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Epidemiologie
Übergewicht, Adipositas


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Ganz dicke Freundschaften - Übergewicht wird beeinflusst von Normen im sozialen Netzwerk einer Person

Artikel 0828 Die Gen-Forschung hat unlängst das sogenannte "FTO"-Gen entschlüsselt, deren Träger ein um 30 Prozent höheres Risiko haben, an Übergewicht oder Adipositas zu erkranken, bei bestimmten genetischen Eigenschaften beträgt das Risiko sogar 67%. Amerikanische Sozialstatistiker aus Boston, Cambridge und San Diego haben diese Entdeckung jetzt allerdings in den Schatten gestellt. Nach ihren Untersuchungsergebnissen sind soziale Normen und Wertmaßstäbe weitaus bedeutsamer für die Entstehung von Übergewicht als Erbanlagen. Sie fanden mit Daten der "Framingham-Studie" heraus, dass das Übergewichts-Risiko um bis zu 171 Prozent höher liegt, wenn engere Freunde ebenfalls übergewichtig sind.

In der Studie wurden Daten von mehr als 12.000 Menschen über einen Zeitraum von 32 Jahren (1971-2003) analysiert und dabei zu mehreren Erhebungszeitpunkten unter anderem das Gewicht (anhand des Body-Mass-Index, BMI) erfasst. Berücksichtigt wurden in diesen Analysen auch die sozialen Zusammenhänge zwischen den Teilnehmern, ob es sich um Ehepartner handelte, Geschwister oder engere Freunde. Und erfasst wurde auch die räumliche Nähe zwischen diesen Personen. Auf diese Weise konstruierte man mit statistischen Modellen ein soziales Netzwerk, das darauf hin beobachtet wurde, wie sich im Zeitverlauf der BMI der Studienteilnehmer veränderte. Dabei unterschied man in der statistischen Analyse "Ego"-Personen als primäre Bezugspunkte innerhalb eines Netzwerks und "Alter"-Personen, also deren Ehepartner oder Geschwister, Freunde oder Nachbarn.

Die Datenauswertung kam dann zu einigen überraschenden Befunden:
• Wenn sich das Körpergewicht eines "Ego" zu einem Zeitpunkt t0 veränderte, dann hatte dies zu einem späteren Zeitpunkt t1 auch einen statistisch hoch bedeutsamen Einfluss auf Gewichtsveränderungen bei den "Alter"-Personen im sozialen Netzwerk.
• Die Wahrscheinlichkeit, ebenfalls Übergewicht zu bekommen (oder umgekehrt: deutlich abzumagern) war abhängig von der Art der Beziehung und besonders hoch unter gleichgeschlechtlichen engen Freunden oder Freundinnen.
• Das Risiko, einen BMI-Wert von über 30 aufzuweisen, betrug unter Ehepartnern 37%, unter Geschwistern 40%, unter engen Freunden 57%.
• Besonders hoch (171%) fiel das Risiko aus, wenn beide Personen des Netzwerks sich als enge Freunde bezeichneten. Sofern diese Freundschaft jedoch nur einseitig als solche erklärt wurde, zeigte sich kein Effekt mehr. Ebenso war für Nachbarn kein Zusammenhang zu beobachten.
• Das Geschlecht spielt eine große Rolle: Unter gleichgeschlechtlichen Freunden waren die Effekte deutlich höher.
• Die beobachteten Veränderungen zeigten sich dabei noch bis ins dritte Kettenglied, also dem Freund eines Freundes eines Freundes, und dies auch ganz unabhängig von der räumlichen Nähe.

In der Diskussion ihrer Befunde weisen die Wissenschaftler zunächst auf einige Detail-Ergebnisse hin, die zunächst naheliegende Interpretationen als unzutreffend ausweisen. So können die Ergebnisse nicht gedeutet werden nach dem Motto "Gleich und gleich gesellt sich gern". Es ist also nicht so, dass Übergewichtige sich nun einen Freundeskreis aussuchen, der sich aus Personen mit ebenfalls größerer Körperfülle zusammensetzt. Dagegen spricht zum einen, dass in den Daten Veränderungen des Körpergewichts zu verschiedenen Zeitpunkten erfasst wurden. Ansonsten hätte man schon zum Anfang der Erhebungen innerhalb eines persönlichen Netzwerks hohe Übereinstimmungen im BMI finden müssen. Zum andern zeigte sich in den Analysen auch, dass die gefundenen Zusammenhänge ganz unabhängig davon gelten, wie weit Personen voneinander entfernt leben.

Überprüft wurde von den Wissenschaftlern auch, inwieweit das Rauchen oder ein Verzicht auf das Rauchen eine Erklärung spielen könnte, etwa nach dem Prinzip: "Ego" hört auf zu rauchen, teilt dies (mit vielfältigen Hinweisen auf Gesundheitsrisiken oder andere Vorteile des Nichtrauchens) im sozialen Umfeld mit, woraufhin dort ebenfalls etliche Raucher ihr Laster aufgeben - und an Gewicht zunehmen. Tatsächlich zeigte sich jedoch, dass das zu verschiedenen Zeitpunkten ebenfalls erfasste Rauchverhalten keinen Einfluss auf die Körpergewichtsveränderungen im sozialen Netzwerk hat.

Die Forscher interpretieren ihre Befunde vielmehr als Effekt der Verbreitung von Normen und Wertmaßstäben in sozialen Netzwerken. Es hat sich nach ihren Befunden gezeigt, dass "die psychosozialen Mechanismen der Verbreitung von Übergewicht weniger auf einer Nachahmung von Verhaltensweisen beruhen als sehr viel mehr auf Änderungen in der generellen Wahrnehmung einer Person, was die gesellschaftliche Akzeptanz von Übergewicht anbetrifft. [...] So nimmt Ego vielleicht wahr, dass Alter an Körpergewicht zunimmt und kann dann eine Gewichtszunahme bei sich selbst eher als akzeptabel bewerten."

"Soziale Einflüsse", so erklärt James H. Fowler, einer der Autoren in einer Pressemitteilung seiner Universität, "sind sehr viel stärker als man bisher annahm. Es gab sehr umfassende Anstrengungen, um jene Gene zu finden, die für Übergewicht verantwortlich sind. Unsere Studie zeigt nun, dass man zumindest genau so viel Energie darauf verwenden sollte, die sozialen Aspekte des Lebens besser zu verstehen." Die politische Bedeutung ihrer Befunde schätzen die Wissenschaftler recht hoch ein, da sich die gefundenen sozialen Einflüsse über drei Stationen der Beziehung hinweg gezeigt haben. Von daher würde sich eine Public-Health-Maßnahme, die bei einer Person erfolgreich zu einem Verlust des Übergewichts führt, nicht nur bei dieser einen Person auswirken, sondern nach dem Schneeball-Prinzip bei einer Vielzahl weiterer Personen im sozialen Netzwerk. "Nicht nur dicke Personen wirken 'ansteckend', sondern auch dünne", erklärte Fowler.

• Die Studie ist hier im Volltext kostenlos als PDF verfügbar: The Spread of Obesity in a Large Social Network over 32 Years (New England Journal of Medicine, 2007;357:370-9)
• Hier ist das Editorial im New England Journal of Medicine nachzulesen, das sich mit der Bedeutung sozialer Netzwerke beschäftigt: Network Medicine - From Obesity to the "Diseasome"
• Hier ist die Pressemitteilung der University of California, San Diego

Gerd Marstedt, 27.7.2007