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Zwei-Klassen-Medizin


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Innenleben der "Zwei-Klassen-Medizin: Arzneimittel und PKV=wirtschaftlich, innovativ, wirksam, qualitativ hochwertig? Eher nicht!

Artikel 1788 Auch wenn manche PatientInnen über "Zweiklassen-Medizin" klagen, die wochenlang auf einen Facharzttermin warten oder stundenlang im Wartezimmer privatversicherte Mitleidende an sich vorbeiziehen sehen, zeigte bereits eine vor kurzem erschienene Studie, dass es sowohl bei der Wirtschaftlichkeit als auch bei der Versorgungsqualität in der PKV Schattenseiten gibt.

Dieser Eindruck wird durch eine im Februar 2010 erschienene Analyse über die Arzneimittelversorgung der PKV-Versicherten aus dem "Wissenschaftlichen Institut des PKV-Verbandes (WIP)" mehrfach illustriert.

Ihre wesentlichen, empirisch gut belegten Ergebnisse lauten nämlich folgendermaßen:

• Obwohl die Arzneimittelausgaben schon in der GKV trotz einer schier endlosen Liste von Regulierungsansätzen und -versuchen zu den Dauer-Problembereichen gehören, sieht es in der PKV schlechter aus: "Die Arzneimittelausgaben in der PKV weisen jährlich nicht nur höhere Steigerungsraten als in der GKV auf, sondern steigen regelmäßig auch stärker im Vergleich zu anderen Leistungsbereichen" der PKV.
• Auch wenn GKV-Versicherte und Arzneimittelhersteller einstimmig der Meinung sind oder die Wahrnehmung haben, PKV-Versicherte erhielten die "moderneren" und angeblich "besseren" bzw. wirksameren Mittel verordnet, zeigt der PKV-Bericht ein quantitativ und qualitativ anderes oder differenzierteres Bild des Verordnungsgeschehens. Die "gesamtmarktbezogene Innovationsquote ohne Berücksichtigung von OTC-Präparaten" betrug danach 2008 in der PKV 28,89% und in der GKV trotz einiger Berechnungsproblemen rund 24%. Neue Medikamente hatten 2008 in der PKV einen Anteil am Gesamtumsatz der Medikamente von 7%, in der GKV 6%. Bei allen Werten war der Unterschied noch 2007 größer. Er verringerte sich hauptsächlich durch Veränderungsprozesse in der PKV. Die Zusammenfassung der Vergleiche von PKV- und GKV-Zahlen lautet: "Die Berechnung einer gesamtmarktbezogenen und indikationsbezogenen Innovationsquote erbrachte, dass Privatversicherte anteilig etwas häufiger neue Medikamente erhalten als GKV-Versicherte."
• Ein Teil der Arzneimittel-Ausgabenprobleme in der PKV ergibt sich durch die sehr niedrige so genannte Generikaquote: "Für die 100 umsatzstärksten generikafähigen Wirkstoffe konnte bei der PKV für das Jahr 2008 eine Generikaquote (nach Verordnungen) von 51,4 % berechnet werden. Dies ist eine deutliche Steigerung gegenüber dem Vorjahr (46,4 %). Die GKV weist eine erheblich größere Quote auf. Auf hohem Niveau konnte hier sogar noch ein weiterer Anstieg von 86,1 % auf 89,7 % erreicht werden. Bei generikafähigen Wirkstoffen erhalten Kassenpatienten damit nur noch in einem von zehn Fällen das Originalpräparat."
• Was in der PKV aber offensichtlich eine im Vergleich mit der GKV wesentlich größere oder überhaupt eine Rolle spielt, ist die Verordnung und Bezahlung von nichtverschreibungspflichtigen Medikamenten. "Bei mehr als einem Drittel aller eingereichten Arzneimittelverordnungen (36,6 %) handelt es sich um ein nicht-verschreibungspflichtiges Medikament."
• Dass dies nicht nur ein Finanzierungsproblem, sondern vor allem ein qualitatives Problem darstellt, zeigt der Blick auf die Liste der so verordneten Präparate. Das 2008 umsatzstärkste OTC-Präparat war Tebonin (bei der Anzahl der Verordnungen lag Aspirin vorne). Tebonin lag 2008 in der Liste der Umsatzanteile aller abgerechneter Arzneimittel in der PKV auf Platz 9 und in der GKV auf Platz 599.
• Dies wäre u.U. sogar hinzunehmen, wenn durch die Einnahme von Tebonin wirklich die Aktivität von Milliarden Gehirnzellen aktiviert würde, Tinnitusprobleme verschwinden und prädementielle Prozesse gestoppt oder erheblich verzögert würden (Wer es vergessen hat: So lauten eine Reihe der gut platzierten Werbebehauptungen). Die letzte Veröffentlichung der "Stiftung Warentest (4/2010) hegt genau dazu aber erhebliche Zweifel: "Wenig geeignet bei Demenzerkrankungen und Hirnleistungsstörungen. Die therapeutische Wirksamkeit ist nicht ausreichend nachgewiesen. Aufgrund einiger positiver Studienergebnisse scheint ein Behandlungsversuch allerdings gerechtfertigt, wenn besser beurteilte Mittel nicht eingesetzt werden können." Und: "Wenig geeignet bei peripheren arteriellen Durchblutungsstörungen, weil die therapeutische Wirksamkeit nicht ausreichend nachgewiesen ist." Der Pharmakologe Kay Brune, Mitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, bemerkte bereits vor längerem: "Dieser Wirkstoff, oder dieses Produkt - denn ein Wirkstoff ist nicht bekannt - ist in allen mir bekannten Studien wenig erfolgreich gewesen, in den drei wesentlichen Studien total unerfolgreich. Man kann also davon ausgehen, dass Ginkgo bei Demenzstörungen oder bei kognitiven Störungen keine therapeutische Wirksamkeit aufweist." Und da damit der Wirkstoff von Tebonin und einer Reihe ähnlich als wirksam beworbenen Präparaten angesprochen wurde, gibt der anerkannte Pharmakologe Peter Schönhöfer in Würdigung einer nicht ganz einhelligen Forschungs- und Bewertungslage folgendes zu bedenken: "In dieser Studie, an dieser großen Zahl von Patienten zeigt sich, dass keine Verhinderung von dementieller Entwicklung stattfindet. Im Gegenteil: die Patienten die Ginkgo bekommen haben, haben eine höhere Tendenz eine Demenz zu entwickeln als die Patienten die es nicht bekommen". Dies gelte zumindest für Patienten mit einer Vorerkrankung der Herzgefäße.
• Dabei geht es um die mit 3.069 TeilnehmerInnen über 6,1 Jahre durchgeführte aktuellste und umfangreichste Studie "Ginkgo biloba for Preventing Cognitive Decline in Older Adults" von Snitz et al., deren ERgebnisse in der renommierten Medizinzeitschrift JAMA (JAMA 2009;302[24]:2663-2670) erschienen und diskutiert worden sind. Wesentliches Ergebnis: "Compared with placebo, the use of G biloba, 120 mg twice daily, did not result in less cognitive decline in older adults with normal cognition or with mild cognitive impairment."

Ohne die Wirksamkeit von Gingko generell und abschließend bewerten zu können und unter Berücksichtigung einer zum Teil positive Bewertung der Wirksamkeit von Gingko durch das IQWiG, sei die Erkenntnislage so zusammengefasst: Im "Spiel" Wirksamkeit gegen Unwirksamkeit von Tebonin steht es im Moment und aus Sicht unabhängiger "Schiedsrichter" 1:4. Ob dieser "Spielstand" die Verordnungs- und Abrechnungshäufigkeit und vor allem die Einnahme von Tebonin durch die PKV-Versicherten rechtfertigt, müssen letztlich diese entscheiden.

Die auch über das Zitierte hinaus lesenswerte und materialreiche 92-seitige Studie "Arzneimittelversorgung der Privatversicherten 2008. Zahlen, Analysen, PKV-GKV-Vergleich" von Frank Wild ist im Februar 2010 als Diskussionspapier des "Wissenschaftlichen Instituts der PKV (WIP)" erschienen und kostenlos erhältlich.

Bernard Braun, 27.4.10