33 no. 12 2170-2178). Ein Abstract ist kostenlos erhältlich.

Wer sich noch intensiver mit der im Moment enorm interessanten Entwicklung des Gesundheitswesens in den USA beschäftigen will, und entsprechende hochwertige Studien sucht, dem sei erneut der Hinweis auf das sogar halbwegs erschwingliche Abonnement dieser Zeitschrift für Privatnutzer gegeben (mit oder ohne Onlinezugang).

Bernard Braun, 9.12.14


Auch im Nordwesten: Über 30% Kaiserschnittgeburten bei zu geringer Aufklärung und viel zu seltene nachgeburtliche Gespräche

Artikel 2430 Die relativ häufigsten an deutschen Krankenhäusern erbrachten Leistungen sind normale Geburten. Dies liegt vor allem daran, dass anders als in vergleichbaren europäischen Ländern (z.B. Niederlande), hierzulande rund 98% aller Geburten in Krankenhäusern stattfinden, und nicht bei fehlenden Geburtsrisiken durch Hebammen im häuslichen Umfeld oder in ebenfalls hebammengeleiteten Geburtshäusern.

Als eine der wahrscheinlichen Folgen der Klinikzentrierung des Geburtsgeschehens wird seit mehreren Jahren die mit rund 30% nach Meinung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu hohe Rate von operativen Geburten bei Kaiserschnitt diskutiert. Die WHO hält für Mutter wie Kind eine Rate von 10% bis 15% und unter bestimmten Umständen auch 20% für gesundheitlich notwendig. Ob die Kritik an der damit auch in Deutschland zu hohen Kaiserschnittrate sowie an der zu geringen Wertschätzung und Nutzung von Hebammen etwas bewirkt hat, haben bereits mehrere Studien in den letzten Jahren untersucht (Übersicht in dem hier angezeigten Report).

Aktuell erhoben die Gesundheitswissenschaftlerin Petra Kolip von der Universität Bielefeld und der am Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen arbeitende Gesundheitswissenschaftler Bernard Braun im Auftrag der nordwestdeuztschen Regionalkasse Handelskrankenkasse (hkk) im Juni 2014 umfassend per Fragebogen die Erfahrungen von 1.627 Frauen, die bis zu sechs Monate zuvor stationär ein Kind geboren hatten. Auch bei diesen Frauen betrug die Kaiserschnittrate etwas mehr als 30%. Bei einer ebenfalls durchgeführten Auswertung der Routinedaten für alle Versicherten, die zwischen 2008 und 2013 in einem Krankenhaus ein Kind geboren hatten, stieg dieser Wert auf durchgehend rund 33%.

Zu den wichtigsten bestätigten oder auch neu gewonnenen Erkenntnissen und Schlussfolgerungen zählen die Autoren:

• Auffällig war zum Beispiel, dass der Anteil an Frauen, die laut Mutterpass eine Risikoschwangerschaft hatten, im bundesweiten Vergleich deutlich unterrepräsentiert war. Des Weiteren ließ sich die These, dass werdende Mütter mit bekannten Risikofaktoren beunruhigter in Bezug auf Schwangerschaft und Geburt sind, nicht bestätigen.
• Überraschend viele Frauen mit einer Kaiserschnittgeburt gaben an, sie wären insgesamt nicht gut über den Ablauf und die Folgen eines Kaiserschnitts informiert worden - und zwar weder von Ärzten noch von Hebammen.
• Für die Phase nach der Geburt ist die wichtigste und eventuell auch folgenreichste Erkenntnis, dass mit knapp über die Hälfte der Mütter kein bei der Geburt anwesender Arzt ein abschließendes Gespräch geführt hat. Bei über 45 Prozent der Mütter hat auch die bei der Geburt anwesende Hebamme kein Gespräch angeboten. Dabei gaben über 70 Prozent der Frauen an, dass dieses Gespräch (sehr) hilfreich gewesen wäre. Angesichts des häufig länger als drei Tage dauernden Klinikaufenthalts kann dies nicht daran liegen, dass die Mütter nur kurz in der Klinik waren.
• Die Studie deckt sich mit den bereits vorliegenden Befunden. Da sticht nichts heraus oder ließe vermuten, dass es den hkk-versicherten Müttern besser oder schlechter ginge als den restlichen Frauen in der Republik. Dies stellt für die Autoren jedoch angesichts der bekannten gesundheitlichen Nachteile mancher Defizite und Mängel keinen Grund zur Zufriedenheit dar - im Gegenteil. Offensichtlich bedarf es dazu kontinuierlicher Transparenz, wie zum Beispiel durch diesen hkk-Gesundheitsreport, konkreter Aufklärung und strukturverändernder Modellversuche.
• Für den anhaltend hohen Anteil von Kaiserschnittgeburten sind vor allem organisatorische Faktoren verantwortlich - also die "Klinikkultur". Die große regionale Variation - 51 Prozent in Landau in der Pfalz bis 16 Prozent in Dresden und mittendrin Bremen und umzu bei Altersstandardisierung - zeigt, dass es offenbar einen großen Spielraum in der Entscheidung für einen Kaiserschnitt gibt. Natürlich spielen forensische Gründe eine große Rolle: Kliniken fürchten, dass gravierende Komplikationen die Haftpflichtprämie hoch treiben und auch der Personalschlüssel ist relevant.
• Eine zentrale Forderung des Reports ist daher auch die 1:1-Betreuung durch Hebammen, und dies auch kontinuierlich. Die Präsenz einer einzigen verantwortlichen Hebamme während der gesamten Geburt war einer der am häufigsten auf eine entsprechende offene Frage geäußerten Wünsche der befragten Mütter. Dies senkt nachweislich die Kaiserschnittsrate und erhöht das Wohlbefinden von Gebärenden. Dass aber möglicherweise auch eine allein quantitative Verbesserung der Hebammenbetreuung nicht sämtliche qualitativen Mängel behebt, zeigen die Ergebnisse der hkk-Studie auch an mehreren Stellen.
• Der Hebammenkreißsaal, den es z.B. auch in Bremerhaven gibt, könnte hier ein wirksames und richtungsweisendes Modell sein.

Der ausführliche hkk-Gesundheitsreport 2014. Schwangerschaft und Geburt: Ergebnisse einer Befragung von Müttern ist komplett kostenlos erhältlich.

Jens Holst, 26.11.14


Pro oder contra Pränataltest: Wirkungen und Nutzen informierter Entscheidung.

Artikel 2402 Mit der Marktpräsenz von pränatalen, auf einer Untersuchung des Bluts der Schwangeren basierenden Tests, die nicht mehr, wie die Untersuchung des Fruchtwassers (Amniozentese) ein erhebliches Risiko für den Fötus und damit letztlich auch für die schwangere Frau bedeuteten, wächst das scheinbar sichere und sorgenfreie Angebot und die skrupelfreie Nutzung solcher Tests.

Dabei wird über das auch oder gerade (dies liegt z.B. an der sehr kleinen Menge von DNA-Material des Fötus im Blut der Mutter) bei diesen Tests bestehende Risiko falsch-positiver wie falsch-negativer Ergebnisse weder ausreichend informiert noch zwischen Gynäkologe und Schwangerer wie ihrem Lebenspartner kommuniziert. Dies umfasst auch das Unwissen darüber, dass selbst verschiedene Sprecher von Herstellerfirmen anlässlich der Zulassung seines Tests betonten "positive results should be confirmed with invasive testing" und "it is important to understand [the new tests] don't replace invasive tests yet." Hinzu kommt, dass diese Tests bisher weder in den USA noch in Deutschland von Krankenkassen bezahlt werden und Versicherte damit zwischen 800 und beinahe 3.000 US-Dollar aus eigener Tasche zahlen müssen (vgl. dazu den am 3. April 2013 im Wall Street Journal veröffentlichten Bericht Tough Calls on Prenatal Tests. Companies Race to Promote New Genetic Screen for Down Syndrome; Worries About Patient Confusion).

Eine jetzt veröffentlichte Studie aus den USA stellte diese pränatalen genetischen Tests aber noch auf einen ganz anderen Prüfstand. Untersucht wurde, ob sich werdende Mütter auch nach einer umfassenden allgemeinen Information über die Möglichkeiten und Grenzen eines solchen Tests für seine Durchführung entscheiden. Dazu wurden zwischen 2010 und 2013 rund 750 Frauen, die bis zur zwanzigsten Woche schwanger waren, zufällig auf eine Gruppe aufgeteilt, die mit einem 45-minütigen computergestützten interaktiven Entscheidungsunterstützungsprogramm informiert und gezielt nach ihren Präferenzen und Zielen in diesem Bereich gefragt wurde (n=357) oder auf eine Gruppe mit der üblichen Behandlung (n=353). Das Programm lieferte am Ende zwar eine personalisierte Empfehlung zum Test, überließ aber den NutzerInnen die Entscheidung. Die Intervention umfasste schließlich auch noch den zuzahlungsfreien Zugang zu diesen Tests. Die Teilnehmerinnen der Gruppe mit üblicher Behandlung erhielten insbesondere dann, wenn sie 35 Jahre und älter waren, die Empfehlung, den Test zu nutzen.

Das Ergebnis sah so aus: Während bei 12,2% der Teilnehmerinnen in der Normalversorgungsgruppe letztlich ein invasiver Test stattfand, waren es in der Interventionsgruppe 5,9%. Der Anteil der Teilnehmerinnen, die sich insgesamt gegen jeden pränatalen Test entschieden, war in der Interventionsgruppe signifikant höher als in der Kontrollgruppe (25,6% versus 20,4%). Die Nutzerinnen des Entscheidungsunterstützungsprogramms besaßen ferner ein generell höheres Wissen über das Schwangerschaftsgeschehen. Insbesondere wussten sie signifikant besser über die Risiken der Fruchtwasserentnahme oder das Risiko Bescheid, ein Kind mit einer Trisomie 21 bzw. einem Down-Syndrom zu gebären (58,7% versus 46,1%). Damit hatten die Teilnehmerinnen in der Interventionsgruppe deutlich mehr Chancen, eine informierte Entscheidung oder Wahl zu treffen.

Im Rahmen der Hinweise auf Grenzen ihrer Studie weisen die VerfasserInnen ausdrücklich darauf hin, dass ihre Erkenntnisse auch nach der Einführung so genannter "zellfreier" DNA-Tests Gültigkeit haben.

Der am 24. September 2014 veröffentlichte Aufsatz Effect of Enhanced Information, Values Clarification, and Removal of Financial Barriers on Use of Prenatal Genetic TestingA Randomized Clinical Trial vonm Miriam Kuppermann et al. ist in der Fachzeitschrift "JAMA" (312(12): 1210-121} online veröffentlicht und komplett kostenlos erhältlich.

Bernard Braun, 25.9.14


Mehrstufiges Rauchverbot in Belgien ist auch mit mehrstufigem Rückgang der Häufigkeit von Frühgeburten assoziiert.

Artikel 2237 In einigen europäischen Ländern wird über die Lockerung der strengen Rauchverbote in öffentlichen Räumen und besonders in Restaurants nachgedacht, die Kontrolle der Lokale mit Raucherräumen wird oft lasch betrieben, die Abdichtung zwischen Raucher- und Nichtraucherzonen ist oft unwirksam oder die Nichtraucherbereiche werden nicht systematisch zum Schutz vor den immer noch unterschätzten Gesundheitsgefahren durch Passivrauchen ausgedehnt.
Gleichzeitig werden immer häufiger Untersuchungen zur Entwicklung von tabakassoziierten Erkrankungen und Schädigungen (z.B. Herz-/Kreislauferkrankungen) von vor und nach dem Rauchverbot veröffentlicht, die praktisch durchweg und nach kürzester Zeit positive Effekte belegen.

Die neueste Studie aus Belgien über den Verlauf von mehr als 606.000 Schwangerschaften und Geburten zwischen der 24. und 44. Schwangerschaftswoche im Zeitraum von 2002 und 2011, zeigt eine deutliche Assoziation zwischen der etappenweisen Einführung von Rauchverboten in verschiedenen Lokalitäten und der Häufigkeit von Frühgeburten. In einem ersten Anlauf wurde in Belgien im Januar 2006 das Rauchen in allen öffentlichen Orten und den meisten Arbeitsplätzen verboten. Im zweiten Anlauf wurde das Verbot im Januar 2007 auf Restaurants ausgedehnt und im dritten Anlauf im Januar 2010 wurden auch die Bars mit Essangeboten rauchfreie Zonen.

Die vor dem ersten Rauchverbot existierende Häufigkeit von spontanen Frühgeburten vor der 37. Schwangerschaftswoche lag nahezu konstant bei rund 7,4%. Die Rate sank nach jedem der drei Rauchverbotsinterventionen kräftig ab, insbesondere nach den Rauchverboten in Restaurants und Bars. Sie lag 2012 bei rund 6,7%. Die gesamte Abnahme der spontanen Frühgeburten in den fünf Jahren ab 2007 lässt sich auch als eine Reduktion um 6 Frühgeburten auf 1.000 Geburten ausdrücken.

Auch wenn die ForscherInnen einräumen, ihre Studie könne methodisch nicht die Kausalität von Passivrauchen der Mutter und ihres ungeborenen Kindes und dem Risiko einer Frühgeburt nachweisen, halten sie die Assoziation für zwingend. Die beobachteten Veränderungen lassen sich auch nicht als Einflüsse durch andere potenziell denkbare Bedingungen (z.B. Umweltverschmutzung oder Grippeepidemien) erklären.

Der am 14. Februar 2013 im "British Medical Journal (BMJ)" (346: f441) veröffentlichte Aufsatz Impact of a stepwise introduction of smoke-free legislation on the rate of preterm births: Analysis of routinely collected birth data. von Cox B et al. ist komplett kostenlos erhältlich.

Bernard Braun, 11.3.13


"Baby blues". Nachgeburtliche Depression hat nicht selten nichts mit dem Baby zu tun, sondern mit gewalttätigen Partnern

Artikel 2048 In der medizinischen Enzyklopädie des Internetportals "Medline plus" ("Motto: Trusted Health Information for you"), einem Service der "U.S. National Library of Medicine" und"National Institutes of Health" der USA, steht als Erklärung zu der bei vielen jungen Müttern in den ersten Tagen bis Monaten nach der Geburt ihres Kindes auftretende nachgeburtliche Depression (postpartum depression) folgendes: "Researchers think that changes in your hormone levels during and after pregnancy may lead to postpartum depression. If you think you have it, tell your health care provider. Medicine and talk therapy can help you get well."
Dass eine Partnertherapie oder auch eine Trennung vom Kindesvater möglicherweise die bessere Lösung sein könnte, bleibt unerwähnt, obwohl mehrere Studien die körperliche, sexuelle und psychische Gewaltausübung der männlichen Partner als eine relativ häufige individuelle oder soziale Ursache der zum Teil schweren und langwierigen depressiven Erkrankung von jungen Müttern identifiziert haben.

Bereits 2010 veröffentlichten brasilianische Wissenschaftler die Ergebnisse einer prospektiven Studie mit 1.045, überwiegend unteren sozialen Schichten angehörender 18 bis 49-jährigen Frauen aus dem Nordosten Brasilien, die sie von vor der Geburt bis zu acht Monaten nach der Geburt systematisch untersuchten bzw. interviewten. Von diesen Frauen gaben 26% an, an nachgeburtlichen depressiven Symptomen gelitten zu haben bzw. zu leiden. 31% berichteten über männliche Partner, die sich während der Schwangerschaft gewalttätig verhielten. Am häufigsten, nämlich bei 28% der Frauen, handelte es sich um psychische Gewalt (z.B. Beleidigungen, Verängstigungen, Demütigungen), 12% der Frauen berichteten über körperliche Gewalt und 6% über sexuelle Gewalt, die oft mit psychischer Gewalt verbunden war. Das Risiko für eine Depression nach der Geburt hatten besonders die Frauen, welche zugleich unter körperlicher und sexueller Gewalt plus psychischer Gewalt zu leiden hatten. Das Depressionsrisiko nahm stetig mit der Zunahme psychischer Gewalt zu: Von 18% bei den Frauen ohne die Erfahrung psychischer Gewalt oder psychischen Missbrauchs bis zu 63% bei jenen Frauen, die am stärksten psychisch misshandelt wurden. Die zentrale Bedeutung der psychischen Gewalt zeigt sich schließlich daran, dass selbst bei Abwesenheit körperlicher oder sexueller Gewalt und unter Ausschaltung möglicher Confounder (z.B. niedriges Bildungsniveau und geringe soziale Unterstützung) das Depressionsrisiko bei häufiger psychischer Gewalt signifikant ansteigt.
Die Autoren empfehlen daher allen, die mit "Baby blues"-Müttern zu tun haben, an die mögliche (Mit-)Verursachung durch Partnergewalt zu denken oder gezielt danach zu fragen und dann vor allem mehr Aufmerksamkeit auf die psychischen Misshandlungen zu richten.

Wer jetzt denkt, hier handle es sich um "exotische" brasilianische Verhältnisse, irrt. Die am 7. Dezember 2011 online veröffentlichten Ergebnisse einer prospektiven Studie mit 1.504 zum ersten Mal schwangeren Frauen im australischen Melbourne, fördert ähnliche Verhältnisse in einem großstädtischen Milieu des 5. Kontinents zutage. Die Frauen wurden zwischen der sechsten und vieruundzwanzigsten Schwangerschaftswoche in die Studie aufgenommen (zwischen April 2003 und Dezember 2005) und nach einer Startbefragung noch drei, sechs und zwölf Monate nach der Niederkunft mit einem Standardinstrument ("Edinburgh Postnatal Depression Scale") zu ihrer psychischen Verfassung unter besonderer Berücksichtigung des Auftretens schwerer depressiver Symptome befragt. Erfahrungen mit Partnergewalttätigkeit wurden mit der Kurzfassung der "Composite Abuse Scale" bewertet. Ergänzt wurde die Datensammlung durch eine Reihe soziodemografischer Merkmale der Teilnehmerinnen.

Die wichtigsten Ergebnisse sahen so aus:

• 16,1% der Frauen berichteten schwere depressive Symptome während aller 12 nachgeburtlichen Monate bzw. zu jedem der Erhebungszeitpunkte. 57,6% der Frauen erlebten dies erst nach dem dritten nachgeburtlichen Monat. Die Autoren ziehen daraus den praktischen Schluss, dass ein Screening zur Identifikation der Frauen mit nachgeburtlicher Depression, das sich auf die ersten drei Monate konzentrierte, einen großen Teil der insgesamt im ersten Lebensjahr ihres Kindes auftretenden Depressionen überhaupt nicht erkennen kann.
• 16,6% der befragten Frauen berichteten von irgendeiner Form von Misshandlung oder Gewalttätigkeit, die sie in den 12 Monaten nach der Entbindung erfahren hatten. Von diesen Frauen gaben 54,2% an, ausschließlich emotional missbraucht worden zu sein, 34,2% berichteten von emotionaler und physischen Misshandlungen und 13,4% "nur" von körperlicher Gewalt
• Rund 40% der Frauen, die bei jeder Follow-up-Befragung von depressiven Symptomen berichteten, wurden nach ihren Angaben von ihren Partnern in irgendeiner Weise misshandelt.
• In einer multivariaten Analyse des Einflusses ausgewählter Faktoren auf die Häufigkeit nachgeburtlicher Depression verdoppelte sich die Wahrscheinlichkeit bei emotionalem Missbrauch fast (adjustierte Risikorate odds ratio [OR] 2,72). Die Risikorate stieg bei körperlichen Misshandlungen auf 3,94, bei dem Auftreten von schweren depressiven Symptomen in der Schwangerschaft auf 2,89 und bei Arbeitslosigkeit in der frühen Shwangerschaft als einer Art sozialer Gewalt, auf 1,6.

Die australischen ForscherInnen unterstreichen, dass die Gewalt gegen werdende Mütter auch in Australien ein verbreitetes Phänomen ist und weisen ähnlich wie ihre brasilianischen KollegInnen darauf hin, dass sich die im Gesundheitsbereich Beschäftigten daran stets erinnern sollten.

Von dem "brasilianischen" Aufsatz "Violence against women by their intimate partner during pregnancy and postnatal depression: A prospective cohort study." von Ludermir AB et al., erschienen 2010 in der Fachzeitschrift "Lancet" (Vol. 376, 11. September 2010: 903-910), ist ein Abstract kostenlos erhältlich.

Von dem "australischen" Aufsatz "Depressive symptoms and intimate partner violence in the 12 months after childbirth: a prospective pregnancy cohort study" von H Woolhouse; D Gartland, K Hegarty, S Donath und SJ Brown (erschienen im internationalen "British Journal of Obstetrics and Gynaecology" am 7. Dezember 2011 online) ist ebenfalls nur ein Abstract kostenfrei erhältlich.

Bernard Braun, 11.12.11


Sind Haus- und Geburtshausgeburten riskanter als Krankenhausgeburten? Was eine britische Studie wirklich dazu findet!!

Artikel 2044 Die Veröffentlichung einer großen britischen Studie über die Risiken von außer- und innerstationären Geburten war der Anlass für eine in zahlreichen Medien fast wortgleich verbreitete Schlussfolgerung zweier deutscher Verbandsexperten: "Bei einer Hausgeburt können Geburtsstillstand, Blutungen bei der Mutter oder Sauerstoffmangel beim Kind auftreten, warnen die Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe und des Berufsverbandes der Frauenärzte, Prof. Klaus Friese und Christian Albring. In Deutschland müsse fast jede zehnte Schwangere, die ihre Entbindung als Hausgeburt begonnen hat, während der Geburt wegen Komplikationen in ein Krankenhaus gebracht werden. In mehr als der Hälfte dieser Fälle sei dann ein Kaiserschnitt oder der Einsatz einer Saugglocke oder Zange nötig." So exemplarisch alarmisierend die Meldung im Web-Angebot der Illustrierten "Stern", die dann auch in der impliziten Aufforderung mündet, lieber sofort im Krankenhaus gebären zu wollen.

Nachdem es den ärztlichen und stationären Geburtshilfeexperten in Deutschland bis heute gelang, die weltweit relativ seltene Situation zu perpetuieren, dass mehr als 95% der Geburten in Krankenhäusern stattfinden, kann sich am Beispiel der Rezeption dieser im "British Medical Journal (BMJ)" am 24. November 2011 frei zugänglich veröffentlichten Studie jeder ein eigenes Bild von der Härte der berufspolitischen Auseinandersetzung um Schwangere und ihre Kinder machen und der Bereitschaft, dafür sehr selektiv zu lesen und zu argumentieren.

In dieser prospektiven Kohoertenstudie wurden im Zeitraum zwischen April 2008 und April 2010 das Geburtsgeschehen und die dabei auftretenden Komplikationen, Interventionen und unerwünschten Wirkungen bei 79.774 britischen Schwangeren untersucht, unter denen 64.538 ein niedriges Schwangerschaftsrisiko hatten. Frauen, die eine geplante Kaiserschnittentbindung machen oder eine ungeplante Hausgeburt hatten, wurden aus der Studie ausgeschlossen.

Die Studie lieferte folgende Erkenntnisse:

• Sie bestätigte zum einen, dass gesunde schwangere Frauen, die eine Entbindung in einer Hebammeneinrichtung planen, im Vergleich zu Entbindenden in einer Krankenhaus-Entbindungsstation mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Entbindung mit wenigen ärztlichen und medizinischen Interventionen haben.
• Sie bestätigte auch, dass es bisher immer noch einen Mangel an Evidenz zur Ergebnisqualität im Bereich der seltenen aber ernsten unerwünschten Geburtsereignissen für alle Gebär-Settungs gibt. Die Studie will daran etwas ändern, erwartete selber aber wenig Nachteiliges für die außerstationären Angebote.
• Für gesunde Erstgebärende (nulliparous), die ein geringes Schwangerschaftsrisiko aufweisen, "the risk of an adverse perinatal outcome seems to be higher for planned births at home, and the intrapartum transfer rate (in ein Krankenhaus) is high in all settings other than obstetric unit." Die Rate der ungeplanten Überführungen von Gebärenden in eine stationäre Geburtshilfeeinrichtung schwankte zwischen 36% und 45%. Die Anzahl unerwünschter Ereignisse während der Geburt war aber trotzdem so gering, dass deswegen bestimmte Wahrscheinlichkeitswerte nicht berechnet werden konnten. Andererseits ist die Rate erwünschter Ergebnisse wie z.B. dem Stillen der Neugeborenen bei außerstationären Geburten signifikant höher als bei den Krankenhaus-Neugeborenen und ihren Müttern.
• Für gesunde Frauen, die geringe Schwangerschaftsrisiken aufwiesen, ist die Inzidenz unerwünschter Ereignisse rund um die Geburt herum (perinatal) in allen Geburts-Settings niedrig.
• Was beim innerdeutschen Kampf um die Krankenhaus-Geburt als Normalfall dann komplett unterschlagen wird, ist folgendes: Für gesunde Frauen, die das zweite oder ein weiteres Kind gebären (multiparous), und wiederum ein geringes Schwangerschaftsrisiko aufweisen, gibt es im Vergleich zu den im Krankenhaus gebärenden Mehrfachgebärenden und im Vergleich der unterschiedlichen außerstationären Gebärmöglichkeiten keinen statistisch signifikanten Unterschied des Auftretens unerwünschter Ereignisse.
• Für diejenigen LeserInnen, die wissen wollen, über welche "Feinheiten" deutsche Lobbyisten fürs stationäre und ärztliche Gebären hinweglesen (lassen), sei hier die sorgfältig differenzierende Zusammenfassung der Studie durch ihre AutorInnen zitiert: "The results support a policy of offering healthy women with low risk pregnancies a choice of birth setting. Women planning birth in a midwifery unit and multiparous women planning birth at home experience fewer interventions than those planning birth in an obstetric unit with no impact on perinatal outcomes. For nulliparous women, planned home births also have fewer interventions but have poorer perinatal outcomes."

Dank der vorbildlichen "open access"-Politik des BMJ kann sich jeder daran Interessierte von den weiteren Details und quantitative Belegen der Studie "Perinatal and maternal outcomes by planned place of birth for healthy women with low risk pregnancies: the Birthplace in England national prospective cohort study" kostenlos ein vollständiges Bild verschaffen und in Zukunft noch skeptischer gegenüber Äüßerungen von Anbieterverbandsvertretern sein. Die von der "Birthplace in England Collaborative Group" unter Leitung von Peter Brocklehurst durchgeführte Studie ist im BMJ (343 doi: 10.1136/bmj.d7400) erschienen.

Bernard Braun, 1.12.11


Legenden zur Verantwortung für Überversorgung: 30 % weniger Betäubungsmittel, wenn Gebärende Schmerztherapie selbst bestimmen!

Artikel 1910 Eine beliebte Erklärung von Ärzten und Gesundheitspolitikern für die teure und oft auch gesundheitlich bedenkliche Überversorgung mit Arzneimitteln und nebenbei ein willkommener Beleg für eine Variante von "Moral hazard" ist der von PatientInnen angeblich erzeugte Druck, bestimmte Mittel bei "jedem Wehwechen" in Hülle und Fülle zu erhalten, um Schmerzen oder Befindlichkeitsstörungen so schnell und gründlich wie möglich zum Verschwinden zu bringen. Um diesem Druck zu entgehen, sagen viele Ärzte auf Befragen sie würden oft gegen ihr "fachliches Gewissen" in einer Art vorauseilenden Ärgervermeidens zu viel und zu viel eigentlich nicht Notwendiges oder gar Unsinniges (z.B. Antibiotika gegen Virenerkrankungen) verordnen.

An der weit verbreiteten Existenz einer solchen Overkill- oder Konsumier-Mentalität bei Patienten wurde aber schon lange gezweifelt. So bereiten viele der so erhaltenen Mittel meist keinenerlei Genuß und die angeblich fordernden Personen haben vor einer Einnahme vieler Mittel sogar erhebliche Ängste und Skrupel.

Dies gilt in besonderem Maße für eine schnell wirksame lokale Schmerztherapie, die sog. Periduralanästhesie, die bei Schwangeren gegen Schmerzen während des Geburtsvorgangs eingesetzt wird. Wer jemals bei einer Geburt dabei war, weiß, dass diese wirklich sehr schmerzhaft und dramatisch sein kann. Viele Schwangere und ihre Partner haben sich aber in der Schwangerenvorbereitung fest vorgenommen, auf diese Betäubung wegen der tatsächlichen oder vermeintlichen Risiken für die Schwangere und ihr ungeborenes Kind (u.a. Verlängerung des Geburtsprozesses und eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine risikoreiche Zangen- oder Saugglockenentbindung) zu verzichten. Die Entscheidung zur Periduralanästhesie hat dann aber häufig nichts mehr mit der "sauberen" Modellwelt von "rational" oder "informed choice" zu tun, sondern muss unter heftigsten Schmerzen, Zeitdruck und oft mit einem schlechten Gewissen erfolgen.

Dass die Schwangeren selbst unter diesen Umständen keine maximale Therapie oder Vollversorgung erwarten und für sich selber notwendig halten, wurde jetzt zum ersten Mal im Rahmen einer randomisierten experimentellen Studie in den USA mit insgesamt 256 durchschnittlich 24 Jahre alten Teilnehmerinnen nachgewiesen.
Anders als in der Geburtshilfe üblich, wurde die Entscheidung über die Dosis der Betäubungsmittel nicht mehr allein dem Narkosearzt überlassen, sondern zwei Drittel der gebärenden Frauen waren in unterschiedlicher Weise beteiligt. In einer Gruppe der dreiarmigen Untersuchung wurde die Periduralanästhesie durch eine kontinuierliche Infusion zweier Wirkstoffe durch den Anästhesisten verabreicht. Eine zweite Gruppe von Frauen konnte sich zusätzlich zu der kontinuierlichen Infusion bei Bedarf noch eine zusätzliche Wirkstoffdosis (sog. Bolusinjektion) einführen. In der dritten Gruppe bestimmten ausschließlich die Frauen wie oft sie wie viel Wirkstoffmengen benötigten und verabreichten sie sich dann auch durch eine entsprechend selbst zu bedienende technische Apparatur. Der Anästhesist kontrollierte bei den beiden letzten Gruppen lediglich, dass die gesundheitlich erträgliche Gesamtmenge nicht überschritten wurde.

Zu den Ergebnissen gehört erstens, dass keine der selbst bestimmenden Frauen die Betäubungsmittel überdosierte. Zweitens verabreichten sich diese Frauen aber sogar eine um 30 % geringere Betäubungsmittelmenge als ihren Mitgebärenden durch Anästhesisten verabreicht bekommen hatten und sogar eine um 46 % niedrigere Dosis als die Gebärenden mit kontinuierlicher plus Bolusinjektion.

Die gebärenden Frauen, welche die Betäubungsmittelinjektion allein bestimmten gaben etwas mehr Schmerzen als an die Frauen der beiden Vergleichsgruppen waren aber nach Meinung der Wissenschaftler zufriedener. Bei ihnen kam es schließlich auch seltener zu einer instrumentell gestützten Entbindung mit Saugglocke oder Zange.

Weitere Einzelheiten der auf der Jahrestagung der Society for Maternal-Fetal Medicine in San Francisco vorgestellten Studie von Michael Haydon et al. finden sich in dem Abstract Nr. 28 auf der Seite 13 des Kongressreaders (das Laden des Dokuments dauert relativ langsam, also nicht verzagen) und einer wesentlich schneller zugänglichen Presseerklärung zu dieser Präsentation.

Bernard Braun, 13.2.11


"Peer-Support" für höhere Stillrate: "Gutes" muss nicht immer die erwarteten positiven Wirkungen haben.

Artikel 1871 Stillen hat mehrere Vorteile für die junge Mutter und ihr neugeborenes Kind. Die Evidenz dafür ist so ausgeprägt, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, neugeborene Kinder mindestens sechs Monate ausschließlich mit Stillen zu ernähren. Viele nationale Regierungen und Gesundheitsinstitutionen haben Initiativen gestartet, die Initialisierungsraten deutlich zu erhöhen. Trotzdem beginnen immer noch viele Frauen nicht, ihr neugeborenes Kind zu stillen.

Für eine Reihe von Interventionen die Stillbereitschaft nach der Geburt zu fördern, ist die Wirksamkeit bereits bewiesen. Seit einiger Zeit gilt nun die Unterstützung durch gleichrangige oder anerkannte Bezugspersonen ("peer") der jungen Mütter oder auch deren Vorbild im Vorfeld der Geburt als eine Intervention, die verspricht, die Stillraten zusätzlich zu erhöhen. Darüber ob der erwartete Effekt dieser Interventionsform eintritt, gab es bisher zwar eine Menge Plausibilität aber keine methodisch unverzerrten und schlüssigen Belege, beispielsweise durch randomisierte kontrollierte Studien.

Eine britische ForscherInnengruppe hat dies nun im Rahmen eines systematischen Reviews der dazu vorliegenden randomisierten kontrollierten Studien, Quasi-RCTs und Kohortenstudien genauer zu klären versucht. In ihre Untersuchungen gingen insgesamt 11 Studien mit 5.445 Frauen ein. Sieben dieser Studien mit 4.416 Frauen untersuchten generelle Unterstützungsangebote (z.B. mehrmalige Gespräche und Beratung) von gleichrangigen und anerkannten Personen an alle schwangeren Frauen. Die restlichen vier Studien mit 1.029 Teilnehmerinnen untersuchten gezielte "peer"-Angebote für diejenigen Schwangeren, die sich bereits überlegten, ihre Kinder zu stillen. Die Angehörigen der jeweiligen Kontrollgruppe wurden im Rahmen der Standardversorgung von Schwangeren von Ärzten oder Hebammen über den Sinn und die Möglichkeit des Stillens informiert.

Die wichtigsten Ergebnisse:

• Eine generelle vorgeburtliche Beratung und Unterstützung durch "Vorbild-Personen" führt nicht zu einer statistisch signifikanten Erhöhung der Stillrate bzw. der Reduktion der Rate nichtstillender Mütter. Das signifikante relative Risiko einer Nichtinitiierung von Stillen war 0,96
• Etwas anders sieht es dann aus, wenn dieses Unterstützungsangebot gezielt bei bereits interessierten Frauen platziert wird: Aber auch dort konzentriert sich der signifikant höhere Effekt in den bisherigen Studien bei den hispanischen Frauen mit niedrigem Einkommen in den USA. In einer Gruppe, wo 75 von 100 Frauen das Stillen wählen, führte eine gezielte "peer"-Unterstützung dazu, dass 9 zusätzliche Frauen zu stillen beginnen. Das relative Risiko, dass die Frauen nicht stillten, war hier 0,64.
• Da die Studienergebnisse sich insgesamt auf nur wenige Studien stützen können und diese auch keineswegs ein homogenes Wirksamkeitsbild liefern, empfehlen die ForscherInnen zu Recht weitere "high-quality evaluation". Dort sollte auch die mögliche additive Wirkung von vorgeburtlicher Unterstützung und der Unterstützung beim Stillen unmittelbar nach der Geburt untersucht werden.

Trotz seiner selbst erkannten Grenzen zeigt dieser Review, dass ansonsten als wirksam anerkannte Interventionsformen keineswegs immer zu den gewünschten Wirkungen führen müssen, sondern von Anwendungsbereich zu Anwendungsbereich neu nach der spezifischen Wirkung gefragt werden muss. Außerdem zeigen sich erneut Grenzen von universellen oder "Gießkannen"-Interventionen.

Die komplette Studie "Effect of antenatal peer support on breastfeeding initiation: a systematic review" von Lucy Ingram, Christine MacArthur, Khalid Khan, Jonathan J. Deeks und Kate Jolly ist in der kanadischen Fachzeitschrift "Canadian Medical Association Journal (CMAJ)" am 9. November 2010 (2010, 182 (16): 1739-1746) und kostenlos erhältlich.

Bernard Braun, 9.11.10


Das "Behandlungs-Risiko-Paradox": Steigende Anzahl von Ultraschalluntersuchungen schwangerer kanadischer Frauen = höhere Risiken?

Artikel 1731 Eines der Vehikel der Medikalisierung, Pathologisierung und Risikoisierung von Schwangerschaft und Geburt sind die Ultraschalluntersuchungen der Schwangeren. In einer unheiligen Allianz neugieriger Eltern ("Babyfernsehen") und Ärzten, für die mittlerweile nach den Indikatoren des deutschen Mutterpasses 75% aller Schwangerschaften Risikoschwangerschaften sind und die Ultraschalluntersuchungen auch als Individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) anbieten, nimmt die Anzahl dieser Untersuchungen auch hier zu Lande zu. Unklar bleibt bisher in Deutschland, ob die Zunahme nicht doch gerechtfertigt sein könnte, d.h. die so untersuchten Frauen vielleicht doch ein höheres Risiko haben und das Ganze daher Mutter und Kind zu gute kommt.

Etwas Licht in das Geschehen wirft jetzt eine in der neuesten Ausgabe des "Canadian Medical Association Journal (CMAJ)" vom 9. Februar 2010 veröffentlichte Untersuchung der Entwicklung in Kanada.
Für alle vorgeburtlichen Ultraschalluntersuchungen bei 1.399.389 Einzelgeburten zwischen 1996 und 2006 im Bundesstaat Ontario bzw. im "Ontario Health Insurance Plan" wurde die Rate der Untersuchungen pro 1.000 Schwangere berechnet. Außerdem wurde das relative Risiko eine solche Untersuchung zu erhalten für jedes Jahr berechnet. Das relative Risiko wurde für das Alter der Mutter, ihr Einkommen, die Wohngegend (Stadt/Land) mütterliche Komorbidität, dem Erhalt genetischer Beratungen und einer Fruchtwasserpunktion und nach den möglicherweise in früheren Schwangerschaften erlittenen Komplikationen adjustiert. Mittels mehrerer dieser Indikatoren wurden die Teilnehmerinnen der Studie als "high-risk"- oder "low-risk"-Personen klassifiziert.

Die Ergebnisse sahen u.a. so aus:

• Die Rate vorgeburtlicher Ultraschalluntersuchungen stieg von 2.055 Untersuchungen pro 1.000 Schwangerschaften im Jahr 1996 auf 3.264 in 2006 (adjustiertes relatives Risiko [RR] 1.55).
• Die Rate stieg sowohl bei Frauen mit niedrigem ( adj. RR 1.54) und hohem (adj. RR 1.55) Schwangerschaftsrisiko.
• Der Anteil der Schwangeren mit wenigstens vier Untersuchungen im zweiten und dritten Schwangerschaftsabschnitt stieg von 6,4% im Jahr 1996 auf 18,7% in 2006 (adjustiertes RR 2.68).
• Paradoxerweise war diese Zunahme mehr bei Frauen mit einer Niedrig-Risiko-Schwangerschaft (adj. RR 2.92) zu finden als bei Frauen mit einer Hochrisikoschwangerschaft (adj. RR 2.25).

Die kanadischen ForscherInnen hoben in ihrer Interpretation und Diskussion der Ergebnisse hervor, dass ein substantieller Anteil der Nutzung von Ultraschalldiagnostik in dem untersuchten Jahrzehnt nicht Änderungen im gesundheitlichen Risiko der werdenden Mütter reflektiert. Der größte Teil des Ultraschallgeschehens bei Schwangeren gehöre zu der wachsenden Menge von gesundheitsbezogenen Interventionen, die zwar meistens für Personen mit hohem Risiko von Nutzen sind, aber überwiegend Personen mit geringem Risiko angeboten werden.

Dieses so genannte "treatment-risk-paradox" ist u.a. auch im Arzneimittelbereich weit verbreitet.

Im Kontext der Ultraschalluntersuchungen verweisen die Autoren einerseits noch auf eine Reihe von nicht-klinischer anbieter- oder angebotsinduzierter Erklärungsfaktoren: "These factors may include the practice of defensive medicine, the desire to reassure a patient that her pregnancy is progressing normally, patient demand and even the "entertainment" value of seeing one's fetus."

Andererseits geben sie die Gefahr zu bedenken, dass durch die Untersuchung kein gesundheitlicher Nutzen entsteht, möglicherweise aber Schaden durch die kontrovers untersuchten Risiken der Diagnostik: "Although the benefits of prenatal ultrasonography in high-risk pregnancies may be clearer, the value of repeat ultrasonography in low-risk patients is not. Prenatal ultrasonography is widely regarded as safe. However, some studies have suggested that frequent prenatal ultrasonography may be associated with intrauterine growth restriction, delayed speech and non-righthandedness."

Alles in Allem wird eine wirksame und dauerhafte Änderung der Verhaltensweisen von Ärzten und mancher Erwartungen von Schwangeren dank der hier nur angerissenen Komplexität der möglichen Einflussfaktoren nicht einfach sein.

Der Aufsatz "Proliferation of prenatal ultrasonography" von John J. You, David A. Alter, Therese A. Stukel, Sarah D. McDonald, Andreas Laupacis, Ying Liu und Joel G. Ray ist in der kanadischen Medizin-Fachzeitschrift CMAJ (CMAJ (182[2]: 143-151) erschienen und komplett kostenlos zugänglich.

Bernard Braun, 9.2.10


Kurse zur Geburtsvorbereitung mit Atmungs- und Entspannungstechniken sind nicht effektiver als traditionelle Kurse

Artikel 1638 Der Besuch von vorgeburtlichen Kursen, die werdende Mütter und Väter mit speziellen natürlichen Techniken des Atmens und der prophylaktischen Entspannung auf eine möglichst natürliche, leidens- und angstarme Geburt vorbereiten sollen, ist im Vergleich mit überwiegend kognitiven Geburtsvorbereitungen (schriftliche und audiovisuelle Medien) nicht sonderlich erfolgreicher. Beide Vorbereitungskurstypen umfassen in etwa 8 Stunden. Dies ist das Ergebnis einer randomisierten kontrollierten Studie mit 1.087 Frauen mit einer ersten Schwangerschaft und 1.064 Partnern an 15 vorgeburtlichen klinischen Zentren in Schweden in der Zeit zwischen Januar 2006 und Mai 2007.

Von einer natürlichen, risikofreien und nicht medikalisierten Geburt sind Mütter und Väter in vielen europäischen und nordamerikanischen Ländern weiter weg denn ja. Dies zeigt sich z.B. an den so genannten "Risikoschwangerschaften", die mittlerweile 75 Prozent aller Schwangerschaften umfassen, zeigt sich an einem über dem Niveau von 20 Prozent noch weiter ansteigenden Anteil von Kaiserschnittgeburten und dem zumindest in Deutschland konstant bei rund 90 Prozent liegenden Anteil von Krankenhausgeburten.

Gleichzeitig versuchen werdende Eltern, zumindest einen Teil der mit der Geburt und der ersten Zeit nach ihr verbundenen Leiden und Schrecken durch gezielte Vorbereitungskurse für eine "natürliche Geburt" zu verhindern oder wenigstens zu mildern. Sie wollen insbesondere die wegen großer Geburtsschmerzen notwendige örtliche Betäubung (so genannte Epiduralanästhesie) vermeiden, ebenso die vor- und nachgeburtliche Angst vor der Geburt mildern und den elterlichen, mit der Geburt verbundenen Stress durch Rollenkonflkikte, soziale Isolierung, Partnerschaftsprobleme und allgemeine Gesundheitsprobleme minimieren. Hierzu befragten die schwedischen Wissenschaftler die Teilnehmer ihrer Studie mit standardisierten Frageinstrumenten (z.B. den Wijma Delivery Expectancy/Experience Questionnaire und den Swedish Parenthood Stress Questionnaire) ausführlich im Vorfeld und nach der Geburt.

Die Ergebnisse des Gruppenvergleichs (Teilnehmerinnen der Standardvorbereitungsgruppe gegenüber denen in der natürlichen Gruppe) hinsichtlich der kritisch bewerteten Umstände einer Geburt sahen so aus:
• Jeweils 52% beider Gruppen erhielten eine Epiduralanästhesie.
• Auch bei der erinnerten Schmerzhaftigkeit der Geburt gab es keinen Unterschied: Auf einer Skala von 0 für kein Schmerz bis 7 für schrecklichsten vorstellbarer Schmerz lagen die Werte in beiden Fällen bei 4,9.
• Auf einer Erfahrungsskala zur Geburt, die bei Frauen nach 33 Merkmalen fragt und diese auf einer Skala von 0 bis 5 (am negativsten) bewerten lässt, liegen die Frauen beider Vorbereitungsgruppen mit 49,6 (natürliche Gruppe) bzw. 50,1 (Standardgruppe) Punkten von maximal 165 negativ möglichen Punkten ebenfalls eng bei einander. Die Männer (mit einem Maximalwert von 125 Punkten) litten weniger, lagen aber auch mit 36,6 bzw. 38,2 Punkten dicht zusammen.
• Bei der Beurteilung ihrer Elternschaft anhand von 34 Faktoren bewertete ein erneut fast identischer Anteil von 77% bzw. 76% der jungen Mütter mit natürlicher oder Standard-Vorbereitungskursen drei Monate nach der Geburt ihre Elternschaft als sehr positiv. Bei den Männern waren dies 80% bzw. 78%.
• Auch intensive Analysen von Untergruppen, bei denen bestimmte Teilnehmerinnen aus der Analyse ausgeschlossen wurden, erbrachten keine qualitativ andere Ergebnisse. Bei keinem Aspekt gab es irgendeinen statistisch signifikanten Unterschied zwischen den beiden Vorbereitungsgruppen.

Der zehn Seiten umfassende Aufsatz ist kostenlos erhältlich: Bergström M, Kieler H, Waldenström U.: Effects of natural childbirth preparation versus standard antenatal education on epidural rates, experience of childbirth and parental stress in mothers and fathers: a randomised controlled multicentre trial (BJOG An International Journal of Obstetrics and Gynaecology 2009; DOI: 10.1111/j.1471-0528.2009.02144.x.)

Bernard Braun, 10.9.09


Hausgeburten sind bei Müttern mit geringem Geburtsrisiko und guter Notfall-Infrastruktur so sicher wie Krankenhaus-Entbindungen

Artikel 1538 Auch wenn es in Deutschland und einigen vergleichbaren europäischen Ländern (z. B. England und Wales 2,7 % aller Geburten in 2006) immer noch relativ wenige Geburten außerhalb von Krankenhäusern, also in Geburtshäusern oder zu Hause, gibt, liegen doch seit Jahren Daten über die Qualität dieses Teils des Geburtsgeschehens vor. Über die insgesamt positiven Ergebnisse eines der letzten "Qualitätsberichte", die regelmäßig von der von den Hebammenverbänden getragenen "Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe e. V. (QUAG)" erstellt werden, wurde im Forum-Gesundheitspolitik bereits berichtet.

Ob die Sicherheit dieser Art von Geburt auch noch gewährleistet ist, wenn ein höherer Anteil der werdenden Mütter beschließt, ihr Kind nicht in einer Klinik und dominant von Ärzten entbinden zu lassen, sondern außerstationär unter maßgeblicher Beteiligung von Hebammen, war bisher noch umstritten oder offen. Dies lag u.a. auch daran, dass es nur sehr wenige und dann auch nur kleine Studien gab, bei denen der Geburtsort bei der Randomisierung eine wichtige Rolle spielte.

Dieser unbefriedigende Zustand und damit auch die Ängste vor Sicherheitsrisiken von Hausgeburten, haben mit dem Abschluss einer landesweiten Studie in den Niederlanden ein Ende gefunden. An der Studie waren 529.688 Frauen mit einem als gering eingeschätzten Geburtsrisiko beteiligt, die während ihrer Schwangerschaft überwiegend oder primär von Hebammen betreut wurden und ihr Kind zwischen dem 1.Januar 2000 und 31. Dezember 2006 zur Welt brachten. Damit handelt es sich um die bisher größte Untersuchung über die Verteilung der Geburtsort-Präferenzen und die Sicherheit der verschiedenen Geburtsvarianten.
Für die Diskussion in Deutschland ist bereits interessant, dass 60,7 % der Frauen eine Hausgeburt geplant hatten, 30,8 % in ein Krankenhaus gehen wollten und es für 8,5% der Frauen keine Daten zum Entbindungsort gab.
Die ForscherInnen fanden, dass mehr Frauen, die eine Hausgeburt planten 25 Jahre alt und älter und Holländerinnen waren und der mittleren bis höheren Sozialschicht angehörten. Unter ihnen war der Anteil der Frauen größer, die schon zwei oder mehr Kinder hatten.

Die Sicherheit der Geburtsvarianten wurde an Hand der so genannten perinatalen Sterblichkeitsrate der Kinder während der ersten 24 Stunden des Geburtsgeschehens und während der ersten Woche nach der Entbindung gemessen.

Die Ergebnisse waren eindeutig:

• Bei den Gesamt-Sterblichkeitsraten gab es keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den Frauen, die zu Hause oder im Krankenhaus mit jeweiliger Hilfe einer Hebamme entbunden hatten.
• Kinder einer geplanten Hausgeburt mussten mit einer vergleichbaren Wahrscheinlichkeit, nämlich sieben Neugeborene pro 1.000 Neugeborene, wegen Geburtskomplikationen in einer Intensivstation für Neugeborene ("Neonatal intensive care unit (NICU)" behandelt werden wie Kinder, deren Mütter sich von vornherein für eine Entbindung im Krankenhaus entschieden hatten.
• Das Risiko für einen schlechten Verlauf bzw. Komplikationen bei der Geburt war nach den Studienergebnissen höher bei den Erstgebärenden, bei Frauen in der 37ten oder 41ten Schwangerschaftswoche (im Vergleich mit jenen Frauen, die zwischen der 38ten und 40ten Woche entbanden), bei Frauen, die 35 Jahre oder älter und unter 25 Jahren alt waren und nichtholländischer Herkunft waren. Diese Faktoren wurden beim Vergleich zwischen den geplanten Haus- und Krankenhausgeburten in Rechnung gestellt, sodass sie keine Rolle bei Unterschieden oder Nichtunterschieden spielten.
• Nahezu ein Drittel der Frauen, die eine Hausgeburt planten und auch mit ihr praktisch starteten, musste sie wegen medizinischer Komplikationen beim Fötus oder wegen der Notwendigkeit einer wirksameren Schmerzbehandlung (z. B. Epiduralanästhesie) bei der Gebärenden in einem Krankenhaus und dort in ärztlicher Behandlung beenden.
• Dass das Sterblichkeitsrisiko dieser Mütter und ihrer Kinder nicht höher war als bei Müttern, die von Beginn an ins Krankenhaus gingen, liegt nach Ansicht der WissenschaftlerInnen aber dann auch an der Schnelligkeit der Transporte und den kurzen Wegen in ein Krankenhaus innerhalb der Niederlande.

Unter der Voraussetzung, dass es sich bei den werdenden Müttern zum Zeitpunkt der Geburtssituation um "low-risk women" handelt, eine entsprechende Notfall-Infrastruktur existiert und nicht zuletzt die Schwangeren über die unerwarteten Notfallsituationen beraten wurden, die während der Geburt auftreten können und eine schnelle Reaktion erfordern, sind Hausgeburten nach der niederländischen Studie "as safe as hospital".

Künftige Forschungsarbeiten sollten u.a. die Sicherheit der Hausgeburten mit Geburten von "low-risk-women" vergleichen, die entweder für eine maßgeblich von Ärzten oder maßgeblich von Hebammen mitgetragene Geburtsvariante optierten.

Der komplette Aufsatz "Perinatal mortality and morbidity in a nationwide cohort of 529 688 low-risk planned home and hospital births" von A. de Jonge, BY van der Goes, ACJ Ravelli, MP Amelink-Verburg, BW Mol, JG Nijhuis, J Bennebroek Gravenhorst und SE Buitendijk ist in der Zeitschrift "BJOG An International Journal of Obstetrics and Gynaecology" (2009;116: 1-8) veröffentlicht und kostenlos erhältlich.

Bernard Braun, 19.4.09


Erhöhtes Asthmarisiko für geplante und Notfall-Kaiserschnittgeborene

Artikel 1400 Vor allem bei Kaiserschnittgeburten per Wunsch oder Plan sind sich die betreffenden Eltern und ihre Ärzte meist sicher, dass es sich um eine doch relativ normale, nur etwas beschleunigte und belastungsfreiere aber keineswegs mit gravierenden unerwünschten Folgen für Mutter und/oder Kind verbundene Entbindungsmethode handelt.
Angesichts der auch in Deutschland deutlichen anwachsenden Häufigkeit von Kaiserschnittgeburten sollten Ergebnisse, die diese verharmlosende Einstellung irritieren oder massiv widerlegen, mit erhöhter Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen werden.

Dies gilt dann auch für die Ergebnisse des im Juli 2008 in der Fachzeitschrift "The Journal of Pediatrics" (Volume 153, Issue 1: 112-116) veröffentlichten Aufsatzes "Cesarean Section and Risk of Severe Childhood Asthma: A Population-Based Cohort Study" von Tollanes MC, Moster D. Daltveit AK und Irgens LM.

Ausgangspunkt dieser Studie war die Beobachtung einer in Norwegen, wie in anderen westlichen Ländern, parallelen Zunahme der Prävalenz von Kinderasthma und der Rate von Kaiserschnitten. In Norwegen stieg die Kaiserschnittrate von 2% in 1967 auf 15,4% in 2004 und dem folgte in etwa die Häufigkeit des Asthams von Kindern.

Die Ergebnisse beruhen auf einer Auswertung der Daten von 1.756.700 Millionen im "Medical Birth Registry" des Public Health-Instituts Norwegens in der Zeit von 1967 bis 1998 registrierten Erst-Geburtsfälle bzw. Erstgeborenen. Die gesundheitliche Entwicklung und die Behandlungsgeschichte wurde für jeden Teilnehmer bis zu seinem 18. Lebensjahr oder bis zum Jahr 2002 dokumentiert. Die Teilnehmer wurden nach der Art der Geburt unterschieden, d.h. ob sie spontan oder mittels Instrumenten (z.B. Saugglocke) vaginal oder als Notfall oder geplant per Kaiserschnitt geboren wurden. Bei den Teilnehmern wurde gezielt mit Daten der Nationalen Krankenversicherung nach dem Auftreten von Asthma gesucht.

Die kumulative Inzidenz (Neuauftreten) von Asthma betrug insgesamt 4 Fälle pro 1.000 Personen. Kinder, die mit einem Kaiserschnitt entbunden worden waren, hatten ein um 52 % erhöhtes Risiko an Asthma zu erkranken als spontan vaginal, also "natürlich" zur Welt gekommene Kinder bzw. im weiteren Zeitverlauf junge Erwachsene. Das Auftreten von Asthma unterschied sich für die zwischen 1988 und 1998 (nur in diesem Zeitraum wurde nach Notfall- und Plan-Kaiserschnitt unterschieden) per Kaiserschnitt geborenen Personen nochmals deutlich: Notfall-Kaiserschnittgeborene hatten gegen "natürlich" Geborene ein um 59% und Plan-Kaiserschnittgeborene ein um 42% erhöhtes Asthmarisiko. Kinder, die z. B. mit einer Saugglocke geboren wurden, hatten ein leicht erhöhtes Asthmarisiko.

Woran das spürbar höhere Risiko von Kindern, die per Kaiserschnitt auf die Welt kamen, an Asthma zu erkranken liegen könnte, führen die Forscher auf zwei Faktoren zurück:

• Erstens sind Kaiserschnittkinder während der Entbindung nicht den mütterlichen Bakterien im natürlichen Geburtskanal ausgesetzt, die eine wesentliche Funktion bei der Herausbildung und Stärke des kindlichen Immunsystems spielen. Die "initial colonization with the 'wrong' microbes" des Operationssaales bei Kaiserschnittgeburten kann langfristig unerwünschte Auswirkungen auf das kindliche Immunsystem haben.
• Zweitens bewirken bestimmte Bedingungen einer Kaiserschnittentbindung (z.B. eine unvollkommene Entleerung der kindlichen Lungen von bestimmten Gasen) eine Reihe von Atmungsprobleme, die wiederum langfristige Auswirkungen auf das Auftreten von Asthma haben können. Warum Kinder, die per Notfall-Kaiserschnitt entbunden wurden eine höhere Asthmainzidenz haben als per Plan operativ Geborene, ist allerdings mit diesen Theorien nicht zu erklären.

Wie viele anderen methodisch ähnlichen Studien leidet auch diese darunter, dass sie trotz des großen Aufwandes keine weiteren möglichen Risikofaktoren für Asthma berücksichtigt hat. Für eine jüngere Vermutung eines Zusammenhangs von Asthma und Stillen gab es nach Angaben der norwegischen Forscher keine überzeugende empirische Evidenz. Ähnliches trifft auf mögliche Zusammenhänge mit dem Rauchverhalten der Eltern oder für eine nicht berücksichtigte Asthmaerkrankung der Mutter zu. Zu diesen bereits von Tollanes et al. konzedierten Lücken käme noch der soziale Status oder die Wohngegend der heranwachsenden Kinder hinzu, die in anderen Studien auch als mögliche Einflussfaktoren identifiziert wurden.

Trotz allem liefert die Studie wichtige Hinweise auf das Asthmarisikos für Kaiserschnitt-Kinder, das insbesondere bei geplanten Kaiserschnittgeburten ernsthaft thematisiert und abgewogen werden sollten.

Über die Ergebnisse des Aufsatzes "Cesarean Section and Risk of Severe Childhood Asthma: A Population-Based Cohort Study" von Tollanes MC, Moster D. Daltveit AK und Irgens LM gibt es sowohl einAbstract als auch ein 6-seitige Komplettfassung- beide kostenlos.

Bernard Braun, 16.11.08


Schwangere nehmen zugunsten einer natürlichen Geburt höhere Risiken in Kauf - Ärzte tendieren schneller zum Kaiserschnitt

Artikel 1330 Schwangere Frauen, denen zum ersten Mal eine Geburt bevorsteht, nehmen im Vergleich zu Ärzten und Hebammen sehr viel höhere Risiken einer Vaginalgeburt in Kauf, bevor sie sich für eine Geburt per Kaiserschnitt entscheiden. Medizinische Berufe (Geburtshelfer, Hebammen, Gynäkologen, Chirurgen) sind demgegenüber sehr viel schneller und auch schon bei geringfügigeren Risiken geneigt, den Frauen einen Kaiserschnitt zu empfehlen. Dies ist das Ergebnis einer australischen Studie, die jetzt in der Zeitschrift "BJOG: An International Journal of Obstetrics & Gynaecology" veröffentlicht wurde.

An der Studie beteiligt waren 102 schwangere Frauen, denen eine Erstgeburt bevorstand, 84 Hebammen, 166 Geburtshelfer/innen, 12 Gynäkologen und 79 spezialisierte Chirurgen. Bei den Frauen wurden persönliche Interviews durchgeführt, die medizinischen Berufe beantworteten einen Fragebogen schriftlich. Im Vordergrund stand dabei die Frage: Bei welcher Art von medizinischem Risiko würden die betroffenen Frauen auf eine natürliche Vaginal-Geburt verzichten und sich für einen Kaiserschnitt entscheiden? Bei den Ärzten und Geburtshelfern lautete die Frage ähnlich, nämlich ab wann sie den Frauen einen Kaiserschnitt nahe legen würden.

Als hypothetische Risiken, die vor, im Verlauf oder nach einer Geburt auftreten können , wurden dann insgesamt 17 Aspekte genannt, zu denen jeweils eine Entscheidung zu treffen war: Wenn dies real eintreten sollte oder als zukünftige Folge mit großer Wahrscheinlichkeit absehbar war, würde man die Entscheidung für eine Vaginalgeburt revidieren und sich in diesem Fall dann für einen Kaiserschnitt entscheiden? Dabei wurden eher geringfügige Risiken wie zum Beispiel längere Dauer der Geburt oder Schmerzen bei der Geburt ebenso genannt wie sehr schwerwiegende Risiken wie spätere anale oder urogenitale Inkontinenz.

Die Antwort-Häufigkeiten wurden dann in sogenannte "utility scores" umgewandelt, die zwischen den Werten 0 und 1 variieren. Ein Wert von 1 oder sehr nahe dabei wie 0.95 bedeutet, dass die Frauen nahezu durchgängig bei ihrer Entscheidung für eine Vaginalgeburt bleiben, während umgekehrt ein sehr niedriger, nahe Null gelegener Zahlenwert bedeutet: Ein überaus großer Teil der Befragten entscheidet sich neu zugunsten eines Kaiserschnitts.

Im Vergleich dieser Werte bei den schwangeren Frauen und den medizinischen Berufen wurde dann deutlich: Bei allen genannten Risiken sind die medizinischen Experten sehr viel öfter bereit, einen Kaiserschnitt zu empfehlen. So lag beispielsweise der utility-score für das potentielle spätere Risiko "schwere urogenitale Inkontinenz" bei den Frauen bei 0,51, bei Hebammen: 0,23; bei Geburthelfern: 0,10; bei Gynäkologen: 0,05; bei Chirurgen: 0,02.

Bei der Frage, welche Art von Geburt die Betroffenen grundsätzlich bevorzugen, wurde deutlich: Für die Vaginalgeburt stimmen 93% der Frauen, 86% der Hebammen, 78% der Geburtshelfer/innen, 50% der Gynäkologen und 48% der Chirurgen.

Die Wissenschaftler interpretieren ihre Befunde so, dass medizinische Berufe vermutlich deshalb eher zu einem Kaiserschnitt raten, weil ihnen aus ihrer Vergangenheit noch eine Reihe von Negativerfahrungen mit Vaginalgeburten präsent sind, so dass in ihrer Entscheidung fürsorgliche Motive zum Ausdruck kommen. Fragen muss man dann allerdings, warum die Ärzte, Geburtshelfer/innen und Hebammen in ihre Fürsorge nicht auch jene Risiken einschließen, die mit einem Kaiserschnitt verbunden sind und über die in letzter Zeit sehr oft berichtet wurde. Und deutlich wurde mit dieser Studie erneut, dass ein Kaiserschnitt nicht von vornherein ein vorrangiger Wunsch schwangerer Frauen ist, sondern erst in der Kommunikation mit Ärzten und medizinischen Helfern heranwächst.

Ein Abstract der Studie ist hier nachzulesen: CE Turner u.a.: Vaginal delivery compared with elective caesarean section: the views of pregnant women and clinicians (BJOG: An International Journal of Obstetrics & Gynaecology, Published Online: 26 Aug 2008, doi: 10.1111/j.1471-0528.2008.01892.x)

Über die Risiken von Kaiserschnitt-Geburten wurde im Forum Gesundheitspolitik schon gehäuft berichtet, unter anderem hier:
Kaiserschnitte sind populär, aber risikobehaftet
Babies nach medizinisch nicht notwendigen Kaiserschnitt-Geburten weisen ein höheres Risiko von Atemwegs-Erkrankungen auf
Doppelt so hohe Krankheitsrisiken für Mütter nach geplanten Kaiserschnitt-Geburten
Geplante Kaiserschnitt-Geburten: Höhere Risiken als bislang angenommen

Über die sozialen und ökonomischen Hintergründe der zunehmenden Quote an Kaiserschnitt-Geburten berichteten wir hier:
Geburt per Kaiserschnitt: Wie der Wandel gesellschaftlicher Normen auch die Wünsche Schwangerer beeinflusst
Mehr Kaiserschnitt-Geburten, weniger Sonntagskinder - aufgrund ökonomischer Klinik-Kalküls
Kaiserschnitt-Geburt: Kein Wunsch von Frauen
Immer weniger Sonntagskinder, immer mehr Wunsch-Kaiserschnitte

Gerd Marstedt, 27.8.2008


Geburten unter schlechten ökonomischen Rahmenbedingungen erhöhen das Mortalitäts-Risiko durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Artikel 1316 Tödliche Herz-Kreislauf-Erkrankungen im hohen Lebensalter können auch verursacht sein durch ungünstige ökonomische Rahmenbedingungen zum Zeitpunkt der Geburt. Dies ist das Ergebnis einer Studie, die das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) jetzt veröffentlicht hat. Wenn zum Zeitpunkt der Geburt eines Kindes ungünstige wirtschaftliche Rahmenbedingungen herrschen, führt dies zu einem deutlich höheren Risiko, dass die betreffende Person später an Herz-Kreislauf-Erkrankungen stirbt. Kinder, die in Rezessionszeiten geboren wurden, sterben im Durchschnitt 15 Monate früher als diejenigen, die unter besseren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zur Welt kamen. Hauptgrund dafür ist ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Eine Forschergruppe um IZA-Programmdirektor Gerard van den Berg (Freie Universität Amsterdam) ist angesichts dieses Befunds der Frage nachgegangen, welche Ursachen hierfür maßgeblich sind.

Den Forschern standen Daten für Personen zur Verfügung, die um das Jahr 1900 geboren wurden. Ein solch weiter Blick in die Vergangenheit ist notwendig, um die langfristigen Auswirkungen auf die Sterblichkeit festzustellen. Als besonders geeignet erwiesen sich Daten zu dänischen Zwillingen, da deren Todesursachen über Jahrzehnte hinweg systematisch dokumentiert wurden. Zudem ließen sich anhand dieser Daten Zusammenhänge zwischen den Gesundheitszuständen der Zwillingspaare ermitteln. In der Tat zeigten sich dabei auffällige Ähnlichkeiten im Gesundheitsbild der Zwillinge, die in "schlechten Zeiten" geboren wurden. "Erstaunlich ist, dass die negativen gesundheitlichen Auswirkungen einer Geburt in Rezessionszeiten oft erst siebzig bis achtzig Jahre später bemerkbar werden", erklärte Gerard van den Berg. "Bis in dieses Alter lassen sich keine Auffälligkeiten feststellen, auch das Krebsrisiko ist annähernd gleich. Dann aber wächst das Risiko einer lebensbedrohlichen Herz-Kreislauf-Erkrankung für diese Gruppe deutlich an."

Als Ursache für den Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Lage zum Geburtszeitpunkt und dem Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen die Forscher insbesondere die Kombination von unzureichender Ernährung und mangelnder medizinischer Infrastruktur in der frühen Lebensphase an. Ein rezessionsbedingt geringes Haushaltseinkommen ist offenbar weniger schädlich für die langfristige Gesundheit eines Neugeborenen, sofern in der Umgebung gute Gesundheits- und Hygieneeinrichtungen vorhanden sind. Denkbar ist nach Ansicht der Forscher allerdings auch, dass sich Stress, dem die Eltern eines Neugeborenen in wirtschaftlich schlechten Zeiten ausgesetzt sind, auf die Kinder überträgt und die Anfälligkeit für Herzkrankheiten erhöht.

Zwar lassen sich die Ergebnisse der Analyse nicht ohne weiteres auf heute Geborene übertragen. Trotz medizinischen Fortschritts und verbesserter Hygienebedingungen spricht jedoch einiges dafür, dass heute andere Risikofaktoren wie Stress und falsche Ernährung eine ähnliche Wirkung entfalten. Dass ein Zusammenhang zwischen Wirtschaftslage und Krankheitsrisiko besteht, wird auch durch weitere Untersuchungen untermauert, denen zufolge ein niedriges Geburtsgewicht, das häufiger in Rezessionszeiten anzutreffen ist, negative Auswirkungen auf die Gesundheit im höheren Erwachsenenalter hat. Nach den Ergebnissen der Studie könnte es sinnvoll sein, unter widrigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geborene Jugendliche bereits zu einem frühen Zeitpunkt auf Indikatoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen hin zu untersuchen und gegebenenfalls vorbeugende Maßnahmen anzubieten, darunter auch Programme zur Förderung gesunder Ernährung.

Der Volltext der englischsprachigen Studie (PDF, 45 Seiten) ist kostenlos hier verfügbar: Gerard J. van den Berg u.a.: Being Born Under Adverse Economic Conditions Leads to a Higher Cardiovascular Mortality Rate Later in Life: Evidence Based on Individuals Born at Different Stages of the Business Cycle (IZA Discussion Paper No. 3635, Bonn: August 2008)

Gerd Marstedt, 12.8.2008


Kaiserschnitte sind populär, aber risikobehaftet

Artikel 1314 Kaiserschnitte erfreuen sich auch in Deutschland zunehmender Beliebtheit. Mittlerweile erblickt mehr als ein Drittel der hierzulande geborenen Kinder das Licht der Welt nicht auf natürlichem Wege. Damit hat sich die Häufigkeit der Schnittentbindungen in den letzten beiden Jahrzehnten mehr als verdoppelt. Was bei Komplikationen und schwierigen Geburten ein Segen ist, bleibt indes nicht gänzlich folgenlos für die Neugeborenen. Eine umfangreiche mehrjährige Untersuchung aus der Universitätsklinik im dänischen Aarhus, die jetzt in der renommierten englischen Fachzeitschrift British Medical Journal (336 (7635), S. 85-87) unter dem Titel Risk of respiratory morbidity in term infants delivered by elective caesarean section: cohort study veröffentlicht wurde, zeigte nämlich, dass Kaiserschnittkinder bedeutend häufiger unter Atmungsproblemen bis hin zu schweren Erkrankungen der Atemwege leiden.

Die dänischen Forscherinnen und Forscher werteten die Daten von fast 35.000 Kindern aus, die zwischen 1998 und 2006 in der gynäkologischen Abteilung ihrer Universitätsklinik ohne angeborene Probleme zwischen der 37. Und der 41. Schwangerschaftswoche zur Welt kamen. Die Häufigkeit von Kaiserschnittgeburten lag in diesem Zeitraum insgesamt bei knapp 16 %, wobei nur jede zweite Schnittgeburt aufgrund von Komplikationen erforderlich war, während alle übrigen geplant waren.

Medizinisch indizierte Schnittgeburten bei Gefahr für Mutter und Kind sind unvermeidbar und tragenerheblich zur Senkung von geburtsbedingter Sterblichkeit bei. Daher konzentrierten sich die dänischen Gynäkologinnen auf so genannte elektive Kaiserschnitte, bei denen sich Arzt und Patientin im Vorfeld und unabhängig vom Geburtsverlauf darauf einigen, das Kind operativ zur Welt zu bringen. Also verglichen sie die Atemwegsprobleme von elektiven Kaiserschnittkindern mit denen von Säuglingen, die normal oder per Notfalloperation das Licht der Welt erblickten.

Dabei zeigte sich, dass Neugeborene bei freiwilligen Kaiserschnitten bis zu vier Mal häufiger unter Luftnot, beschleunigter Atmung und Lungenhochdruck litten als normal entbundene Kinder. Einer von 40 Säuglingen, die per geplantem Kaiserschnitt geboren wurden, brauchte sogar eine dreitägige oder längerfristige maschinelle Beatmung. Erhöhte Komplikationsraten ließen sich vor allem für Geburten in der 37. Und 38. Schwangerschaftswoche nachweisen. In der 39. Woche waren sie geringer ausgeprägt und in der 40 nicht nachweisbar, wobei hier auch nur noch jedes 85. Kind durch einem geplanten Kaiserschnitt zur Welt kam, was die statistische Aussagekraft einschränkt.

Überraschend ist dieses Ergebnis übrigens gar nicht, lernt doch jeder Medizinstudent bereits im vorklinischen Physiologiekurs, dass der Geburtsstress und vor allem die darunter heftig ansteigende Ausschüttung von Kortison beim Neugeborenen die Bildung des so genannten surfactant factor anregt. Diese Substanz erhöht die Oberflächenspannung der Lungenbläschen und verhindert, dass sie bei der Ausatmung kollabieren. Kaiserschnittkindern fehlt der Anreiz zur erhöhten Kortisonproduktion und somit zur Bildung des Überzugs über die Lungenbläschen, die dadurch leichter zusammenfallen und die Atmung behindern können. Diese Argumentation verfolgt auch ein deutschsprachiger Beitrag der Vereinigung Lungenärzte-im-Netz.

Aufgrund des schön früher beobachteten erhöhten Risikos von Atmungsproblemen bei Kaiserschnittkindern Die von Peter Stutchfield, Rhionnan Whitaker and Ian Russell durchgeführte, 2005 ebenfalls im British Medical Journal veröffentlichte Studie Antenatal betamethasone and incidence of neonatal respiratory distress after elective caesarean section: pragmatic randomised trial aus dem BMJ 331 (7518). S. 662-664, die hier kostenfrei als Volltext herunterzuladen ist, hatte bereits 2005 gezeigt, dass nach 37 Schwangerschaftswochen (SSW) 11.4 %, nach 38 SSW 6.2 % und nach 39 SSW 1.5 % der Kaiserschnittkinder wegen Atemproblemen eine Spezialbehandlung brauchten.

Nun könnte man denken, da ließe sich doch Abhilfe schaffen, indem Kaiserschnitt entbundene Neugeborene einfach ein bisschen Kortison erhalten, damit es mit der intra-alveolären Oberflächenspannung und der Atmung schön klappen möge. So untersuchten Stutchfield et al., was die Gabe von Kortikosteroiden kurz vor der Niederkunft per Kaiserschnitt bewirkte. Und es zeigte sich ein interessantes Ergebnis: Erhielten die werdenden Mütter in den letzten 48 Stunden vor der Geburt hoch dosiertes Kortikoson, lag die Komplikationsrate bei weniger als der Hälfte, nämlich in der 37. SSW bei 5.2 %, in der 38. SSW bei 2.8 % und in der 39. SSW bei 0.6 %. Zwar fanden Stuart Dalziel, Vanessa Lim, Anthony Lambert, Dianne McCarthy, Varsha Parag, Anthony Rodgers und Jane Harding bei einmaliger Gabe von Betamethason keine messbaren Effekte auf die kognitive und psychische Entwicklung der Neugeborenen, wie sie in ihrem Artikel Antenatal exposure to betamethasone: psychological functioning and health related quality of life 31 years after inclusion in randomised controlled trial in der Ausgabe 331 (7518) des BMJ zeigen, der ebenfalls kostenfrei hier zur Verfügung steht.

Doch so leicht lässt sich die Natur auch wieder nicht ins Handwerk pfuschen. Bedauerlicherweise haben nämlich Kortisongaben in der Schwangerschaft eine Reihe von unerwünschten Effekten; so verzögern sie die Myelinisierung des Gehirns sowie das Wachstum bestimmter Gehirnteile der Neugeborenen, sie rufen erhöhten Blutdruck hervor, haben hemmenden Einfluss auf das Gesamtwachstum und verursachen Verhaltensstörungen in der Entwicklung des Kindes. Derselbe Autor, der im BMJ ausbleibende unerwünschte Wirkungen einmaliger hochdosierter Kortisongaben bei der intellektuellen und psychischen Entwicklung Neugeborener aufzeigte, verwies in einem Artikel im Lancet 365 (9474), S. 1856-1862, auf die durch einmalige hoch dosierte Gabe von Kortikosteroiden erhöhte Gefahr hyperglykämischer Stoffwechsellagen und der Ausbildung eines Diabetes mellitus sowie kardiovaskulärer Erkrankungen hin. Von diesem Beitrag aus dem Lancet ist für Nicht-AbonentInnen allerdings nur das Abstract kostenfrei einsehbar.

Eine Überblickseinschätzung der Wirkungen und Risiken von Kortisonbehandlungen im Vorfeld von Kaiserschnitten liefert der Londoner Professor Philipp Steers für Geburtshilfe in seinem Leitartikel Giving steroids before elective caesarean section in der Ausgabe 331 (7518) des BMJ; dieses Editorial steht ebenfalls kostenfrei zur Verfügung.

Frauenärzte wie der Direktor der Klinik für Geburtshilfe der Berliner Charité, Professor Joachim Dudenhausen, zweifeln im Übrigen die Bedeutung der dänischen Studie an und warnen vor übereilten Rückschlüssen. Dazu führt er nicht nur einen vielsagenden Begriff ein, der die Kategorie zwischen "medizinisch indizierten" und "elektiven, also geplanten" Kaiserschnitten verwischen soll, in dem er von "medizinisch begründeten, geplanten Kaiserschnitten" spricht. Gleichzeitig übergeht er geflissentlich das Ergebnis der Aarhuser Studie, dass auch in der 39. Schwangereschaftswoche das Risiko einer Atemwegserkrankung von neugeborenen elektiven Kaiserschnittkindern immerhin noch doppelt so groß ist wie bei Normalgeborenen. die Ausgabe 3/2008 von G+G Wissenschaft zitiert Dudenhausen mit folgender Einschätzung: "Das Ergebnis kann wichtig sein für die Terminierung eines medizinisch begründeten, geplanten Kaiserschnitts. Wenn dabei das relative Risiko für Atemwegserkrankungen bei Neugeborenen in der 37. Und 38. Woche höher ist, in der 39. aber nicht, muss der Termin entsprechend gewählt werden. Die Auswertungen erlauben diesen Schluss aber nicht eindeutig. Wünschenswert wäre, den Anteil der Kinder in beiden untersuchten Gruppen zu kennen, bei denen übersäuertes Blut auf eine Mangelversorgung mit Sauerstoff hindeutete oder die nach der Geburt eine herabgesetzte oder fehlende Atmung aufwiesen; zudem sind die "Atemwegserkrankungen" nicht präzise definiert. Keinesfalls lässt sich mit dieser Studie über die Berechtigung und Sinnhaftigkeit der Rate von Schnittentbindungen argumentieren."

Doch diese Position sicherlich nur zum Teil evidenzbasiert, schließlich spielen die Interessen der Anbieter eine entscheidende Rolle. In Zeiten von Fallpauschalen und knapper Kassen in deutschen Krankenhäusern ist es mehr als wahrscheinlich, dass die bessere Bezahlung die Entscheidung zu Schnittgeburten beflügelt. Dieser Effekt ist hierzulande bei Weitem nicht so ausgeprägt wie beispielsweise in Chile, wo die Kaiserschnittrate je nach Versicherungsstatus zwischen 30 und 65 % variieren kann. Doch auch deutschen Frauen rät das Ergebnis der dänischen Studie zu größerer Vorsicht bei möglicherweise allzu leichtfertigen Entscheidungen für einen Kaiserschnitt.

Hier finden Sie die frei verfügbare Studie aus der Geburtshilflichen Abteilung der Universität Aarhus

Jens Holst, 10.8.2008


Babies nach medizinisch nicht notwendigen Kaiserschnitt-Geburten weisen ein höheres Risiko von Atemwegs-Erkrankungen auf

Artikel 1073 Säuglinge, die im Rahmen eines gewünschten, medizinisch aber nicht erforderlichen Kaiserschnitts zur Welt gebracht wurden, weisen nach einer neuen dänischen Studie eine mehrfach erhöhtes Risiko von Atemwegserkrankungen auf. Das Forschungsteam untersuchte alle Geburten an der Universitätsklinik von Aarhus in den Jahren 1998 bis 2006. Für die Analyse berücksichtigt wurden jedoch nur Geburten innerhalb der 37. bis 41. Schwangerschaftswoche. Überdies wurde eine Reihe von Fällen ausgeschlossen, bei denen sich in den Voruntersuchungen vor der Geburt Krankheitssymptome (wie Diabetes, Bluthochdruck, Wachstumsverzögerungen) gezeigt hatten.

In die Datenanalyse einbezogen wurden dann knapp 35.000 Fälle, bei denen man unterschied, ob es sich um Vaginalgeburten handelte, medizinisch erforderliche Kaiserschnitt-Geburten oder gewünschte Kaiserschnitt-Geburten ohne medizinische Indikation. Bei diesen drei Gruppen überprüfte man dann anhand der Krankenhaus-Entlassungsdaten, ob bestimmte Atemwegserkrankungen vorlagen, wobei mehrere Diagnosen nach der internationalen Klassifikation von Krankheiten (ICD 10) einbezogen wurden.

Im Vergleich der Krankheitshäufigkeiten zeigte sich dann im Vergleich von Vaginalgeburten und gewünschten Kaiserschnittgeburten ohne medizinische Indikation:
• Das Risiko einer Atemwegserkrankung des Neugeborenen lag bei allen Kaiserschnittgeburten vor der 40.Schwangerschaftswoche deutlich höher. Dieses Risiko betrug in der 39. Woche das 1.9fache, in der 38.Woche das 3.0fache und in der 37.Woche das 3.9fache.
• Noch höher fielen die Risiken aus, wenn man schwerwiegende Fälle von Atemwegserkrankungen betrachtete. Hier war das Risiko beispielsweise in der 37.Woche bei 5.0.

Bei der Analyse der Risiken wurde eine Reihe von Faktoren bei den Müttern statistisch mitberücksichtigt, darunter Rauchen, Alkoholkonsum, Body-Mass-Index, Lebensalter, Familienstand, Bildungsniveau. Die Forschergruppe vermutet in der Diskussion der Ergebnisse, dass die Kaiserschnitt-Babies einen wichtigen Entwicklungsprozess im Rahmen der Geburt nicht mitmachen. So würden während einer normalen Vaginalgeburt bestimmte Hormone freigesetzt, durch die die Lungen von Flüssigkeiten befreit werden. Darüber hinaus könne auch der mechanische Druck auf den Körper des Kindes während der Vaginalgeburt eine Funktion haben, die sich positiv auf die Atemfunktion auswirkt.

Ein kostenloses Abstract der Studie ist hier zu finden: Anne Kirkeby Hansen u.a.: Risk of respiratory morbidity in term infants delivered by elective caesarean section: cohort study (BMJ, doi:10.1136/bmj.39405.539282.BE, published 11 December 2007)

Erst unlängst hatten Studien gezeigt, dass Kaiserschnitt-Geburten wahrscheinlich bei weitem nicht so problemlos sind, wie vielfach von Ärzten behauptet und werdenden Müttern erhofft wird. Bei einer Analyse von rund 100.000 Geburten in Lateinamerika hatten sich für Kaiserschnittgeburten höhere Risiken für unterschiedliche Indikatoren (Dauer des Krankenhausaufenthalts, Notwendigkeit einer Antibiotika-Behandlung, Einweisung in eine Intensivstation) gezeigt. vgl.: "Doppelt so hohe Krankheitsrisiken für Mütter nach geplanten Kaiserschnitt-Geburten". Diese Befunde bestätigten noch einmal das Ergebnis einer anderen Studie aus Kanada und den USA. vgl. "Geplante Kaiserschnitt-Geburten: Höhere Risiken als bislang angenommen".

Gerd Marstedt, 26.12.2007


Doppelt so hohe Krankheitsrisiken für Mütter nach geplanten Kaiserschnitt-Geburten

Artikel 1014 Knapp 100.000 Geburten hat jetzt ein internationales Forschungsteam näher analysiert. Erneut wurde deutlich, dass die immer häufiger angewendete Geburtmethode per Kaiserschnitt nicht so problemlos ist, wie viele Ärzte oder auch werdende Mütter unterstellen. Mütter, die per Kaiserschnitt entbunden hatten (sowohl bei einem zuvor geplanten wie auch beim sog. "intrapartum" Vorgehen, das erst während der Geburt aufgrund von Komplikationen beschlossen wird), wiesen nach der Geburt ein doppelt so hohes Risiko von Komplikationen auf. Die Sterberate war insgesamt zwar sehr niedrig, lag bei geplanten Kaiserschnitt-Geburten aber gleichwohl mehr als dreimal so hoch wie bei natürlichen Geburten. Die Forscher fanden allerdings auch heraus, dass die Kaiserschnittgeburt bei einer Steißlage des Kindes Komplikationsrisiken senkt.

In der Studie wurden knapp 100.000 Datensätze von Geburten ausgewertet, die in über 120 Kliniken in acht Ländern Lateinamerikas in den Jahren 2004 und 2005 stattgefunden hatten. Die Daten wurden von insgesamt 15 Wissenschaftlern in den beteiligten Ländern erhoben und zentral in einem Forschungsinstitut in Stockholm in Kooperation mit der WHO aufbereitet und Analysiert. Bei der Auswahl der Kliniken achtete man auf eine Berücksichtigung unterschiedlicher Merkmale wie Finanzierung (Privatklinik oder Öffentliche Klinik), technische und personelle Ausstattung, Zahl der Geburten, Quote der Kaiserschnitt-Geburten usw.

Zentrale Befunde der Analyse, in der zahlreiche Faktoren auf Seiten der Mütter wie auch auf Seiten der Kliniken mitberücksichtigt und statistisch kontrolliert wurden, waren dann:
• Über alle ausgewerteten Indikatoren für medizinische Komplikationen hinweg (einschl. Todesfälle), weisen geplante Kaiserschnittgeburten ein 2,3 mal so hohes Risiko auf, Notfall-Kaiserschnitte ein 2 mal so hohes
• Die Sterbequote ist zwar mit 0.04% bzw. 0.06% sehr niedrig, gleichwohl aber 4-6mal so hoch wie bei Vaginalgeburten
• Das Risiko, nach der Geburt länger als 7 Tage in der Klinik bleiben zu müssen, ist um das 2.5fache erhöht
• Mütter müssen nach einer Kaiserschnittgeburt 2-3mal häufiger in eine Intensivstation eingewiesen werden
• Noch höher fällt die Quote für die Quote der Antibiotika-Behandlung aus (4-5mal höher)
• Lediglich bei einer Steißlage des Kindes erkennen die Wissenschaftler deutliche Vorteile der Kaiserschnitt-Geburtsmethode, die eine Senkung der Todesfälle bei den Säuglingen und das Risiko medizinischer Komplikationen bei den Müttern reduziert.

Die Wissenschaftler verweisen zwar darauf, dass ihre Studie einige Beschränkungen durch die Auswahl der Länder aufweist, machen aber zugleich deutlich, dass ihre Befunde sehr stark übereinstimmen mit Ergebnissen, die erst vor kurzem in den USA und Kanada veröffentlicht worden waren (vgl. "Geplante Kaiserschnitt-Geburten: Höhere Risiken als bislang angenommen").

Hier ist ein kostenloses Abstract der Studie zu finden: José Villar u.a.: Maternal and neonatal individual risks and benefits associated with caesarean delivery: multicentre prospective study (BMJ 2007;335:1025 (17 November), doi:10.1136/bmj.39363.706956.55, published 30 October 2007)

Gerd Marstedt, 18.11.2007


Mehr Kaiserschnitt-Geburten, weniger Sonntagskinder - aufgrund ökonomischer Klinik-Kalküls

Artikel 0956 Der Trend ist Experten bereits seit längerem bekannt: Die Zahl der Vaginalgeburten sinkt in vielen Ländern, während gleichzeitig die geplanten (also nicht aufgrund eines Notfalls während der Geburt spontan beschlossenen) Kaiserschnitte deutlich ansteigen. In Deutschland lag die Quote im Jahr 2003 etwa bei 26%, in den USA bei 30%, also noch deutlich unter Quoten wie sie etwa aus Griechenland oder Brasilien bekannt sind, wo dies bei zwei Dritteln aller privat versicherten Mütter der Fall ist. Alexander Lerchl, Professor an der "Jacobs University Bremen", hat nun noch einmal Daten für Deutschland und die Schweiz detailliert analysiert.

In Deutschland wurden alle 706.000 Geburten des Jahres 2003 näher unter die Lupe genommen. Es zeigte sich, dass Kaiserschnitt-Geburten ganz überwiegend an Werktagen (Montag bis Freitag) stattfinden, am Wochenende liegt die Quote um etwa 15% unter dem zu erwartenden Wert. Im Durchschnitt liegt die Quote der Kaiserschnittgeburten bei 25.5%, mit einem Minimum von 19% in Sachsen und Sachsen-Anhalt und einem Maximum von 31% im Saarland. Zwischen der Kaiserschnittquote (als Anteil an allen Geburten) und dem Wochentag der Geburt (Werktag oder Wochenende) zeigt sich dabei ein sehr enger statistischer Zusammenhang. In ähnlicher Weise ist auch die Zahl der Geburten durch eine Hebamme dann besonders niedrig, wenn die Kaiserschnittquote in einem Bundesland hoch ausfällt.

Ähnliche Befunde zeigen sich auch für die Schweiz, wo die Quote der Kaiserschnittgeburten in nur einem Jahr fast um die Hälfte gestiegen ist, nämlich von 20.5% im Jahr 2004 auf 29.2% im Jahr 2005. Für die Schweiz konnte Lerchl noch einen anderen Zusammenhang finden, als er die Daten der Jahre 1970-2005 verglich. Dort zeigt sich ein sehr hoher Zusammenhang zwischen der Zahl jährlicher Geburten und der "Wochenend-Vermeidungsquote". Die in der Schweiz sinkende Zahl der Geburten (von jährlich 100.000 im Jahr 1970 auf etwa 70.000 in 2005), und die damit sinkenden Klinik-Einnahmen werden von Krankenhäusern wettgemacht durch eine höhere Zahl von Kaiserschnitt-Eingriffen - so die Interpretation des Wissenschaftlers.

Aber auch für Deutschland erkennt Lerchl hinter dem neuen Trend zumindest teilweise ökonomische Kalküls der Kliniken und weniger andere Gründe wie eine generelle Verschlechterung des Gesundheitszustands werdender Mütter oder einen kulturellen Wandel, der zu vermehrten Wünschen geführt hat nach einer zeitlich planbaren Kaiserschnittgeburt anstelle einer schwer berechenbaren Vaginalgeburt. Krankenhaus-Arbeit, so seine Argumentation, ist am Wochenende und besonders sonntags, aber auch nachts erheblich teurer als an Werktagen. An Sonntagen sind hier für die Beschäftigten Einkommens-Zuschläge von 25 Prozent fällig, was den ökonomischen Wunsch von Klinik-Verwaltungsdirektoren nach mehr Geburten montags bis freitags tagsüber nachvollziehbar macht.

Dass dieser Trend zur Kostensenkung medizinischer Eingriffe gesundheitlich nicht unproblematisch ist, wird von Lerchl ausführlich erörtert. Auch zwei neuere Studien aus den USA und Kanada deuten darauf hin, dass die gesundheitlichen Risiken deutlich höher sind als bislang unterstellt. (vgl. Geplante Kaiserschnitt-Geburten: Höhere Risiken als bislang angenommen)

Für beide Studien von Prof. Lerchl ist kostenlos leider nur ein Abstract verfügbar:
Alexander Lerchl, Sarah C. Reinhard: Where are the Sunday babies? II. Declining weekend birth rates in Switzerland doi: 10.1007/s00114-007-0305-4
Alexander Lerchl: Where are the Sunday babies? III. Caesarean sections, decreased weekend births, and midwife involvement in Germany doi: 10.1007/s00114-007-0306-3

Gerd Marstedt, 12.10.2007


Kaiserschnitt - Gebärmutterriss - eingeleitete Geburten: Risikofaktoren für höhere Sterblichkeit von Frischgeborenen

Artikel 0943 Der Riss der Gebärmutter während einer Entbindung ist ein lebensgefährliches Ereignis für Mutter und Kind. Eine britische Studie fand, dass das Ereignis bei 0,18 von 1.000 Entbindungen auftritt - wenn es sich um Frauen handelt, die nicht bereits ein Kind per Kaiserschnitt entbunden hatten.

Eine us-amerikanische und schwedische Forschergruppe, die an der Emory University in Atlanta und am Karolinska Institute in Stockholm arbeitet, hat nun aber in einer Studie mit 300.200 schwedischen Frauen zeigen können, dass Gebärmutterrisse bei 9 von 1.000 Frauen auftraten, die bereits einmal per Kaiserschnitt entbunden hatten und dann vaginal entbunden haben. Das Risiko dieses hochriskanten Ereignisses war also bei ihnen um rund das 50fache höher als bei stets vaginal Entbindenden.

Entsprechend unterschiedlich und eindeutig schlecht sah das Sterblichkeitsrisiko für die Kinder aus:

• 14 der 274 Frauen, deren Uterus riss, verloren ihr Kind. Die Todesrate beträgt also 51gestorbene Babies pro 1.000 Geborene.
• Im Gegensatz dazu starben dann, wenn die Frau ohne Uterus-Riss entbinden konnte "nur" 1,4 Kinder pro 1.000 geborene Kinder.

Angesichts der seit längerem weltweit und in Deutschland beobachtbaren Zunahme von Kaiserschnittentbindungen (siehe dazu unter zahlreichen anderen Beiträgen diesen Forums-Beitrag) und darunter den offensichtlich von einem Teil der Frauen und den Akteuren ihrer Krankenhäuser gewünschten chirurgischen Geburten, kann nicht intensiv genug auf das damit deutlich erhöhte Langzeit-Risiko für spätere Geburtssituationen hingewiesen werden.
Während Expertinnen eine Kaiserschnittrate zwischen 10 und 15 % aller Geburten für notwendig und normal halten, bewegt sie sich in Ländern wie Großbritannien oder Deutschland mittlerweile zwischen 22 und 27 %.

Die internationale ForscherInnengruppe weist aber auch noch auf die Existenz weiterer Risikofaktoren für Gebärmutterrisse und deren dann möglicherweise dramatischen Folgen für Kind und Eltern hin.

Das Risiko erhöhen u.a. auch noch

• das Alter der Gebärenden. Frauen über 35 Jahre haben nahezu das Dreifache des Rissrisikos wie 24-jährige oder jüngere Mütter.
• Klinisch übergewichtige Frauen. Deren Risiko ist gegenüber normalgewichtigen Frauen etwa doppelt so hoch.
• Frauen, bei denen die Geburt künstlich eingeleitet wurde. Auch dadurch verdoppelt sich das hier betrachtete Risiko.
• Deutlich "übertragene" Geburten und die Geburt schwergewichtiger Kinder (mindestens 4 kg Gewicht).

Die Ergebnisse der Analysen von M. Kaczmarczyk et al. sind gerade unter dem Titel "Risk factors for uterine rupture and neonatal consequences of uterine rupture: a population-based study of successive pregnancies in Sweden" in der internationalen Fachzeitschrift "BJOG: An International Journal of Obstetrics and Gynaecology" (Volume 114, October 2007, Issue 10: 1208-1214) veröffentlicht und kostenfrei aber lediglich als Abstract erhältlich.

Bernard Braun, 3.10.2007


Kontinuierliche Unterstützung bei der Geburt durch minimal trainierte und Laien-"Doulas" wirksam und kostengünstig

Artikel 0909 Insbesondere in den USA gibt es bereits seit langem positive Erfahrungen mit einer besonderen personalen Form der Unterstützung von werdenden Müttern kurz vor, während und kurz nach der Geburt: Die so genannten Doulas. Der aus dem Griechischen stammende Begriff Doula bedeutet soviel wie "Dienerin der Frau". Nach der Kurzbeschreibung in Wikipedia "kümmert sich eine Doula intensiv um die Frau und unterstützt allein durch zuverlässige Anwesenheit. Sie entlastet den Partner und hilft ihm, mit der Situation zurechtzukommen. Voraussetzung für diesen Beruf ist, dass eine angehende Doula selbst zumindest ein Kind geboren hat."

Dass Doulas in Deutschland anders als beispielsweise in den USA weder breit bekannt noch als Berufsgruppe (in den USA: "Doulas of North America (DONA)") organisiert sind, hängt sicherlich mit der speziellen Konstellation der nachwievor in der Geburtshilfe dominanten Rolle von Medizin, Medikalisierung und Ärzten sowie der sich langsam Einfluss verschaffenden Gruppe der Hebammen zusammen. So sehen Hebammen in Doulas eine Art Konkurrenz zum denkbar schlechten Zeitpunkt oder betrachten sich selber als Doulas. Gegen letzteres spricht zumindest für an Krankenhäusern angestellten Hebammen, dass sie nicht uneingeschränkt den Eindruck erzeugen können, sie seien völlig unabhängig und nur der Gebärenden verpflichtet. Dies ist aber nach der bisherigen Forschung über die überragende Wichtigkeit eines personalen und nicht zwingend berufsmäßig zu erbringenden "continuous support" (Hodnett, ED.; Gates, S.; Hofmeyr, GJ.; Sakala, C. (2003): Continuous support for women during childbirth (Cochrane Review). In: The Cochrane Library, Issue 3. Oxford) bei der Geburt und der Wirksamkeit, dem Nutzen und der Akzeptanz der Doulas (Declercq, E.; Sakala, C.; Corry, M.; Applebaum, S.; Risher, P. (2002): Listening to Mothers: Report of the First National U.S. Survey of Women's Childbearing Experiences. New York) deren wichtigste Ressource. Die vorstehenden Links führen auf die Home-Seite der us-amerikanischen "Childbirth Connection" auf der man dann nach den zitierten Texten weitersuchen muss.

Auch wenn Doulas in Nordamerika mittlerweile eine Profession sind, blieb dort immer auch die Frage offen und dürfte gerade im "Berufeland" Deutschland schnell gestellt werden, welche beruflichen Qualifikationsanforderungen notwendig sind, um den Nutzen zu erreichen. In dem gerade in der Fachzeitschrift "Birth" (Volume 34 Issue 3 Page 220-227, September 2007) veröffentlichten Review "Female Relatives or Friends Trained as Labor Doulas: Outcomes at 6 to 8 Weeks Postpartum" geben die kanadischen WissenschaftlerInnen Della Campbell, Kathryn D Scott, Marshall H Klaus und Michele Falk mit einer gezielten Studie klare Antworten.

Die Ergebnisse im einzelnen:
• Als Ausgangspunkt ihrer Studie halten die ForscherInnen fest, dass die Daten von mehr als 12.000 Frauen aus 15 randomisierten und kontrollierten Studien (RCT) robuste Evidenz für den nachhaltigen Nutzen einer Unterstützung durch Doulas auf das Geburtsergebnis für Kind und Mutter liefern.
• In ihrer eigenen Studie vergleichen sie die Wirkungen von Doulas, die "minimally trained close female relative or friend" waren, mit der Standard-Geburtshilfe durch Ärzte und Hebammen bei 600 erstgebärenden Frauen mit geringem Geburtsrisiko.
• Sowohl was die Geburtserwartungen, die positiven Erwartungen für ihr Kind, die Unterstützung durch andere, das Selbstwertgefühl, die Bereitschaft zum Stillen und auch die Zufriedenheit mit dem Krankenhaus angeht, waren Frauen mit der Unterstützung durch diese Art von Doulas wesentlich besser orientiert und eingestellt als Frauen mit Standardversorgung.
• Das für die praktische Weiterverbreitung der hochwirksamen "kontinuierlichen Unterstützung" von Gebärenden durch Doulas wichtigste Forschungsergebnis lautet: "Labor support by a minimally trained female friend or relative, selected by the mother-to-be, enhances the postpartum well-being of nulliparous mothers and their infants, and is a low-cost alternative to professional doulas."

Weitere Einzelheiten findet man in dem kostenfrei erhältlichen Abstract der Studie.

Bernard Braun, 9.9.2007


Perinatales Sterblichkeitsrisiko bei normalen Geburten in Geburtszentren niedriger als in Krankenhäusern

Artikel 0899 Zu der insbesondere in Deutschland weitverbreiteten Medikalisierung und Medizinierung der Schwangerschaft und des Gebärens gehört (einen knappen und kostenfrei erhältlichen Überblick zu den Facetten dieser Umwidmung eines an sich risikoarmen natürlichen Geschehens gibt die Studie "Geburten und Geburtshilfe in Deutschland" insbesondere auf den Seiten 98ff.), den Eindruck zu erzeugen, dass eine trotz all dieser Risiken sichere Entbindung letztlich nur in einem Akutkrankenhaus mit Vollversorgung erfolgen könne.

Alle auch in Deutschland vorhandenen Alternativen, von der Hausgeburt mit Hilfe einer Hebamme oder der Geburt in primär von Hebammen geleiteten Geburtshäusern oder Geburtszentren, erscheinen dagegen unsicher. Praktisch bedeutet dies, dass die überwiegende Mehrheit der Kinder in Deutschland und einer Reihe weiterer Länder immer noch in Krankenhäusern auf die Welt kommen.

Mehrjährige Analysen aller in Deutschland in Geburtshäusern entbindender Frauen und ihrer Kinder haben aber keinen empirischen Beleg für ihre schlechtere Qualität oder erhöhte Risiken für Mutter und Kind gefunden. Die entsprechenden Berichte (Einzeljahre und ein 5-Jahresbericht 2000-2004) der mit der systematischen Qualitätsberichterstattung beauftragten "Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe e.V. (QUAG)" sind im Internet frei zugänglich, methodisch sauber und auch verständlich geschrieben.

Da diese Art der verunsichernden Debatte auch in anderen Ländern, darunter Australien, verbreitet ist und Wirkungen erzielt, hat eine Gruppe australischer Wissenschaftlerinnen (Sally K Tracy, Hannah Dahlen, Shea Caplice, Paula Laws, Yueping Alex Wang, Mark B. Tracy und Elizabeth Sullivan) jetzt eine mehrjährige Studie über die perinatale (Zeitraum kurz vor, während und nach der Geburt) Mortalität in den dortigen neben den Hospitälern bestehenden Geburtszentren ("alongside hospital" birth centers) sowie in traditionellen Krankenhaus-Kreißsälen durchgeführt.

Auf der entsprechenden Seite von "Wikipedia" wird zur Charakteristik von "birth(ing) centers" in der angelsächsischen Welt u.a. folgende Darstellung gegeben: "A birthing center or centre is a healthcare facility, staffed by nurse-midwives, midwives and/or obstetricians, for mothers in labor, who may be assisted by doulas and coaches. By attending the laboring mother, the doulas can assist the midwives and make the birth easier. The midwives monitor the labor, and well-being of the mother and foetus during birth. Should additional medical assistance be required the mother can be transferred to a hospital. Some hospitals are now adding birth centers to their facilities as an alternative to the high tech maternity wards commonly found at most hospitals.
A birth center presents a more home-like environment than a hospital labor ward, typically with more options during labor: food/drink, music, and the attendance of family and friends if desired."

Die Ergebnisse sind unter der Überschrift "Birth Centers in Australia: A National Population-Based Study of Perinatal Mortality Associated with Giving Birth in a Birth Center" in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Birth" (Volume 34 Issue 3 Page 194-201, September 2007 ) veröffentlicht.
Die Forscherinnen stützten sich auf umfangreiche Daten über die Umstände und das "Ergebnis" der Entbindungen aller 1.001.249 Frauen, die im Zeitraum von 1999 bis 2002 ein Kind bekamen. Diese Daten sind in der "National Perinatal Data Collection" zusammengefasst, die auch erst ermöglicht, so seltene Ereignisse wie den Tod des Kindes während und nach der Geburt überhaupt untersuchen zu können. Von diesen Frauen gebaren 21.800 (2,2 %) in Geburtszentren.

Neben einer Gesamtanalyse wurden auch noch vergleichende Untersuchungen der perinatalen Sterblichkeit von Erst- zu Zweit- oder Mehrfachgebährenden, und zwischen "pünktlichen" Geburten mit geringem Risiko in beiden Entbindungseinrichtungen durchgeführt.

Die Ergebnisse sind eindeutig und signifikant:

• Die Gesamtrate der um die Geburt herum stattfindenden Sterblichkeit war in Geburtszentren signifikant niedriger als in Krankenhäusern.
• Dies traf ebenfalls für erstgebärende Frauen im Vergleich zu Erstgebärenden in Krankenhäusern zu.
• Und auch ein Vergleich von Mehrfachgebärenden mit unproblematischen Entbindungen in beiden Einrichtungen ging deutlich zu Gunsten der "birth centers" aus.

Leider gibt es hier nur ein kostenfreies aber faktenreiches Abstract des Aufsatzes "Birth Centers in Australia: A National Population-Based Study of Perinatal Mortality Associated with Giving Birth in a Birth Center".

Bernard Braun, 3.9.2007


Geburt per Kaiserschnitt: Wie der Wandel gesellschaftlicher Normen auch die Wünsche Schwangerer beeinflusst

Artikel 0874 Die Zahl der Kaiserschnitt-Geburten hat sich in vielen Ländern drastisch erhöht. In zehn Jahren stieg der Anteil dieser Entbindungen in deutschen Krankenhäusern von 17 auf 27 Prozent. Über die Ursachen dieser Entwicklung gab es viele Hypothesen. Da auch der Anteil der sogenannten Risiko-Schwangerschaften ähnliche Steigerungsraten zeigt (in deutschen Bundesländern heute bis zu 75% aller Geburten), verweisen Gynäkologen auf medizinische Hintergründe. Eine Studie im Auftrag der Gmünder ErsatzKasse GEK aus dem Jahre 2006 zeigte indes, dass nur bei zwei Prozent der Frauen ursprünglich von einem "Wunschkaiserschnitt" ausgegangen werden kann.

Wie aber ist dann der sehr viel höhere Anteil dieser Geburtsart zu erklären, werden Frauen dazu im Verlauf der Geburtsvorbereitung und der körperlichen Untersuchungen gegen ihren ursprünglichen Willen überredet, werden ihnen medizinische Befunde entgegengebracht, gegen die nur schwer zu argumentieren ist? Sind also Mediziner demzufolge die eigentlichen Urheber, sei es aus Gründen der zeitlichen Organisation (immerhin fand eine Studie, dass es kaum noch "Sonntagskinder" gibt), sei es aus finanziellen Gründen (für einen Kaiserschnitt bekommt ein Krankenhaus etwa 3000 Euro vergütet, doppelt so viel wie für ein normale Geburt) ?

Eine australische Studie, die qualitative Interviews mit Gynäkologen, Hebammen und Frauen durchführte, die in den letzten zwei Jahren eine Kaiserschnitt-Geburt hatten, hat dazu jetzt einige interessante Befunde vorgelegt. Die Untersuchung nähert sich dem Problem von sozialwissenschaftlicher Seite. Es wird versucht, in den Denkmustern und Begründungen der Beteiligten (Mediziner, Hebammen, Frauen) allgemeinere gesellschaftliche Normen und Werte zu finden, die dann auch maßgeblich werden für die Frage: Wie möchte ich mein Kind zur Welt bringen?

In den Interviews werden verschiedene Argumentationsmuster deutlich, die nach Ansicht der Wissenschaftler auch Einiges verraten über den Wandel kultureller Normen.

• Die Betonung eines "autonomen Konsumenten" wird in fast allen Äußerungen deutlich. Frauen weisen darauf hin, dass sie die selbstverantwortlichen Entscheidungsträger sind, auch in der Frage, für welche Art der Geburt sie ihre Wahl treffen. Ärzte und Hebammen sind in diesem Zusammenhang medizinische Dienstleister, die Informationen übermitteln und auf medizinischer Ebene praktische Tätigkeiten verrichten. Alle Beteiligten verweisen auf das Grundrecht der Entscheidungsfreiheit. Erkannt wird in diesen Äußerungen von den Forschern ein Kernelement neoliberaler Ideologien, durch die hier Schwangere als autonome und in ihrer Entscheidung souveräne Konsumenten einer medizinischen Dienstleistung definiert werden.

• Die Unanzweifelbarkeit medizinischer Argumente wird ebenfalls in vielen Stellungnahmen deutlich. Unabhängig von der Frage, ob tatsächlich eine Risiko-Schwangerschaft (durch Steißlage des Kindes, Diabetes oder andere Erkrankungen der Mutter) vorliegt, wird immer wieder darauf hingewiesen, dass medizinische Befunde nicht diskutiert werden können und ein ultimativer Grund sind, sich gegen eine Vaginalgeburt und für einen Kaiserschnitt zu entscheiden.

• Der Sicherheitsgedanke und die mit dem Kaiserschnitt verbundene Assoziation von Ordnung und Planbarkeit ist ein weiteres Element in den Äußerungen der Interviewpartner/innen. In einer überaus starken (und so unzutreffenden) Schwarz-Weiß-Malerei wird die Vaginalgeburt als gesundheitsriskant und problematisch wahrgenommen, während gleichzeitig der Kaiserschnitt als weitestgehend risiko- und beschwerdefrei dargestellt wird. Ebenso kommt dieses Vorgehen dem Wunsch (wiederum aller Beteiligten) nach Ordnung, Kontrolle und Planbarkeit nahe, während die Vaginalgeburt eher angstbesetzte Assoziationen von Chaos und unbeherrschten äußeren Mächten auslöst.

Ein Abstract der Studie ist hier nachzulesen:
Joanne Bryant u.a.: Caesarean birth: Consumption, safety, order, and good mothering (Social Science & Medicine, Volume 65, Issue 6, September 2007, Pages 1192-1201)

vgl. zum Thema "Kaiserschnitt" auch im Forum Gesundheitspolitik:
Immer weniger Sonntagskinder, immer mehr Wunsch-Kaiserschnitte
Kaiserschnitt-Geburt: Kein Wunsch von Frauen

Gerd Marstedt, 24.8.2007


Medikalisierung und Medizinierung von der Wiege bis zur Bahre: Schwangerschaft und Geburt als "Hochrisikogeschehen"

Artikel 0695 Eines der für Frauen wie Männer intensivsten und emotionalsten biografischen Ereignisse ist die Geburt eines Kindes. Erwartungen, Hoffnungen, aber auch Befürchtungen und Ängste bezüglich des "Ergebnisses" und nicht zuletzt auch gesellschaftliche Normen und Druck werden auf die Schwangerschaftszeit und das Geburtsgeschehen konzentriert.

Der Gesundheitszustand von Mutter und Kind spielt dabei eine zentrale Rolle. Kein Wunder, dass sich um das monatelange Geschehen eine Vielzahl von laienhaften, semi- und vollprofessionellen Anbieter vielfältiger Leistungen versammelt hat. Dazu zählen spezialisierte Ärzte, Hebammen, Pädagogen, Ratgeberverfasser und "beste FreundInnen".
Mit einem Teil der Professionalisierung von Geburt oder Geburtshilfe geht aber ein massives und einseitiges Verständnis der natürlichen Geburt als potenziell krankhaftem Hochrisikogeschehen einher, das für ein erfolgreiches Ergebnis vor allem medizintechnischer Kontrolle und ärztlicher Begleitung bedarf.

Dieser Prozess der Medikalisierung, Medizinierung und Risikokommunikation verläuft über eine Vielzahl von Stufen und Dimensionen.

Er beginnt damit, dass durch entsprechende Kriterienkataloge mittlerweile

• drei Viertel der Schwangeren in Deutschland als Risikoschwangere eingestuft werden,
• dass diesen schwangeren Frauen zahlreiche tatsächlich oder auch nur vermeintlich risikomindernde Vorsorgeuntersuchungen angeboten werden,
• schließlich rund 98 % aller Geburten unter ärztlicher Regie und von zahlreichen medizinischen Interventionen (z.B. kontinuierliche Cardiotokographische Untersuchungen [CTG] der Herztöne des ungeborenen Kindes und der Wehen der Mutter sowie der risikobegründeten Intervention des Dammschnitts während der Geburt) bestimmt in Krankenhäusern stattfinden und
• wie die seit Jahren steigende Rate der Kaiserschnittgeburten in Deutschland zeigt, mit oder ohne aktive Unterstützung durch die gebärende Frau, auch immer häufiger medizinisch-chirurgisch gestaltet wird.

Diese Umdeutung eines meist natürlich perfekt verlaufenden Geschehens basiert auf einer Reihe von Nicht-, Fehl- oder Desinformationen zu denen u.a. die folgenden Komplexe gehören:

• Es wird relativ geschickt verborgen, dass für viele der angebotenen oder "zum Wohl von Kind und Mutter" für unbedingt notwendig erklärten diagnostischen und therapeutischen Leistungen oder Interventionen kein oder nur ein sehr begrenzt nachgewiesener empirischer Nutzen existiert.
• Verborgen oder wenig kommuniziert wird aber gleichzeitig der für Mutter und Kind empirisch evidente Nutzen von bestimmten sozialen Bedingungen der Geburtsvorbereitung und der Geburt wie die so genannte "kontinuierliche Unterstützung" bzw. "continuous support" durch eine völlig unabhängige (deshalb scheiden hier auch in der Regel z.B. im Krankenhaus angestellte Hebammen aus) Person zu der die Schwangere ein uneingeschränktes Vertrauen besitzt. Auf der verlinkten englischsprachigen Website erhält man nach einer kostenlosen Registrierung den ebenfalls kostenfreien Zugang zu dem entsprechenden Cochrane-Review und einer weiteren Fülle von wissenschaftlich gesicherten Informationen.
• Die in vielerlei Hinsicht alternative Betreuung und Versorgung von Schwangeren und gebärenden Müttern durch Hebammen ist in Deutschland als autonome Form in Gestalt von außerklinischen Hausgeburten oder Geburtshäusern seit vielen Jahren randständig und auch immer noch weitgehend unbekannt. In der klinischen Geburtshilfe sind zwar Hebammen zentral beteiligt, das Geburtsgeschehen wird aber häufig durch Mediziner und medizintechnisch bestimmt, wofür das hohe Niveau der Kaiserschnittentbindungen (vgl. zu den Hintergründen von Kaiserschnittgeburten u. a. die aktuelle Studie von Lutz und Kolip) ohne medizinische Notwendigkeit ein grober Indikator ist.
• Verborgen bleibt auch weitgehend der hohe Qualitätsstandard der primär nichtmedizinischen Geburtshilfe, der in den seit einigen Jahren (zuletzt 2004) erscheinenden "Qualitätsberichten" der "Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe e. V. (QUAG)" nachvollzogen werden kann.

In der im Buch ins Deutsche übersetzten Übersicht der "Cochrane Pregnancy and Childbirth Group" über die nach Kriterien der evidenbzbasierten Forschung nützlichen, vorteilhaften und nicht nützlich oder gar schädlichen Interventionen in Schwangerschaft und das Geburtsgeschehen, finden sich zahlreiche Belege für diese Feststelllungen.

Einen Teil der Komplexität stellt der im Jahr 2006 in der "GEK-Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse" erschienene Text des Bremer Sozial- und Gesundheitswissenschaftlers Bernard Braun zum Thema "Geburten und Geburtshilfe in Deutschland" auf den Seiten 82 bis 135 dar.

Das Buch kann kostenlos als PDF-Datei von der Website der Barmer GEK heruntergeladen werden.

Bernard Braun, 7.5.2007


Geplante Kaiserschnitt-Geburten: Höhere Risiken als bislang angenommen

Artikel 0642 Der Anteil der Entbindungen durch Kaiserschnitt in deutschen Krankenhäusern hat sich in den letzten zehn Jahren deutlich erhöht und stieg von 17 auf 27 Prozent. Dass diese Art der Entbindung möglicherweise sehr viel höhere Gesundheitsrisiken aufweist als bislang angenommen, haben jetzt zwei große Studien aus den USA und Kanada gezeigt.

In einer Studie aus Massachusetts (USA) wurden 240.000 Mütter, die zuvor nicht per Kaiserschnitt entbunden hatten und die vor der Geburt auch keine gesundheitlichen Risikofaktoren aufwiesen, aus einer etwa doppelt so großen Stichprobe ausgewählt. Diese Mütter, die im Zeitraum 1998 bis 2003 ein Kind zur Welt gebracht hatten, wurden dann einer von mehreren Gruppen zugeteilt, je nachdem, ob sie erwerbstätig waren oder nicht und ob das Kind mit einem Kaiserschnitt oder mit einer normalen Vaginal-Geburt zur Welt gekommen war.

Überprüft wurden anhand der Daten dann mehrere gesundheitsbezogene Faktoren: Die Wiedereinweisung in eine Klinik im Zeitraum von 30 Tagen nach der Geburt, die medizinischen Kosten der Entbindung und die Dauer des Klinikaufenthalts. Im Ergebnis zeigte sich: Frauen, die per Kaiserschnitt entbunden hatten, wurden nach der Geburt zweieinhalb Mal so oft erneut in eine Klinik eingewiesen wie Frauen mit Normalgeburt (19.2 Fälle pro 1.000 Geburten im Vergleich zu 7.5 Fällen). Dieses höhere gesundheitliche Risiko zeigte sich auch dann, wenn man Faktoren wie Lebensalter, Rasse oder Hautfarbe mitberücksichtigte. Die häufigsten Gründe für den erneuten Klinikaufenthalt waren Komplikationen durch Wunden und Infektionen. Bei einem Vergleich der medizinischen Kosten zeigte sich, dass ein Kaiserschnitt um etwa 75% teuer ist als eine Normalgeburt (umgerechnet etwa 3.400 Euro im Vergleich zu 1.900 Euro). Bei einer Kaiserschnittgeburt waren die Frauen im Durchschnitt 4.3 Tage im Vergleich zu 2.4 Tagen in der Klinik.
Hier ist ein Abstract der Studie: Maternal Outcomes Associated With Planned Primary Cesarean Births Compared With Planned Vaginal Births (Obstetrics & Gynecology 2007;109:669-677)

Auch in einer zweiten, jetzt veröffentlichten Studie wurden für Kaiserschnittgeburten höhere Gesundheitsrisiken gefunden. Bei dieser Untersuchung aus Kanada wurden die Daten für einen repräsentativen Querschnitt aller kanadischen Frauen, die zwischen 1991 und 2005 ein Kind zur Welt gebracht hatten, näher analysiert. Einbezogen waren so knapp 47.000 Frauen mit Kaiserschnittgeburt und 2,3 Millionen Frauen mit Normalgeburt. Überprüft wurden dann für den gesamten 14jährigen Beobachtungszeitraum die Häufigkeiten unterschiedlichster Erkrankungen in den beiden Gruppen, wie z.B. Herzstillstand, Blutergüsse, Entfernung der Gebärmutter, Wochenbettfieber oder Thrombosen.

Einerseits zeigte sich, dass das absolute Risiko für solche Erkrankungen insgesamt sehr niedrig ist. So fand man beispielsweise nur in 1.6 von 1.000 Fällen einen Herzstillstand und auch für die übrigen Erkrankungen waren die Risiken ähnlich niedrig. Andererseits fanden die Wissenschaftler jedoch auch, dass die Häufigkeit solcher Erkrankungen nach einer Kaiserschnittgeburt etwa (je nach Art der Erkrankung) 2-5mal so hoch lagen wie nach einer Normalgeburt.
Ein Abstract der Studie ist hier nachzulesen: Maternal mortality and severe morbidity associated with low-risk planned cesarean delivery versus planned vaginal delivery at term (CMAJ. 2007 Feb 13;176(4):455-60)

Gerd Marstedt, 27.3.2007


Jede dritte Frau hat auch ein Jahr nach der Geburt noch Beschwerden beim Sex oder Inkontinenzprobleme

Artikel 0634 Dass bei vielen Frauen nach einer Geburt noch eine Zeitlang Gesundheitsbeschwerden auftreten können, ist hinlänglich bekannt und durch viele Studien belegt. Dass aber die Mehrheit der Frauen auch noch nach einem Zeitraum von einem Jahr nach einer Geburt unter ernsthaften gesundheitlichen Problemen leidet, darunter Schmerzen beim Sex oder Inkontinenz, hat jetzt eine englische Studie gezeigt, die in der März-Ausgabe des "Journal of Clinical Nursing" veröffentlicht wurde.

Die Wissenschaftler hatten 2.100 Frauen, die in Kliniken in Birmingham ein Jahr zuvor ein Kind zur Welt gebracht hatten, einen Fragenbogen zugeschickt, in dem die jungen Mütter Auskunft geben sollten über ihren Gesundheitszustand und aktuelle Beschwerden wie z.B. Schmerzen im Bereich des Damms, Harndrang und Harninkontinenz, Dyspareunie (sexuelle Funktionsstörung) und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. Zusätzlich berücksichtigten sie auch Klinikdaten zum Alter der Frauen, der Art der Geburt und vorliegenden gesundheitlichen Risikofaktoren. Knapp 500 Frauen, etwa jede vierte, beantwortete den Fragebogen.

Das für die Wissenschaftler überraschendste Ergebnis war die Häufigkeit von Beschwerden auch noch nach einem Zeitraum von 12 Monaten: Knapp 90% der Frauen berichtete über zumindest eines der im Fragebogen angesprochenen Symptome. Das am häufigsten genannte Problem betraf die Sexualität (55%), wobei unterschiedliche Aspekte angesprochen wurden: Ausbleiben eines Orgasmus, sexuelle Lustlosigkeit oder körperliche Beschwerden beim Geschlechtsverkehr. Häufig genannt wurden aber auch Gesundheitsprobleme wie Inkontinenz in Stress-Situationen (54%) und Inkontinenz bei starkem Harndrang (37%). Über direkte Schmerzen beim Geschlechtsverkehr berichtete jede dritte Frau, wobei dies etwas seltener auftrat bei Frauen, die per Kaiserschnitt entbunden hatten.

Weitere Ergebnisse der Befragung waren:
• Beschwerden traten häufiger auf bei älteren Frauen und bei einem größeren Geburtsgewicht der Kinder.
• Auch Frauen asiatischer Herkunft, die in der Stichprobe etwa zu 15% vertreten waren, waren häufiger von Gesundheitsproblemen betroffen.
• Über sexuelle Beschwerden und auch Schmerzen beim Geschlechtsverkehr wurde häufiger berichtet, wenn eine Geburtszange eingesetzt worden war. Am seltensten trat dies auf nach einem Kaiserschnitt.

Dass eine Kaiserschnitt-Geburt deutlich seltener zu langfristigen gesundheitlichen Beschwerden führt, auch im Vergleich zur "normalen" Geburt und erst recht zu einer Geburt mit Einsatz von Instrumenten, wird von den Wissenschaftlern nicht als Empfehlung verstanden: "Zwar haben Frauen, die per Kaiserschnitt entbunden haben, weniger jene Art von Beschwerden, wie sie in unserer Studie erfasst wurden. Andererseits treten dort jedoch andere Probleme auf, die die Lebensqualität beeinträchtigen, etwa durch Adhäsionen [Verwachsungen oder Verklebungen von Organabschnitten oder Geweben] oder durch Wundinfektionen." Sie weisen zugleich darauf hin, dass die Ergebnisse der Studie für die medizinische Versorgung von Frauen nach der Geburt eine Reihe von Fragen aufwerfen, aber auch Anforderungen zur Verbesserung der aktuellen Versorgungsqualität mit sich bringen.

Möglicherweise ist die in der Studie zutage getretene Häufigkeit der Beschwerden deshalb erhöht, weil nur jede vierte Empfängerin eines Fragebogens diesen auch beantwortet hat. Aufgrund von Erfahrungen in der Umfrageforschung kann man vermuten, dass hier mehr Frauen sich beteiligt haben, die sich durch das Thema "Gesundheitsbeschwerden nach einer Geburt" auch angesprochen fühlten aufgrund persönlicher Betroffenheit. Gleichwohl sind die mitgeteilten Prozentquoten für die unterschiedlichen Gesundheitsprobleme so hoch, dass man die Ergebnisse ernst nehmen muss.

Ein Abstract der Studie ist hier nachzulesen: The prevalence of enduring postnatal perineal morbidity and its relationship to type of birth and birth risk factors (Journal of Clinical Nursing. 16,549-561, March 2007)

Gerd Marstedt, 19.3.2007


Rechtsprechung und Gesundheitsversorgung: Das Beispiel Qualität der Geburt im Geburtshaus.

Artikel 0435 Dass das Gesundheitswesen in hohem Maße von rechtlichen Regelungen geprägt und gesteuert wird, lässt sich regelmäßig bei den so genannten Gesundheitsreformen erkennen. Zig Gesetze mit Tausenden von Paragraphen haben seit 1977, dem Jahr des ersten großen Kostendämpfungsgesetzes in der alten Bundesrepublik, sowohl die Finanzierung und die Struktur der Krankenversicherung als auch die Qualität der gesundheitlichen Versorgung umgekrempelt. Immer intensiver ist daran auch fast zwangsläufig die Rechtsprechung beteiligt.

Ein Urteil des Bundessozialgerichts mit dem Aktenzeichen B 1 KR 34/04 R aus dem Februar 2006 zeigt besonders deutlich die normative Relevanz und Eingriffstiefe in die gesundheitliche Versorgung mancher dieser Entscheidungen oberster Bundesgerichte. In dem dem BSG vorgelegten Rechtsstreit ging es darum, ob eine Krankenkasse bei einer Versicherten aus Thüringen die vollen Kosten einer in Rechnung gestellten Geburt in einem Geburtshaus übernehmen muss oder lediglich einen Teil. Sachlich wichtig ist, dass es sich bei den Geburtshäusern um Einrichtungen handelt, die meistens von Hebammen geleitet werden und in denen komplikationsfreie Geburten meist ohne Ärzte durchgeführt werden. Sollte es aber zu Komplikationen kommen, ist entweder ein Arzt oder eine Ärztin in Rufbereitschaft oder die entbindende Frau wird in ein Krankenhaus verlegt.

Das Geburtshaus stellte der klagenden Frau 507 Euro in Rechnung, die Krankenkasse bezahlte lediglich die Hebammenleistungen in Höhe von 153 Euro. Den Rest von 354 Euro für Unterkunft und Pflege sollte die Frau selbst bezahlen.
Das BSG gab der Kasse nun Recht: Das Geburtshaus sei zwar wie erforderlich gewerberechtlich zugelassen gewesen, es fehle aber in dem konkreten Fall eine Zulassung durch die Kassen. Hierfür kämen auch nur "Krankenhäuser im weiteren Sinne" in Betracht, urteilten die Kasseler Richter. Denn wie bei anderen stationären Leistungen wolle das Gesetz auch bei Entbindungen "einen qualitativ hochwertigen Standard gewährleisten". Die "Pflege in einer allein von Hebammen geleiteten Einrichtung" sei danach einer Krankenhausbehandlung "nicht gleichwertig". Ob die Kassen ein Geburtshaus anerkennen müssten, an dem auch ein Arzt beteiligt ist, hatte das BSG nicht zu entscheiden. Wichtig ist zum weiteren Verständnis, dass einige Krankenkassen Verträge mit Geburtshäusern haben und auch die vollen Kosten des dortigen Aufenthaltes übernehmen.

Kritische Kommentatoren des BSG-Urteils empfehlen daher allen Schwangeren, vor der Entscheidung für ein Geburtshaus zu prüfen, ob ihre Krankenkasse alle Kosten übernimmt oder nicht. Wenn nicht, wird die entsprechende Versicherte wohl oder übel die mehreren Hundert Euros aus eigener Tasche zahlen müssen oder muss weit im Vorfeld der Geburt, wenn nicht sogar der Zeugung für alle Fälle ihre Krankenkasse wechseln.
Wenn man aber die BSG-Entscheidung noch etwas kritischer betrachtet, stellt sich die Frage, ob die der Entscheidung implizite Annahme, ein Geburtshaus gewährleiste nicht den "qualitativ hochwertigen Standard" wie ein Krankenhaus, sachlich haltbar und zutreffend ist.
Daran kann man erhebliche sachliche Zweifel hegen. Anders als die Krankenhäuser, an denen nach Angaben des Statistischen Bundesamt im Jahr 2003 98,7 % aller Lebendgeburten stattfanden, betreiben nämlich die Geburtshäuser seit Jahren eine umfassende Form der Qualitätsüberprüfung und -transparenz, deren Ergebnisse deutliche andere Qualitätsurteile zulassen als die vom BSG vertretenen.
Dazu führt die von den Hebammenverbänden getragene "Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe e. V. (QUAG)" seit Jahren jährliche aufwändige Qualitätsuntersuchungen fast aller außerklinischen Geburten durch und dokumentiert sie in "Qualitätsberichten".

Von den 9.912 außerklinischen Geburten, die 2004 stattfanden, wurden im weit über 100-seitigen "Sechsten Qualitätsbericht 2004" fast 90 % erfasst, was die Ergebnisse repräsentativ macht.

Die wichtigsten qualitätsbezogenen Ergebnisse für Geburtshaus- und Hausgeburten lauten:

• Rund 12 % der außerklinisch begonnenen Geburten mussten und konnten fast immer problemlos klinisch beendet werden.
• 73,9% der Gebärenden gaben als Motivation für eine außerklinische Geburt das langfristige Vertrauensverhältnis zur Hebamme an.
• Bei den Geburtshausgeburten erfolgen die meisten Geburten in Einrichtungen, die eine genügend große Geburtenzahl im Jahr vorweisen.
• 91,1% aller Kinder - und damit etwas mehr als 2003 - wurden in einem guten bis sehr guten Zustand geboren. Insgesamt 3,8% aller Kinder (im Vorjahr 4,1%) hatten einen befriedigenden Zustand nach der Geburt. In die Gruppe mit Morbiditäten und/oder Verlegungen in eine Kinderklinik wurden 4,2% aller Kinder (4,3% im Vorjahr) eingestuft. Perinatale Mortalität im Gesamtkollektiv des Jahres 2004 trifft auf 14 Kinder oder genau 0,14% aller Geburten zu (2003: 17 Kinder oder genau 0,17% aller Geburten).
• Fazit: "Die geburtshilflichen Ergebnisse über den gesundheitlichen Zustand von 9.892 außerklinisch betreuten Frauen und Kindern belegen für das Jahr 2004 ein gutes Outcome sowie eine hohe Ergebnisqualität der geleisteten Geburtshilfe durch die an der Dokumentation beteiligten Hebammen und Einrichtungen. An Hand der validen Daten zur Verlegung, zum Geburtsmodus, zu den Geburtsverletzungen sowie zu den Befunden vor, während und nach der Geburt wurden für die gewordenen Mütter insgesamt gute Werte ermittelt." (99)
• Direkte Vergleiche mit den klinischen Geburten werden von QUAG selber aber für problematisch angesehen, weil sie nicht die höhere Anzahl von Problemgeburten in Kliniken berücksichtigen, die dort zwangsläufig zu schlechteren Abläufen und Ergebnissen führen dürften. Außerdem existieren aber die für einen Vergleich notwendigen identischen Qualitätsdaten in der Mehrheit der Krankenhäuser nicht.
• Erfahrungen aus England und der Schweiz mit ihrem wesentlich höheren Anteil nichtklinischer Entbindungen bestätigen im übrigen die hohe Qualität dieser Geburtsform und ihrer vorrangig nichtärztlichen Akteure.

Angesichts der hohen, wenn nicht sogar höheren Qualität des außerklinischen Geburtsgeschehens unter maßgeblicher Regie von Hebammen ist also das Qualitätsurteil des BSG unverständlich und sachlich ungerechtfertigt. Stattdessen greift es letztlich ideologisch massiv und einseitig in die Auseinandersetzung über die Existenzberechtigung einer nicht-medikalisierenden, gering-technisierten und nicht primär ärztlichen Hebammen-Geburtshilfe ein. Dies ist aber bei aller Würdigung der Unabhängigkeit der Rechtsprechung nicht ihre Aufgabe bzw. diskreditiert ihre Unabhängigkeit.

Unter dem Datum vom 21.2. 2006 finden Sie hier den Entscheidungstext des Urteils des Bundessozialgerichts zum Thema "Krankenversicherung - Kostenübernahme - stationäre Entbindung - zugelassenes Krankenhaus - Verfassungsmäßigkeit".

Bernard Braun, 31.12.2006


Kaiserschnitt-Geburt: Kein Wunsch von Frauen

Artikel 0252 Die auffällige Zunahme von Kaiserschnitt-Geburten in deutschen Krankenhäusern ließ den Verdacht aufkommen, die Frauen selbst würden den Anstieg der Rate verursachen. Prominenten Vorbildern folgend, würden werdende Mütter einen Kaiserschnitt einfordern, auch wenn keine medizinische Indikation vorliegt: völlig falsch. Das belegt jetzt eine Studie, die Professorin Petra Kolip vom Institut für Public Health und Pflegeforschung (IPP) im Fachbereich Human- und Gesundheitswissenschaften der Universität Bremen (IPP) im Auftrag der Gmünder ErsatzKasse GEK erstellt hat. Die Ergebnisse sind am gestrigen Mittwoch (26. April 2006) der Öffentlichkeit vorgestellt worden ist. Danach wollen nur zwei Prozent der Frauen einen Wunsch-Kaiserschnitt. Fast 90 Prozent der Frauen, die eine Kaiserschnitt-Geburt hinter sich haben, sind der Ansicht, dass dieser nur im Notfall durchgeführt werden sollte.

In zehn Jahren erhöhte sich der Anteil der Entbindungen durch Kaiserschnitt in deutschen Krankenhäusern von 17 auf 27 Prozent. Als Gründe werden ein verändertes Risikoprofil der Schwangeren, beispielsweise ein höheres Durchschnittsalter, aber auch organisatorische oder ökonomische Gründe genannt. Wissenschaftlerinnen vom Institut für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen (IPP) werteten für die GEK Kaiserschnittstudie die persönlichen Erfahrungen von 1.339 Frauen aus, die im Jahr 2004 per Kaiserschnitt entbunden hatten. Beim primären Kaiserschnitt, der vor der Geburt geplant wird, ist zu 60 Prozent die Empfehlung der Ärztinnen und Ärzte ausschlaggebend. Die Studie ergab, das nur bei zwei Prozent der Frauen von einem "Wunschkaiserschnitt" ausgegangen werden kann. "Die Ergebnisse der GEK Studie zeigen, dass das Argument, es seien die Frauen selbst, die den Anstieg der Kaiserschnittraten verursachen, weil sie auch ohne medizinische Indikation auf eine Schnitt-Entbindung drängen, ein Mythos ist," betont Professor Petra Kolip vom IPP.

Für den so genannten sekundären Kaiserschnitt, bei dem die Entscheidung zur Operation während der Geburt fällt, waren zu 39 Prozent die schlechten Herztöne des Kindes Auslöser für den Schnitt; bei 37 Prozent führte Geburtsstillstand zu dem Eingriff. Allerdings fühlte sich nur die Hälfte der Frauen tatsächlich in die Entscheidung für einen Kaiserschnitt eingebunden. "Hier gibt es sicherlich noch Handlungsbedarf. Internationale Studien zeigen jedenfalls, dass die Zufriedenheit mit dem Geburtserlebnis umso größer ist, je stärker die Bedürfnisse der Frauen bei der Geburt berücksichtigt werden", lautet eine Schlussfolgerung der Bremer Gesundheitswissenschaftlerin Petra Kolip

Der Bericht (176 Seiten) kann als PDF-Datei hier heruntergeladen werden: U.Lutz, P.Kolip: Die GEK-Kaiserschnittstudie

Gerd Marstedt, 25.10.2006


Immer weniger Sonntagskinder, immer mehr Wunsch-Kaiserschnitte

Artikel 0137 Die Anzahl der Geburten an Wochenenden und insbesondere an Sonntagen geht in Deutschland immer weiter zurück. Professor Alexander Lerchl von der International University Bremen (IUB) analysierte über 700.000 Geburten zwischen 1988 und 2003 und verglich die Erhebungen mit älteren Daten. Verglichen mit dem Freitag, dem Wochentag mit den meisten Geburten, sind im Jahre 2003 über 26% weniger Kinder an Sonntagen zur Welt gekommen. Für Samstage sank die Anzahl um immerhin ca. 23%. "Dieser Trend begründet sich durch die zunehmende Anzahl an Geburten, die medikamentös eingeleitet werden sowie durch Kaiserschnitte. Diese ersetzen gegenüber früheren Jahren mehr und mehr die spontane Geburt", erklärte Lerchl. "Ursachen der Entwicklung sind vermutlich praktische und finanzielle Gesichtspunkte, denn Geburten an Wochenenden sind durch Zuschläge an Ärzte und Hebammen teurer." Oft werde den Müttern aus medizinischen Gründen zur künstlichen Einleitung der Geburt oder Kaiserschnitt geraten, dabei seien Risiken einer eingeleiteten Geburt nicht zu unterschätzen. Bluthochdruck der Mutter oder Sauerstoffmangel beim Säugling könnten Nebenwirkungen sein. Aktuell sieht Lerchl zwar noch natürliche Geburten in der Überzahl, die Tendenz zur eingeleiteten Geburt sei jedoch deutlich.

Parallel zu diesen Beobachtungen gibt es seit geraumer Zeit auch Erkenntnisse über die immer weiter steigende Zahl von Kaiserschnitten auf Wunsch der Mütter. Nach Informationen des Sozialministeriums in Stuttgart hat die Zahl der Kaiserschnitte in den vergangenen 15 Jahren um mehr als die Hälfte zugenommen. In den Krankenhäusern Baden-Württembergs wurden im Jahre 2003 insgesamt 95 216 Frauen entbunden, darunter 25 574 mit Kaiserschnitt, 4 842 mithilfe der Saugglocke (Vakuumextraktion) und 715 mithilfe der Geburtszange. Möglicher Hintergrund: Fallpauschalen der Kliniken fördern den Trend. werde. Marianne Dirks, Vorsitzende des Hebammenverbandes Baden-Württemberg: "Für einen Kaiserschnitt bekommt ein Krankenhaus 3000 Euro vergütet - etwa doppelt so viel wie für ein normale Geburt." Zu Anfang der Schwangerschaft wünschen sich nur vier Prozent der Frauen einen Kaiserschnitt, erklärte Dirks. Viele Schwangere würden jedoch zunehmend im Laufe der Schwangerschaft verunsichert. In einem Bericht im Statistischen Monatsheft Baden-Württemberg "Immer mehr Kaiserschnitte bei immer weniger Geburten" finden sich viele weitere Details zu diesen Beobachtungen.

Im Forschungsprojekt "Technisierung der 'normalen' Geburt - Interventionen im Kreißsaal" wurden an der Universität Osnabrück Daten von mehr als einer Million Geburten analysiert. Das Fazit der Wissenschaftlerinnen Clarissa M. Schwarz und Beate A. Schücking heißt: "Eine Risikoschwangerschaft ist zur Regel geworden und eine normale Schwangerschaft zur Ausnahme. Unsere Studie bestätigt, dass drei von vier Schwangeren als "risikoschwanger" definiert werden und in unserem Gesundheitssystem nach wie vor die Tendenz besteht, die überzuversorgen, die es am wenigsten brauchen." Nach den Ergebnissen der Studie hat sich der Zustand der Neugeborenen jedoch nicht weiter verbessert. Eine Zusammenfassung der Studienergebnisse findet sich hier: Adieu, normale Geburt? Ergebnisse eines Forschungsprojekts sowie in diesem Aufsatz: Selbstbestimmt und risikolos? Wunschkaiserschnitt

Gerd Marstedt, 7.10.2005