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Patienten
Verhaltenssteuerung (Arzt, Patient), Zuzahlungen, Praxisgebühr


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Hormontherapie: Neuere Forschungserkenntnisse gelangen kaum in Arztpraxen (24.7.2005)
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Verhaltenssteuerung (Arzt, Patient), Zuzahlungen, Praxisgebühr
 

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Praxisgebühr - und kein bisschen weise

Artikel 1257 Eine weitere, diesmal englischsprachige Studie zur Praxisgebühr in Deutschland liegt seit kurzem vor. Jonas Schreyögg vom Fachbereich Gesundheitsmanagement der TU Berlin und Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin publizierten in Copayments for Ambulatory Care in Germany: A Natural Experiment Using a Difference-in-Difference Approach die Ergebnisse ihrer Auswertung von Daten des Sozio-Ökonomischen Panels (SOEP), einer repräsentativen Längsschnittsbefragung von rund 22.000 in Privathaushalten lebenden Personen über 16 Jahre.

Dabei nehmen die Autoren einen Zeitreihenvergleich vorher-nachher (difference-in-difference) der Arztbesuche vor (2000-2003) und nach Einführung der Praxisgebühr (2005-2005) vor. Insbesondere erheben sie Vergleichsdaten zwischen GKV-Mitgliedern, auf die sich die Einführung der Praxisgebühr beschränkte, und PKV-Versicherten, die davon gar nicht betroffen waren und sind. Zusätzlich vergleichen sie die Zahl der Arztbesuche zwischen chronisch kranken und von armen GKV-Mitgliedern sowie insbesondere von SozialhilfeempfängerInnen mit denen der PKV-Versicherten. Dabei kontrollieren die Autoren die verschiedenen Indikatoren unter anderem an Hand der subjektiven Einschätzung des Gesundheitszustands. Die Autoren räumen mögliche Ungenauigkeiten bei der Erfassung der Personen mit chronischen Erkrankungen an Hand des SOEP ein, beschreiben aber nicht, wie sie andere Quellen für Bias abschätzen, beispielsweise die Beobachtung, dass Angehörige unterer sozioökonomischer Schichten ihre Gesundheit tendenziell schlechter einschätzen als besser Gestellte.

In der Tat gehört Deutschland zu den Spitzenreitern bei der Zahl der Arztkontakte, wobei allerdings die Kosten für ambulante Versorgungsleistungen im internationalen Vergleich nicht sonderlich hoch sind. Dies zeigt die Auswertung von Datensätzen einer großen deutschen Ersatzkasse, die im Übrigen kostenfrei zugänglich im Internet zur Verfügung stehen: GEK-Report zur ambulaten Versorgung 2007 einschließlich des statistischen Anhangs.

Die Autoren der DIW-TU-Studie sehen die wahrscheinlichste Ursache im berühmten Mitnahmeverhalten der Versicherten, das für öffentliche Systeme typisch sei. Auf Anbieterseite mögen sie keine Gründe für die vergleichsweise hohe Zahl der Arztkontakte sehen. Doch ist die Interpretation des Inanspruchnahmeverhaltens als ausschließliche Sache der Nachfrager ebenso in der gesundheitsökonomischen Theorie verbreitet wie unbewiesen und unwahrscheinlich. Schließlich pflegt ein deutscher Hausarzt kranke PatientInnen damit zu verabschieden, sie mögen in zwei Tagen wiederkommen, während britische General Practitioners eher empfehlen, in einer Woche wiederzukommen, wenn es nicht besser geworden sei. Doch wenn man derartige Betrachtungen einbezieht, verliert der Ansatz nachfrageseitiger Steuerung durch Zuzahlungen natürlich viel an Bedeutung.

Allerdings ist in den letzten mehr als zehn Jahren ohnehin ein kontinuierlicher Rückgang der Zahl der Arztbesuche in Deutschland zu beobachten. Die Einführung der Praxisgebühr scheint keinen erkennbaren Einfluss auf diese Entwicklung gehabt zu haben. Zwar gab es, wie die Analyse der Daten des SOEP zeigt, unmittelbar nach der Einführung der Praxisgebühr zum Jahresanfang 2004 einen deutlichen Rückgang der Zahl der Praxisbesuche, aber dabei sind zwei Phänomene besonders erwähnenswert: Dieser Effekt war nur von sehr kurzer Dauer und er war bei GKV-Mitglieder gleichermaßen zu beobachten wie bei PKV-Versicherten, für die überhaupt keine Praxisgebühr anfiel. Die kurzfristige Wirkung der Praxisgebühr ist, wie die Autoren nicht diskutieren, sicherlich auf eine Mischung aus allgemeiner Verunsicherung sowie der Vorwegnahme und Verschiebung von Praxisbesuchen zurückzuführen und im Übrigen typisch für die Einführung neuer Zuzahlungsregelungen.

Die Erklärung des gleichsinnigen Effekte auf betroffene GKV- und nicht betroffene PKV-Versicherte mit der starken Debatte und medialen Präsenz und Verunsicherung der BürgerInnen mag eine Rolle gespielt haben. Gänzlich unerwähnt lassen die Autoren indes mögliche und wahrscheinliche andere Faktoren und insbesondere mögliche Einflüsse von Seiten der Anbieter. So weisen Hartmut Reiners und Melanie Schnee in ihrer Analyse für die Bertelsmann-Stiftung Hat die Praxisgebühr eine nachhaltige Steuerungswirkung?, Gesundheitsmonitor 2007, S.133-154 (leider nicht online zugänglich) auf wahrscheinliche Überlappungseffekte durch die ein Jahr nach Einführung der Praxisgebühr geänderten Budgetregelungen und der Honorierungsverteilung für die niedergelassenen Kassenärzte hin. Wenn man über den engen Tellerrand der nachfrageseitigen Steuerung hinausschaut, ergeben sich bisweilen interessante Zusammenhänge. Dass derartige Überlegungen keine Erwähnung finden, mag in der Logik der ökonomischen Zuzahlungstheorie konsequent erscheinen, offenbart aber zugleich grundlegende Schwächen dieses Ansatzes.

Abgesehen von einer generell niedrigeren Inanspruchnahmerate von privat versicherten BundesbürgerInnen, die man zwanglos mit dem durchschnittlich besseren Einkommen und Gesundheitszustand dieser Bevölkerungsgruppe erklären kann, ergaben alle weiteren Vergleiche zwischen verschiedenen Untergruppen keine signifikanten und nach Berechnungsart differierende Ergebnisse. Insgesamt zeigt die Auswertung der SOEP-Daten aber einen tendenziell stärkeren Rückgang der Praxisbesuche bei unteren Einkommensgruppen und bei chronisch Kranken im Vergleich zur Gesamtpopulation der GKV- und PKV-Versicherten.

Die Autoren fassen ihre Untersuchungsergebnisse folgendermaßen zusammen: "... we did not observe a deterrent effect among vulnerable individuals. Thus, the copayment has failed to reduce the demand for physician visits. It is likely that this result is due to the design of the copayment scheme, as the copayment is low and is paid only for the first physician visit per quarter." Eine mögliche Erklärung für ihre Ergebnisse sehen die Autoren im Sinne ihres nachfragefokussierten Ansatzes im Design der Praxisgebühr, das jeden weiteren Arztbesuch nach einmaligem Kontakt kostenfrei macht. Gängige Forderungen zielen denn auch wahlweise auf eine Erhöhung vermeintlich zu niedriger Zuzahlungsbeträge oder die Einführung von Selbstbeteiligungen für jede Leistung bzw. jeden Arztbesuch ab.

Dieser Ansatz bringt den Aufenthalt in meist vollen Wartezimmern und alle Dienste von Ärzten in die Nähe von Konsumgütern und Vergnügen, die jedermann/frau auszunutzen neigt, wenn sie preiswert oder gar umsonst zu haben sind. Außerdem finden andere Untersuchungen wie die bereits erwähnte Analyse der Bertelsmann-Stiftung keine Belege für derartige Mitnahmeeffekte. Viel wahrscheinlicher ist, dass der nur kurzfristige Effekt der Praxisgebühr in Deutschland die vielfach reproduzierte internationale Erfahrung bestätigt, dass Zuzahlungswirkungen immer von kurzer Dauer sind.

Unerwähnt bleibt auch, dass die Datenerhebung im Rahmen des SOEP Informationen über nicht in privaten Haushalten lebende Personen ausblendet. Insbesondere erfasst sie weder Angaben über die Lage von Menschen in Pflegeeinrichtungen noch über die nicht unerhebliche Zahl von Obdachlosen in Deutschland. Beide gehören zweifellos zu den vulnerablesten Bevölkerungsgruppen, und insbesondere die Probleme von Heiminsassen nach Einführung der Praxisgebühr bei gleichzeitiger Erhöhung anderer Zuzahlungen zeigten zumindest in der Anfangsphase erhebliche Verwerfungen. Allerdings erfasst bisher keine Zuzahlungsstudie aus Deutschland die Auswirkungen auf solche Randgruppen.

Als "Einschränkungen" (sic!) ihrer Studie benennen die Autoren lediglich die Schwierigkeit, die Auswirkungen des zeitgleich mit der Praxisgebühr erfolgten Ausschlusses von etlichen frei verkäuflichen Arzneimitteln aus dem GKV-Leistungskatalog. Auf die genannten anbieterseitigen oder andere mögliche Ursachen gehen sie überhaupt nicht ein. Aber gänzlich unbeirrt von den genannten und ungenannten Einschränkungen ihrer Studie leiten sie einmal mehr "wichtige politische Konsequenzen für Entscheidungsträger in Deutschland und anderen Ländern" ab. Wolle man dem "Moral-Hazard-Verhalten wirksam begegnen, brauchte es eine Praxisgebühr für jeden Arztbesuch nach us-amerikanischem Vorbild. Beachtenswert ist der weitere Vorschlag, Präventionsprogramme aufzulegen, die insbesondere bei vulnerablen Gruppen die Wahrscheinlichkeit von Arztbesuche senken. Offenbar ist den Autoren entgangen, dass gerade in den USA die Zweifel an Kosten senkenden Effekten der Prävention durch empirische Untersuchungen untermauert sind, jüngst nachzulesen im New England Journal of Medicine. Dabei ist der lesenswerte Artikel Does Preventive Care Save Money? kosten- und anmeldungsfrei als Volltext zugänglich.

Hier können Sie kostenlos die englischsprachige Studie über Auswirkungen der Praxisgebühr vom DIW und der TU Berlin herunterladen: Copayments for Ambulatory Care in Germany: A Natural Experiment Using a Difference-in-Difference Approach

Jens Holst, 7.6.2008