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"In welchem Alter haben Sie die Krankheitslast eines durchschnittlich 65-jährigen Menschen?" Wer hat das beste Gesundheitssystem?

Artikel 2647 Die meisten Gesundheitspolitiker in entwickelten Staaten Europas oder Nordamerikas brüsten sich gerne damit, dass sie das "beste Gesundheitssystem" haben und stützen sich dabei oft auf die Beantwortung von simplen Zufriedenheitsfragen in Bevölkerungsumfragen. Zufriedenheitsfragen allein produzieren systematisch positiv verzerrte Antworten und müssen dann, wenn sie überhaupt gestellt werden, zusammen mit anderen spezifischeren Fragen und Indikatoren betrachtet werden.
Wie dann manche sich reiner Selbstbespiegelung verdankende Rangreihe durcheinander und realistischer gerät, zeigt eine gerade in der Fachzeitschrift "Lancet Public Health" veröffentlichte international vergleichende Studie von europäischen und us-amerikanischen Wissenschaftlern.

Mit Daten der "Global Burden of Disease study (GBD) 2017" entwickeln die AutorInnen zunächst auf der Basis von 92 unterschiedlichsten Erkrankungen eine Reihe von altersstandardisierten altersspezifischen Indikatoren für die Krankheitslast in 195 Ländern und die Jahre 1990 und 2017.
Allgemein ergibt sich dann folgendes Bild:

• Zwischen 1990 und 2017 reduziert sich die altersbezogene Krankheitslast in allen Regionen der 195 Länder. Dies gilt insbesondere für das Mortalitätsrisiko und die altersbezogene Erkrankungsschwere.
• Verglichen mit dem Durchschnittswert für alle Länder tritt die mit dem Altern verbundene Häufung von Gesundheitsproblemen früher und in 87 Ländern später auf als im Alter von 65 Jahren.
• Weltweit sind vor allem ischämische Herzerkrankungen, Hirnblutungen und chronisch obstruktive Lungenerkrankungen (COPD) für die Sterblichkeit und die durch Behinderung verlorenen Lebensjahre ("disability-adjusted life years (DALY)" verantwortlich.

An welcher Position sich die gesundheitlich vermeintlich besten oder besseren Ländern befinden, wenn untersucht wird, in welchem Lebensalter die gesundheitliche Situation der Bevölkerung so aussieht wie die der durchschnittlich 65-Jährigen, führt zu interessanten Ergebnissen:

• In Japan, und damit erreicht das Land weltweit den Platz 1, sind im Durchschnitt erst die Menschen im Alter von 76,1 Jahren so krank wie durchschnittlich 65-Jährige. Auf den weiteren Plätzen stehen die BürgerInnen der Schweiz (76,1 Jahre), Frankreichs (76 Jahre) oder bereits auf Platz 10 Peru (74,3 Jahre).
• In Papua-Neu-Guinea, und damit belegt das Land weltweit den letzten Platz, haben die BewohnerInnen bereits mit 45,6 Jahren die Krankheitslast von durchschnittlich 65-jährigen Personen. Die Marschall-Inseln (51 Jahre), Afghnanistan (51,6 Jahre) oder Guinea-Bissau (54.5 Jahre) nehmen dann die weiteren Plätze ein.
• Zwischen den Ländern mit früher oder später im Lebensalter auftretenden altersspezifischen Krankheitslasten von durchschnittlichen 65-Jährigen existiert also eine Spanne von rund 30 Lebensjahren.
• Die USA erreichen gerade den Platz 53 und liegen damit zwischen dem Iran (Platz 54) und Algerien Platz 52).
• Und Deutschland liegt wie fast immer auf einem "guten" Mittelplatz: Deutsche BürgerInnen müssen zwar die Krankheitslast von 65-Jährigen erst im Alter von 70,7 Jahren tragen, damit liegt Deutschland aber erst auf Platz 38, einen Platz besser als Costa Rica und einen schlechter als Großbritannien.

Beim Indikator der durch Behinderung verlorenen Lebensjahre sieht es 2017 erneut mit 104,9 DALYs pro 1.000 Erwachsene im Alter von 25 Jahren und älter weltweit am besten in der Schweiz aus und in Papua Neuguinea mit 506,6 DALYs pro 1.000 Erwachsene am schlechtesten. Hier erreicht Deutschland mit 144,7 DALYs den Platz 33.

Zahlreiche weitere Indikatoren und internationale Rangreihen finden sich in dem Aufsatz Measuring population ageing: an analysis of the Global Burden of Disease Study 2017 von Angela Y Chang, Vegard F Skirbekk, Stefanos Tyrovolas, Nicholas J Kassebaum und Joseph L Dieleman. Erschienen ist er im "The Lancet Public Health" (2019; 4 (3): e159-167) und ist komplett kostenlos erhältlich.
Zusätzliche Daten für Länder und Regionen, die den Berechnungen zugrundeliegenden oder ausgeschlossenen Krankheiten und zahlreiche methodische Hinweise finden sich in dem ebenfalls kostenlos erhältlichen 37-seitigen "Supplementary appendix".

Bernard Braun, 11.3.19


Von den Grenzen der Vererblichkeit langen Lebens

Artikel 2633 Angesichts der in hoch entwickelten Ländern seit Jahrzehnten stetig steigenden Lebenserwartung stellt sich auch die Frage nach den Triebkräften dieses Prozesses. Nicht erst seitdem Gene durch die immer größere Transparenz über ihre Strukturen für immer mehr erwünschte und unerwünschte Erscheinungen und Ereignisse im menschlichen Leben verantwortlich gemacht werden, ja, diese zu determinieren scheinen, gelten 15 bis 30% der Lebenserwartung als genetisch, d.h. letztlich unbeeinflussbar bestimmt.
Ob dies zutrifft und damit der Einfluss einer Vielzahl von natürlichen oder sozialen und damit in einem gewissen Maß beeinflussbaren Faktoren entsprechend begrenzt ist, ist nicht einfach zu untersuchen.

Ein im November 2018 in der Zeitschrift "Genetics" der us-amerikanischen Fachgesellschaft "Genetics Society of America" erschienener Aufsatz fasst nun die Ergebnisse einer quantitativ enorm großen und methodisch aufwändigen Untersuchung des Einflusses von Genen auf die Lebenserwartung der Angehörigen von 54 Millionen von Familienstammbäumen ("family trees") in den Geburtsjahrgangs-Kohorten zwischen 1800 und 1920 zusammen. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass der Anteil der genetischen Erblichkeit an der Lebenserwartung unter 10%, wenn nicht sogar unter 7% liegt ("well below 10%").
Dieser deutlich niedrigere Einfluss beruht vor allem auf einer Korrektur der möglichen Effekte von "assortative mating". Darunter ist zu verstehen, dass unabhängig davon, ob genetische oder soziokulturelle Faktoren die spätere Lebenserwartung beeinflussen, oft Individuen zusammenfinden und Kinder bekommen, die sich in bestimmten Merkmalen wie z.B. dem Einkommen, dem Rauchverhalten oder der Körpergröße besonders ähnlich sind.
Auch wenn in der Studie nicht genauer auf den Einfluss von sozialen, kulturellen oder Umweltfaktoren eingegangen wird, liegt nahe, dass dieser bei dem geringeren Einfluss der Erblichkeit größer ist als bisher angenommen.

Die Studie Estimates of the Heritability of Human Longevity Are Substantially Inflated due to Assortative Mating von G. Ruby, K. Wright et al. ist im Novemberheft der Zeitschrift "Genetics" (210 (3): 1109-1124) veröffentlicht und komplett kostenlos erhältlich.

Bernard Braun, 8.11.18


Alter=schwere Sehbehinderung oder Blindheit? Inzidenz von Sehbehinderung und Erblindung durch Makuladegeneration nimmt stetig ab!

Artikel 2594 Zum Inventar der Debatten über die altersbedingte "kränker werdende Gesellschaft" gehören eine Reihe von chronischen oder degenerativen Erkrankungen mit mehr oder weniger gravierenden Einschränkungen körperlicher, geistiger und sozialer Funktionen.
Dazu gehört auch die so genannte Makuladegeneration, eine Erkrankung der Netzhaut des Auges, die im besseren Fall zu Sehunschärfen, im schlimmsten und nicht seltenen Fall zu hochgradiger Sehbehinderung und Blindheit führen kann.
Dass es sich dabei nicht um eine stetig wachsende und unvermeidliche Entwicklung oder gar eine alternsassoziierte Epidemie handelt, zeigt eine gerade veröffentlichte Studie in den USA.

Dort wurde das Risiko einer Makuladegeneration in mehreren Altersgruppen mit insgesamt 4.819 Personen untersucht, die entweder 1987/88 zwischen 43 und 84 Jahren oder in den Jahren 2005/2008 zwischen 21 und 84 Jahre alt waren. Mit der letzten Gruppe, der so genannten Baby-Boomer-Gruppe, verbinden sich generell die größten Befürchtungen für die Krankheitsentwicklung älter werdenden Menschen.
Die jeweilige mehrfach adjustierte (z.B. nach Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand und Lebensgewohnheiten) 5-Jahres-Inzidenz für alternsassoziierter Makuladegeneration sank von 8,8% in der zwischen 1901-1924 geborenen ersten Gruppe, über 3% in der 1925-1945 geborenen Gruppe auf 1% in der zwischen 1946 und 1964 geborenen Baby-Boomergruppe und sogar auf 0,3% in der so genannten Generation X (zwischen 1965 und 1984 geboren). Da die StudienteilnehmerInnen überwiegend Weiße waren, können die Ergebnisse allerdings - so die AutorInnen - nicht ohne weiteres für Angehörige anderer Ethnien verallgemeinert werden.

Zur gesundheitspolitischen Relevanz halten die AutorInnen folgendes fest: "Factors that explain this decline in risk are not known. However, this pattern is consistent with reported declines in risks for cardiovascular disease and dementia, suggesting that aging Baby Boomers may experience better retinal health at older ages than did previous generations."

Die Studie Generational Differences in the 5-Year Incidence of Age-Related Macular Degeneration. von
K.J. Cruickshank et al. ist "online first" am 16. November 2017 in der Fachzeitschrift "JAMA Ophthalmology" erschienen.

Bernard Braun, 27.11.17


Funktionale Behinderungen von älteren Personen sind in den letzten 30 Jahren weniger geworden - zumindest in Schweden

Artikel 2591 Eine der mit dem demografischen Wandel einhergehende gesundheits- und sozialpolitisch wichtige Frage ist, ob die längere Lebenserwartung mit einer Zunahme gesundheitlich beeinträchtigter oder behinderter Personen verbunden ist oder das individuelle Risiko dafür gleich bleibt oder sogar sinkt. Letzteres kann, muss aber nicht, bei einer gleichzeitigen Zunahme der älteren Bevölkerung trotzdem zu einer Zunahme der Gesamtzahl dieser Personen führen.
Eine Methode, um diese Frage beantworten zu können, sind Vergleiche gesundheitlicher Zustände in zwei oder mehreren Kohorten mit jahrzehntelangem Abstand.
Eine Studie mit zwei bevölkerungsrepräsentativen Kohorten von jeweils 75-Jährigen Schweden im Jahr 1976/77 (n=744) und 2005/06 (n=731) untersuchte deren Angehörigen umfassend körperlichen und psychiatrisch. Sie erhob ferner Daten zum Status der "activities of Daily living (ADL)" und "instrumental activities of Daily living (IADL)", dem selbst wahrgenommenen Gesundheitszustand, der Beteiligung an Freizeitaktivitäten, der Zufriedenheit mit der Wohnungsumgebung, zum sozialen Netzwerk und weiteren persönlichen Angaben der StudienteilnehmerInnen.

Die wichtigsten Ergebnisse lauteten:

— Der Anteil von Personen mit funktionalen Behinderungen bei den ADL nahm signifikant von 13,9% in der ersten auf 5,6% in der zweiten Kohorte ab. Der Anteil mit IADL-Behinderung Hahn ebenfalls signifikant von 33,4% auf 13% ab. Fasst man die Werte beider Behinderungsindikatoren zusammen, sank die Abhängigkeit von fremder Hilfe bei den Frauen am stärksten von 42,3% auf 15,1% - ebenfalls hochsignifikant.
— Die Teilnahme an Freizeitaktivitäten nahm zwischen den beiden Kohorten zu. So wuchs der Anteil der 75-jährigen Personen, die Reisen unternahmen von 6,3 auf 16,2%, und ebenso der Anteil, der noch unabhängig ihr eigenes Fahrzeug fuhr, von 10% auf 53%. Da Unabhängigkeit, die untersuchten sozialen Aktivitäten oder die soziale Kontakte ermöglichenden Fähigkeiten mit zu den gesundheitsförderndsten Lebensbedingungen gehören, dürften sich auch andere Gesundheitsmerkmale verbessert oder zumindest nicht verschlechtert haben.

Das Resumeé der AutorInnen lautet daher: "Our findings might serve as a reason to adopt a more positive view to ageing in a world with an increasing number of older people."

Die Studie Functional disability and ability 75-year-olds: a comparison of two Swedish cohorts born 30 years apart von Hanna Falk, Lena Johansson, Svante Östling, Katja Thřgersen Agerholm, Morten Staun ist am 1. September 2014 in der Geriatrie-Fachzeitschrift "Age and Ageing" (Volume 43, Issue 5, S. 636-641) erschienen und komplett kostenlos erhältlich.

Bernard Braun, 18.11.17


Prävention von kardiovaskulären Risikofaktoren in den mittleren Jahren bringt viel für ein längeres und gesünderes Alter

Artikel 2560 Zu den oft gestellten Fragen zum Nutzen von Prävention für Gesunde im jüngeren und mittleren Lebensalter gehört die nach dem gesundheitlichen und finanziellen Nutzen für den Nutzer von Prävention und ihre Krankenversicherung. Konkrete Antworten scheitern oft daran, dass nur wenige prospektive personenbezogene Analysen der gesundheitlichen Entwicklung im weiteren Lebenslauf existieren.

Daran ändern die Ergebnisse aus zwei Studien mit TeilnehmerInnen an der seit rund 40 Jahren laufenden "Chicago Health Association Study" einiges.

In den späten 1960er und frühen 1970er Jahren wurden die durchweg mittelalten (durchschnittlich 44 Jahre alt) 25.804 TeilnehmerInnen in Gruppen ohne und mit einem oder mehreren kardiovaskulären Risikofaktoren (z.B. Raucher, Diabetiker, Übergewicht und erhöhter Blutdruck) eingeteilt.

Betrachtet man die 25.804 Personen, die 2010 65 oder älter geworden sind nach ihrem Risikofaktorenstatus in ihren mittleren Lebensjahren, wird folgendes deutlich:

• Wer in jüngeren Jahren bei keinem der Risikofaktoren erhöhte Werte hatte, lebte durchschnittlich vier Jahre länger.
• Der Tod durch alle Ursachen und durch kardiovaskuläre Erkrankungen wurde um 4,5 bzw. 7 Jahre verschoben.
• Dies war auch mit einer deutlichen absoluten und relativen "compression of morbidity" verbunden
• Alles zusammen waren die Behandlungskosten zu Lasten von Medicare bei diesen Personen um rund 18.000 US-Dollar signifikant geringer.

Die Verfasser fassen ihre Ergebnisse insgesamt so zusammen: "These findings provide strong support for prevention efforts earlier in life aimed at preserving cardiovascular health and reducing the burden of disease in older ages."

Von der Studie Favorable Cardiovascular Health, Compression of Morbidity, and Healthcare Costs. Clinical Perspective von Norrina B. Allen et al., erschienen in der Fachzeitschrift "Circulation" (2017; 135 (18): 1693) ist nur das Abstract kostenlos erhältlich.

Bernard Braun, 3.5.17


Alt, älter, dement???? Neues zur altersspezifischen Inzidenz von Demenz

Artikel 2495 Wie hoch das Risiko dement zu werden fürälterwerdende Personen ist und wie stark bei einem noch bis rund 2040 anwachsenden Anteil der Älteren an der Gesamtbevölkerung die damit verbundende soziale und finanzielle Krankheitslast zunimmt oder explodiert, gehört seit Jahren zu den Spitzenthemen der gesundheitswissenschaftlichen und -politischen Debatten und Auseinandersetzungen.

Die Vertreter und Anhänger eher düsterer Prognosen oder Szenarien stützen sich zum einen auf die Annahme einer zumindest konstanten Häufigkeit der Neuerkrankungen (Inzidenz) an Demenz oder Alzheimer. Zum anderen folgt daraus und aus der vorübergehend wachsenden Anzahl von älteren Menschen ein mehr oder weniger dramatisch ausgemaltes und scheinbar unvermeidbares Anwachsen des Bestandes dementer Menschen (Prävalenz).

Auch wenn insbesondere die in Deutschland aktiven und wirksamen Gestalter solcher Szenarien diese für so plausibel halten, dass sie am liebsten auf jegliche empirische Überprüfung verzichten würden, werden diese und andere Annahmen in einigen europäischen und nordamerikanischen, d.h. vergleichbaren Ländern seit einiger Zeit empirisch durchleuchtet.

Ein Überblick zu den Ergebnissen einiger dieser Studien, z.B. die der Rotterdam-Studie, wurde bereits 2013 im "forum-gesundheitspolitik" gegeben: Viel Krach um die "stille Epidemie" der Demenz versus wissenschaftlicher Evidenz zu ihrer sinkenden Inzidenz und Prävalenz. Ihre Tendenzen lassen sich der Überschrift dieses Überblicks entnehmen, blieben aber entweder unbeachtet, verpassten die statistische Signifikanz und konnten als möglicherweise zufällig ignoriert werden.

Daran ändern die Ergebnisse einer Auswertung von seit 1975 für drei Jahrzehnte erhobenen Daten zum mit dem Standardtest "Mini-Mental State Examination (MMSE)" gemessenen Demenzstatus von 5.205 TeilnehmerInnen an der in den USA durchgeführten "Framingham Heart Study" im Alter von 60 und mehr Jahren sank sie einiges:

• Die für mehrere rund 10 Jahre umfassende Zeiträume ermittelte alters- und geschlechtsadjustierte kumulative Rate des Risikos an Demenz zu erkranken, belief sich zwischen 1970 und 1980 auf 3,6 Fälle pro 100 Personen. Sie fiel zwischen 1981 und 1990 auf 2,8 Fälle pro 100 Personen, weiter auf 2,2 Fälle bis zum Jahr 2000 und schließlich auf 2 Fälle im Zeitraum von 2000 bis 2010.
• Bezogen auf die Inzidenzrate im ersten Jahrzehnt sank die Rate neu aufgetretenener Demenzfälle um 22%, 38% und 44% in den drei Jahrzehnten danach.
• Diese enorme Risikoreduktion konnte allerdings nur für die Personen nachgewiesen werden, die wenigstens über einen High-School-Abschluss, also in etwa über die allgemeine Hochschulreife verfügen.
• Da im Mittelpunkt der Framingham-Studie das Interesse an Herz-Kreislauferkrankungen stand, berichten die AutorInnen der Demenz-Inzidenzstudie zusätzlich, dass die Prävalenz der meisten vaskulären Risikofaktoren (außer Diabetes und Fettsucht) sowie die Prävalenz des Schlaganfalls oder der Herzschwäche im Untersuchungszeitraum abgenommen hat. Die AutorInnen sehen zwar eine Assoziation zwischen abnehmenden vaskulären Erkrankungsrisiken und Demenz, stellen aber fest, dass die Entwicklung der Demenz-Inzidenz nicht vollständig erklärt werden kann.
• Der Schulabschluss oder Bildungsstand schützt zwar für die ForscherInnen nicht für sich genommen vor Demenz, wirkt sich aber häufig auf die soziale Lage und das Gesundheitsverhalten (z.B. Rauchen, Bewegung, Ernährung) und damit auf Faktoren aus, die mit Demenz und anderen Krankheiten assoziiert sind.

Die AutorInnen sprechen angesichts der stabilen Abnahme der altersspezifischen Demenzinzidenz zumindest für Westeuropa von einer "possible stabilization of dementia occurrence", nicht aber in Ländern, deren EinwohnerInnen noch eine kräftige Verlängerung der Lebenserwartung vor sich haben oder für ökonomisch und sozial schlechtgestellte Personen in allen Ländern.

Zusammen mit dem Hinweis, dass trotz aller Prognosewut noch viel zu wenig über zeitliche Trends von Demenz und anderen Erkrankungen sowie die Faktoren bekannt ist, die z.B. sinkende Inzidenzraten beeinflussen, kommen die AutorInnen zu folgendem differenzierten Schluss: "In conclusion, although projections suggest an exploding burden of dementia over the next four decades owing to an increasing number of older persons at risk, primary and secondary prevention might be key to diminishing the magnitude of this expected increase. Our study offers cautious hope that some cases of dementia might be preventable or at least delayed."

Von dem Aufsatz Incidence of Dementia over Three Decades in the Framingham Heart Study von Claudia L. Satizabal, Alexa S. Beiser, Vincent Chouraki, Genevičve Chęne, Carole Dufouil und Sudha Seshadri, am 11. Februar 2016 in der Fachzeitschrift "New England Journal for Medicine" (374: 523-532) eröffentlicht, gibt es kostenlos nur das Abstract.

Bernard Braun, 26.2.16


Zugehörigkeit zu örtlichen sozialen Gruppen oder Was außer regelmäßiger Bewegung lässt Rentner länger und besser leben?

Artikel 2494 Spätestens dann, wenn nicht ein biologistischer Determinismus oder Fatalismus die Vorstellung vom Rentner- und Älterwerden bestimmt oder das Heil allein in Anti-Aging-Pillen und -Cremes gesucht wird, stellt sich die Frage, was wirklich Gesundheit, Wohlbefinden und Lebenserwartung der Angehörigen dieser Altersgruppe fördert bzw. vor den gesundheitlichen Folgen des Verlustes von arbeitsbezogenen Gruppenbindungen und der mit Beschäftigung assoziierten Identität bewahrt.

In einer Langzeit-Kohortenstudie in der 424 TeilnehmerInnen von kurz vor ihrem Rentenbeginn bis 6 Jahre nach diesem Zeitpunkt teilnahmen haben dies nun australische Wissenschaftler etwas genauer untersucht.

Ihre Ergebnisse lauten:

• RentnerInnen, die vor dem Beginn ihrer Rentenzeit aktives Mitglied in zwei örtlichen sozialen Gruppen (z.B. Buchklub oder kirchliche Gruppe) waren und dies auch die ersten 6 Jahre ihrer Rentenzeit blieben, hatten in diesen 6 Jahren ein Sterblichkeitsrisiko von 2%. Schieden sie aus einer der Gruppen aus, stieg dieses Risiko auf 5%, und wenn sie beide Mitgliedschaften aufgaben auf 12%.
• Außerdem verringerte sich die mit einem Standardinstrument gemessene erfahrene Lebensqualität bei jeder verlorenen Mitgliedschaft um 10%.
• Die Ergebnisse waren auch nach der Berücksichtigung von Alter, Geschlecht oder sozialem Status robust.
• Der Effekt der Mitgliedschaft in sozialen Gruppen war schließlich mit dem von körperlichen Aktivitäten/Bewegung vergleichbar. Dies zeigte sich besonders deutlich bei der Untersuchung des Sterblichkeitsrisikos in einer soziodemografisch vergleichbaren so genannten "match control"-Gruppe von ebenfalls 424 Personen, die weiterarbeiteten aber ebenfalls 6 Jahre genau betrachtet wurden. Diejenigen von ihnen, die sich 6 Jahre wöchentlich kräftige körperlich betätigten, hatten in diesem Zeitraum ein Risiko von 3%, bei denen, die dies nicht mehr wöchentlich machten, stieg das Risiko auf 5% und auf 8%, wenn sie damit komplett aufhörten. Der Effekt von Bewegung etc. auf das Sterblichkeitsrisiko bei den berenteten Personen war ähnlich: 3%, 6% und 11%.

Auch wenn diese Studie als Beobachtungsstudie keine kausalen Belege liefern kann, gehört die Kombination des Erhalts alter und die Motivation zu neuen sozialer Beziehungen mit geeigneten körperlichen Aktivitäten sicherlich zu den praktikablen und wirksamen präventiven Mitteln für FrischrentnerInnen. In einem dänischen Modellversuch erwies sich das stundenlange, gemeinsame und enorm "bewegte" Billiardspielen in Altenzentren Kopenhagens als ein akzeptiertes, äußerst wirksames und regelmäßig genutztes Angebot dieser Art.

Der Aufsatz Social group memberships in retirement are associated with reduced risk of premature death: evidence from a longitudinal cohort study von Niklas K Steffens, Tegan Cruwys, Catherine Haslam, Jolanda Jetten und S Alexander Haslam ist im Februar 2016 in der Zeitschrift "BMJ Open" erschienen und daher auch komplett kostenlos erhältlich.

Bernard Braun, 24.2.16


Bewegung und die Gesundheit älterer Personen: Es ist (fast) nie zu spät und (fast) nie zu wenig

Artikel 2488 Zu den gesundheitsbezogenen Vorurteilen gehört z.B., dass gesundheitsförderliche Aktivitäten älteren Menschen "nichts mehr bringen" oder dass sie nicht mehr die Leistung in Kilometern, Kilogramm oder Watt schaffen, die sich gesundheitlich positiv auswirken könnten. Wie eine Reihe von bereits früher im Forum-Gesundheitspolitik vorgestellte Studien bei mittelaltrigen und bis zu 70 Jahre alten Personen (siehe dazu Forumsbeitrag: Sport und körperliche Bewegung: Studien belegen erneut die gesundheitsförderliche Wirkung bei Älteren) feststellten, stimmt dies häufig nicht.

Eine am 19. November 2015 erschienene über 10 Jahre laufende prospektive Studie mit 4.207 Frauen und Männer, die am Ende der Untersuchungszeit weit über 75 oder 80 Jahre alt waren und einen guten selbst wahrgenommenen Gesundheitszustand hatten, belegt nun, dass selbst leichte bis moderate körperliche Bewegung nach der Adjustierung für eine Reihe von Risikofaktoren und Lebensstilfaktoren das Risiko für künftige Herzerkrankungen und Schlaganfälle bei dieser Altersgruppe signifikant reduzierte.

Die folgenden Ergebnisse sind in diesem Kontext die wichtigsten:

• Erwachsene, die sich mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 4,7 Kilometer pro Stunde bewegen, also nicht joggten, sondern einen "strammen" Spaziergang machen, hatten im Vergleich mit Personen, die sich deutlich langsamer nämlich mit weniger als 3,2 Kilometer pro Stunde bewegten, ein um 50%, 53% und 50% verringertes Risiko für eine koronare Herzerkrankung, Schlaganfall und alle kardiovaskulären Erkrankungen.
•- Wer von den Studienangehörigen sich im Durchschnitt täglich um sieben oder mehr Straßenblocks bewegte, reduzierte sein Risiko für eine koronare Herzerkrankung, einen Schlaganfall oder sämtliche kardiovaskuläre Erkrankungen um 36%, 54% und 47% - im Vergleich zu denjenigen Personen, die sich höchstens um 5 Blocks pro Woche bewegten. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass Blocks in den USA zwischen 79 und 170 Meter pro Straßenseite lang sein können, wird deutlich, dass es sich auch hier nicht um Marathonentfernungen, sondern um Distanzen handelt, die ebenfalls innerhalb einer Stunde im "strammen" Spazierschritt zu schaffen sind.
•- Wer sich statt Spaziergehen lieber mittels Freizeitaktivitäten im Garten, Rasenmähen oder Radfahren bewegt, hat gegenüber denjenigen, die auch dies nicht machen oder es sich nicht zutrauen ein signifikant niedrigeres Risiko im Bereich kardiovaskulärer Morbidität.

Der Aufsatz Physical Activity and Risk of Coronary Heart Disease and Stroke in Older Adults: The Cardiovascular Health Study von Luisa Soares-Miranda, David S. Siscovick, Bruce M. Psaty, W.T. Longstreth und Dariush Mozaffarian ist am 4. November 2015 online in der Zeitschrift "Circulation" erschienen. Ein Abstract ist kostenlos erhältlich.

Bernard Braun, 27.11.15


Gehirnjogging-Produkte "nein danke" oder geistig fit durch "gutes Leben"

Artikel 2425 Egal ob papiergebunden oder computerbasiert: Trainingsprogramme für den Erhalt und die Stärkung der geistigen Leistungsfähigkeit sowie gegen Alzheimer und Demenz "bis ins hohe Alter" gehören zu den "cash cows" der Gesundheitswirtschaft. Wie bei vielen Produkten und Dienstleistungen auf dem besonders im Zeichen der alternden Babyboomer anwachsenden zweiten Gesundheitsmarkts wird der Eindruck erweckt bei den für die Gesundheit und die Lebensqualität positiven Wirkungen handle es sich um wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse.
Doch daran, dass diese Programme das leisten was drauf steht, gibt es mittlerweile erhebliche Zweifel.
Aktuell am deutlichsten äußert dies eine am 21. Oktober 2014 veröffentlichte gemeinsame Erklärung von internationalen Kognitions- und Neurowissenschaftlern, die sich mit den Gehirnjogging-Produkten auf Einladung des Stanford Center on Longevity an der Stanford University und des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin ausführlich beschäftigten.

Die Kernaussagen dieser Erklärung lauten folgendermaßen:

• Es ist nicht belegt, dass Gehirnjogging die allgemeine geistige Leistungsfähigkeit steigert.
• Werbung für Gehirnjogging-Spiele, die behauptet, Alzheimer- oder andere Demenzformen verhindern oder heilen zu können, ist wissenschaftlich unbegründet.
• Körperliches Training (aerobes Fitnesstraining) steigert die körperliche Gesundheit und wirkt nachweisbar positiv auf die Durchblutung des Gehirns und auf kognitive Leistungen.
• Weder in Einzelstudien noch summiert über viele Studien (d.h. in sogenannten Metaanalysen) gibt es klare Hinweise auf länger andauernde Leistungsverbesserungen in allgemeinen kognitiven Fähigkeiten mit Alltagsrelevanz.

Zum Schluss Ihrer Stellungnahme empfehlen die Wissenschaftler anstatt Gesundheit vorrangig zum Nutzen der Hersteller durch Gehirnjogging- und andere Produkte einkaufen und konsumieren zu wollen, "ein körperlich aktives, geistig herausforderndes und sozial anregendes Leben zu führen, und zwar in der Art, die zu einem passt." Und wie dies konkret aussehen könnte, fasst der anschließende Ratschlag so zusammen: "Bevor man Zeit und Geld in ein Gehirnjoggingprodukt steckt, sollte man an das denken, was in der Ökonomie als Opportunitätskosten bezeichnet wird: Wenn man eine Stunde damit verbringt, alleine am Computer Aufgaben zu trainieren, anstatt in der Zeit spazieren zu gehen, Italienisch zu lernen, ein neues Rezept auszuprobieren oder mit seinen Enkeln zu spielen, so könnte dies eine ungünstige Wahl sein. Aber wenn diese Stunde am Computer eine Stunde auf der Couch vor dem Fernseher ersetzt, so könnte es sich um eine gute Wahl handeln."

Die neunseitige Langfassung der Erklärung Gehirnjogging am Computer hält nicht, was es verspricht.Gemeinsame Erklärung von internationalen Kognitions- und Neurowissenschaftlern ist kostenlos erhältlich und enthält auch noch einige Verweise auf weiterführende wissenschaftliche Studien.

Bernard Braun, 9.11.14


Warum ein "guter" niedriger Blutdruck nicht immer anstrebenswert ist. Am Beispiel der geistigen Fitness von hochaltrigen Personen.

Artikel 2423 Dies soll kein Plädoyer dafür sein, sich nicht um einen "zu hohen" Blutdruck zu kümmern. Ähnlich wie bereits beim Übergewicht oder Blutzucker, soll lediglich dem Eindruck entgegengewirkt werden, das Überschreiten bestimmter absoluter Werte bedeuteten zwangsläufig den eindeutigen Übergang von gesund zu krank und müsse immer und bei jedem Menschen mit allen geeigneten Mitteln verhindert bzw. rückgängig gemacht werden.

Entgegen dieser Ansicht zeigen immer mehr Studien, dass dies nicht immer und zwangsläufig der Fall ist, und bestimmte als "krank" definierte Körperwerte sogar "gesunde" Effekte haben können. Beim eingangs erwähnten Übergewicht, war dies die mehrfach bestätigte Erkenntnis, dass ein so genannter Body-mass-Index-(BMI)-Wert zwischen 25 und 30 durchaus auch protektive bzw. "gesunderhaltende" Wirkungen bei der kardiologischen Morbidität haben kann.
"Zu hoher" Blutdruck (ein Wert, dessen absolutes Niveau sich dazu auch noch in regelmäßigen Abständen verändert), galt und gilt wegen der mit ihm assoziierten Arterienverkalkung als Risikofaktor für Herzinfarkt, Nierenversagen und Schlaganfall.

Eine Studie in den Niederlanden, die so genannte "Leiden 85-plus Study", kommt nun zu dem Ergebnis, dass ein hoher Blutdruck nicht immer und offensichtlich auch nicht für alle Seiten der gesundheitlichen Lebensqualität eines Menschen schlecht ist. Und dies gilt besonders für hochaltrige Menschen und deren geistige Fitness.
TeilnehmerInnen dieser Studie waren 560 Personen im Alter von 85 Jahren, bei denen fünf Jahre lang der Blutdruck, die geistige Fitness (mittels des Mini-Mental-Status-Tests) und die Leistungsfähigkeit ihres Herzens (über einen Eiweißmarker) gemessen wurden. Die Personen wurden in drei Gruppen mit einem niedrigen (unter 147 mmHg), normalen (147 bis 162 mmHG) und hohen (über 162 mmHg) systolischen Blutdruck aufgeteilt.

Die Ergebnisse lauteten im Detail so:

• Die TeilnehmerInnen mit dem niedrigsten Blutdruck schnitten bereits zu Beginn der Studie am schlechtesten bei der geistigen Fitness ab.
• Daran änderte sich im Studienzeitraum nichts, d.h. "Probanden mit einem niedrigeren Blutdruck bauten geistig schneller ab, als die mit einem höheren Blutdruck".
• Direkt unabhängig davon, wirkte sich auch eine Herzinsuffizienz negativ auf die kognitiven Leistungen aus.
• Personen mit einer schwachen Herzleistung und niedrigem Blutdruck hatten die schlechteste kognitive Leistung. Dies deutet darauf hin ("possibly"), dass das zentrale Problem die Herzinsuffizienz mit der Folge eines niedrigen Blutdrucks und einer schlechten Sauerstoffversorgung u.a. des Gehirns ist.

Auch wenn die AutorInnen sich nicht ausführlich mit den praktischen Konsequenzen befassen, folgt aus ihren Ergebnissen, dass niedrige Blutdruckwerte je nach Personenkreis und dessen Gesamt-Gesundheitszustand unterschiedlich beurteilt werden müssen und u.U. auch für die spezifische Lebensqualität bestimmter Personen gesund sein können.

Das Abstract der Studie NT-proBNP, blood pressure, and cognitive decline in the oldest old. The Leiden 85-plus Study. von P. van Vliet et al., am 20. August 2014 online in der Zeitschrift "Neurology" erschienen, ist kostenlos erhältlich.

Bernard Braun, 5.11.14


2002-14: Persistenz der Unterrepräsentation von Frauen, Älteren und ethnischen Minderheiten in kardiologischen RCTs und Leitlinien

Artikel 2406 Die Ergebnisse randomisierter kontrollierter Studien gelten seit Jahren, und dies immer mehr als eine der wichtigsten Grundlagen von evidenzbasierter gesundheitlicher Behandlung mit Hilfe von wissenschaftlichen Behandlungs-Leitlinien. Umso wichtiger ist damit aber die methodische Validität und Reliabilität dieser Studien. Dazu gehört, dass die TeilnehmerInnen solcher Studien möglichst exakt der aller mit dem untersuchten Medikament oder der Methode behandelten PatientInnen entspricht. Platt ausgedrückt: Erkenntnisse zur Wirksamkeit einer bestimmten Medikamentendosis, die mit jungen oder mit mittelaltrigen Personen gewonnen worden sind, müssen diese Wirkung nicht ohne weiteres bei älteren oder jugendlichen PatientInnen erzielen.

Deshalb gibt es seit Jahren oder gar Jahrzehnten warnende Hinweise auf derartige Diskrepanzen zwischen Studien- und NormalpatientInnen-Populationen.

So fasste zum Beispiel eine im Jahr 2002 veröffentlichte Studie über die Zusammensetzung der TeilnehmerInnen in Studien über die Behandlung von Herzinsuffizienz (frei erhältlich: Representation of the Elderly, Women, and Minorities in Heart Failure Clinical Trials FREE von Asefeh Heiat et al. in der Zeitschrift "Archives of Internal Medicine" (162(15)) ihre Erkenntnisse zu den möglichen unerwünschten praktischen Konsequenzen so zusammen: "Clinical trials are focusing on a relatively small segment of the HF (heart failure) population. The consequences of underrepresenting minorities, women, and elderly are unknown but may be particularly important for HF. Future clinical trials should adequately include populations that carry the burden of the disease."

Ein mit zahlreichen Links zu weiteren spezifischen Studien versehener Kommentar fasst den Sachstand im Jahr 2011 so zusammen: "A case in point is HF, which is overwhelmingly a disease of old age. More than 85% of patients hospitalized with HF are 65 years and older; nearly three-quarters of those individuals are 75 years and older. However, clinical trials assessing treatment modalities in patients with HF published before the year 2000 frequently excluded older patients. … In this issue of the Archives ( siehe den komplett kostenlos zugänglichen Aufsatz von Cherubini et al. The Persistent Exclusion of Older Patients From Ongoing Clinical Trials Regarding Heart Failure in "Archives of Internal Medicine" (2011;171(6): 550-556)) and colleagues provide convincing evidence that the underrepresentation of elderly men and women in clinical trials of cardiovascular disease remains a continuing concern. On the basis of data extracted from the World Health Organization Clinical Trials Registry, more than one-quarter of 251 ongoing clinical trials of HF were found to exclude study participants based on explicit age-based criteria." (siehe dazu das Abstract zu Age-Based Exclusions From Cardiovascular Clinical Trials: Implications for Elderly Individuals (and for All of Us). Comment on 'The Persistent Exclusion of Older Patients From Ongoing Clinical Trials Regarding Heart Failure' von Jerry H. Gurwitz et al. in "Archives of Internal Medicine" (2011;171(6): 557-558)).

Weitere drei Jahre später kommt ein am 29. September 2014 in der Fachzeitschrift "JAMA Internal Medicine" veröffentlichter Forschungsbrief zur Repräsentanz von Frauen, Älteren und ethnischen Minderheiten in den RCTs, die in den Leitlinien zweier us-amerikanischen kardiologischen Fachgesellschaften für drei häufige kardiologische Erkrankungen (darunter erneut die Herzinsuffizienz) von zentraler Bedeutung sind, zu folgendem Ergebnis:

• Trotz kleiner Verbesserungen belief sich der Frauenanteil in allen spezifischen RCTs im Moment auf 30%. In den 1980er betrug er 24%, stieg in den 1990er auf 28% und lag zwischen 2000 und 2009 bei 31%. In Studien über das Vorhofflimmern sinkt aber der Frauenanteil seit Jahren.
• Zur ethnischen Zusammensetzung machen zunächst nur 23,4% aller RCTs überhaupt Angaben - allerdings mit positiver Tendenz. In den Studien mit solchen Angaben waren je nach Erkrankung zwischen 73% und 86% der TeilnehmerInnen Weiße, was zumindest für die USA ein enormer Unterschied zur Wirklichkeit ist. Hinzu kommt, dass 94% aller RCTs zu diesen Erkrankungen nur PatientInnen aus Nordamerika oder Europa umfassten. Und selbst wenn es afrikanische TeilnehmerInnen gab (in 4% aller Studien) kamen diese dann ausschließlich aus Südafrika.
• In nur 2% der Studien waren die TeilnehmerInnen im Durchschnitt 75 Jahre alt oder älter, d.h. in einem Alter in dem der Anteil von Personen, die an einer der drei Erkrankungen leiden und behandelt werden müssen, relativ hoch ist.

Die Schlussfolgerung ähnelt stark der weiter oben zitierten aus dem Jahr 2002, der Appell an zukünftige Forschung klingt allerdings schon etwas ohnmächtig: "These findings raise concerns about clinical trial enrollment and the applicability of the guidelines in these underrepresented populations. Investigators should enroll and report more women, elderly patients, and minorities in future trials to improve the evidence base for patient care as well as the professional society guidelines."

Der "Research Letter" Underrepresentation of Women, Elderly Patients, and Racial Minorities in the Randomized Trials Used for Cardiovascular Guidelines von Muhammad Rizwan Sardar et al. ist in der Zeitschrift "JAMA Internal Medicine" online first am 29. September erschienen.

Bernard Braun, 3.10.14


"Bloß keine richtig Alten oder Sprechbehinderten": Altersdiskriminierung und Selektion Schwerstkranker in Stroke-Reha-Studien

Artikel 2344 Ein Teil der Schreckensszenarien über die gesundheitliche Last der demografischen Entwicklung kreist daher um die oftmals dauerhaften körperlichen und mentalen Einschränkungen bei den meist älteren PatientInnen. Im Mittelpunkt von Versorgungsforschungsstudien zur akuten und rehabilitativen Behandlung dieser Patienten müssten daher gerade auch ältere Personen stehen - eigentlich!!

Ein am 18. März 2014 veröffentlichter Review von 182 randomisierten kontrollierten Studien über die Rehabilitation von Schlaganfallpatienten zeigt aber, dass dies nicht der Fall ist.

Die Ergebnisse im Einzelnen:

• Während das Durchschnittsalter der in akut-ärztlicher Behandlung befindlicher Schlaganfallpatienten bei 75 Jahren liegt, sind die Teilnehmer der untersuchten RCTs durchschnittlich 64,3 Jahre alt. In einigen Ländern beträgt diese Alterslücke sogar 11-12 Jahre.
• In 46% der RCTs wurden Patienten mit kognitiven Einschränkungen ausgeschlossen.
• Das Gleiche gilt in 23% der Studien für Schlaganfallpatienten mit Sprachausdrucks- oder Sprachkoordinationsstörung - also einer nicht kleinen und irrelevanten, ja sogar typischen Betroffenengruppe.
• In 13% der RCTs wurden schließlich auch noch Patienten ausgeschlossen, die bereits mehrere Schlaganfälle hatten.

Dies bedeutet alles in allem, dass die am schwersten Erkrankten und Rehabilitationsbedürftigen nicht in Studien vertreten waren, die eigentlich repräsentativ für alle Schlaganfallpatienten die Wirkung unterschiedlicher rehabilitativer Interventionen untersuchen und ecidenzbasierte Behandlungshinweise liefern sollten. Zu den wesentlichen Gründen zählen die AutorInnen des Reviews den notwendig höheren und phantasievolleren Aufwand, der betrieben werden muss, wenn diese Patientengruppe in RCTs aufgenommen werden. Wenn aber noch nicht einmal unter den besonderen Bedingungen von Studien alle Typen oder nur eine hochselektierte Gruppe von Patienten vertreten sind, wäre es nicht verwunderlich, wenn unter den Alltagsbedingungen der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten mit denselben Argumenten ältere und aufwändigere Patienten auch diskriminiert würden.

Dazu äußern sich die irischen AutorInnen des Reviews zwar nicht, fassen aber die weitreichenden Auswirkungen ihrer Untersuchungsergebnisse folgendermaßen zusammen: "However, it is important that this more vulnerable cohort of patients is represented adequately in trials, not only because they reflect an appreciable proportion of patients suffering from stroke internationally but also to ensure that the development of evidence-based rehabilitation methods is both appropriate and applicable to this age group."

Der dreiseitige Report Ageism in stroke rehabilitation studies von Eva Joan Gaynor, Sheena Elizabeth Geoghegan und Desmond O'Neill ist in der Fachzeitschrift "Age and Ageing" erschienen und online vorab am 18. März veröffentlicht worden. Der Bericht ist komplett kostenlos erhältlich.

Bernard Braun, 29.3.14


Arzt/Pflegekräfte-Teams sind für die meisten geriatrischen Patienten besser als Ärzte allein: Wann werden wir es jemals lernen?

Artikel 2318 Die seit einiger Zeit durch den Gesetzgeber und den Gemeinsamen Bundesausschuss auch in Deutschland geschaffenen normativen Grundlagen für eine teamorientierte, Delegation und Substitution umfassende Zusammenarbeit auf gleicher Augenhöhe zwischen Ärzten und Pflegekräften kommt nur langsam gegen die traditionellen standespolitischen Widerstände und Vorurteile voran. In anderen Ländern gibt es dafür immer mehr Belege für den gesundheitlichen Nutzen einer solchen systematischen multiprofessionellen Teamorientierung und damit auch den Nutzen für das Selbstbewusstsein oder die Selbstwirksamkeitsüberzeugung der Ärzte und Pflegekräfte.

Jüngstes Beispiel ist eine vergleichende Untersuchung aus den USA, ob und wie 658 bzw. 485 (von insgesamt 1.084 TeilnehmerInnen) an mehreren chronischen Krankheiten leidende Personen im Alter von 75 Jahren und älter durch ambulante Allgemeinärzte allein oder durch ein Team aus solchen Ärzten und aus so genannten "primary care physician-nurse practitioner", also speziell ausgebildeten Pflegekräften, die für sie in Leitlinien empfohlene Behandlung erhielten. Nach der zufälligen Verteilung der geriatrischen Patienten auf die beiden Gruppen waren 49% in der Komanagement-Gruppe. Die Qualität wurde mittels sieben standardisierter Qualitätsindikatoren gemessen.

Zu den wichtigsten Ergebnissen zählen:

• Insgesamt erhielten 57% die empfohlene Behandlung,
• Von den Patienten, die an Sturzfolgen litten, erhielten in der Komanagement-Gruppe (KG) 80% die empfohlene Behandlung, in der Arzt-Gruppe (AG) 34%,
• Von den Patienten mit einer Urin-Inkontinenz erhielten in der KM 66% und in der AG 19% die für sie beste Behandlung,
• Bei Patienten mit Demenz erhielten 59% in der KG und 38% in der AG die empfohlene Behandlung und
• Patienten mit einer Depression erhielten in der KG zu 63% und in der AG zu 60% die empfohlene Behandlung.

Diese Behandlungsvorteile für die geriatrischen Patienten in der KG blieben auch nach einer Adjustierung nach Alter, Geschlecht, Anzahl der Krankheiten etc. signifikant erhalten.

Der Aufsatz Effect of nurse practitioner comanagement on the care of geriatric conditions von Reuben DB et al. ist im Juni 2013 in der Fachzeitschrift "Journal of the American Geriatrics Society" (61(6): 857-67) erschienen. Das Abstract ist kostenlos erhältlich.

Dass aber auch in den USA trotz solcher Ergebnisse keineswegs die große Umorientierung in Richtung gemischtprofessionelle Teams und Komanagement stattfindet, zeigt ein Kommentar zu dem Aufsatz mit dem an einen Song von Pete Seeger anknüpfenden Titel When Will We Ever Learn the Benefits of Teams? von Barbara Resnick in derselben Ausgabe der Fachzeitschrift (1019-1021). Zu ihm gibt es leider weder ein kostenloses Abstract noch einen freien Zugang.

Bernard Braun, 15.12.13


Viel Krach um die "stille Epidemie" der Demenz versus wissenschaftlicher Evidenz zu ihrer sinkenden Inzidenz und Prävalenz

Artikel 2315 Ein aktueller Bericht der "Alzheimer Disease International (AID)" progostiziert für das Jahr 2050 eine Verdreifachung der weltweiten Alzheimerfälle auf 135 Millionen. Die "Deutsche Alzheimer Gesellschaft - Selbsthilfe Demenz" verkündete ein vergleichbares Epidemie-Szenario bereits Ende 2012. Laut einem Informationsblatt zur Epidemiologie der Demenz, wird die Zahl der Erkrankten allein in Deutschland von aktuell 1,4 Millionen auf etwa 3 Millionen im Jahr 2050 steigen: plus 40.000 im Jahr und mehr als 100 am Tag!

Dass es sich bei derartig spektakulären Prognosen eher um interessengeleitete Spekulationen handeln könnte, zeigt ein Blick auf eine ebenfalls aktuelle Übersicht zum Stand der Forschung zur Entwicklung von Inzidenz und Prävalenz der Demenz in den letzten Jahrzehnten im seriösen "New England Journal of Medicine (NEJM)" - also von tatsächlichen Fällen in methodisch hochwertigen empirischen Studien in mehreren mit Deutschland vergleichbaren Ländern.

Vorgestellt werden die Ergebnisse von fünf großen Studien aus den Niederlanden, England, Schweden und zweimal aus den USA, die jeweils die Inzidenz und Prävalenz von Demenz oder schweren kognitiven Leistungseinschränkungen bei über 51-, 55-, 65 und 75-jährigen Personen zu zwei Zeitpunkten bzw. in Zeiträumen untersuchten.

Die zentralen Ergebnisse der Kohortenvergleiche se´hen folgendermaßen aus:

• Ein Vergleich der Prävalenz schwerer kognitiver Leistungseinschränkungen der Jahre 1982 und 1999 in den USA zeigte eine Abnahme der Prävalenz bei über 65-Jährigen von 5,7% auf 2,9%.
• Ein ähnlicher Vergleich der Prävalenz bei über 70-Jährigen in den USA in den Jahren 1993 und 2002 zeigte ebenfalls eine Abnahme von 12,2% auf 8,7%.
• In der so genannten Rotterdamstudie sank die Inzidenz von Demenz bei 55+-Personen in der 1990er- und in der 2000er-Gruppe von 6,56 Fällen pro 1.000 Personen und Jahr auf 4,92 pro 1.000 Personen und Jahr.
• In Schweden zeigten zwei Querschnittsanalysen bei 75+-Personen in den Jahren 1987-1989 und 2001-2004 ebenfalls eine sinkende Inzidenz aber auch eine alters- und geschlechtsstandardisiert sehr leicht steigende Prävalenz der Demenz: Von 17,5% in den Jahren 1987-89 auf 17,9% in den Jahren 2001-04.
• Und der jüngste Vergleich zweier Jahrgangs-Kohorten in drei Regionen Englands in der so genannten "Cognitive Function and Ageing Study (CAFS I und II)" fand bei über 65-Jährigen sogar eine Abnahme der Demenz-Prävalenz von 8,3% in den Jahren 1989-94 auf 6,5% in den Jahren 2008-11.

Einige der Autoren, die sich auf die Analyse der Neuerkrankungen konzentrierten, räumen ein, eine Zunahme der absoluten Anzahl älterer BürgerInnen könne selbst bei sinkender Inzidenz insgesamt oder für längere Phasen durchaus zu einer Zunahme der Prävalenz führen. Dies müsse aber nicht zwangsläufig so sein. Anders als die Alzheimer-Propheten oder -Lobbyisten in der Pharmaindustrie und in Teilen der Patientenorganisationen weisen sie aber auch auf Faktoren hin, die ihre bei weitem nicht so apokalyptischen und naturgewaltigen Funde erklären helfen und präventive Bedeutung haben.
"But for now, the evidence supports the theory that better education and greater economic well-being enhance life expectancy and reduce the risk of late-life dementias in people who survive to old age. The results also suggest that controlling vascular and other risk factors during midlife and early old age has unexpected benefits."

Und zu dem möglichen Effekt, der entsteht, wenn man diese Faktoren präventiv beeinflussen würde, stellen die AutorInnen fest: "That is, individual risk-factor control may provide substantial public health benefits if it leads to lower rates of late-life dementias. Just as control of vascular risk factors has had measurable effects on public health through reduced rates of stroke and myocardial infarction, the recent English study concluded that estimates of national dementia prevalence based on CFAS I needed to be revised downward by 24% on the basis of the age- and sex-specific prevalence rates in 2011 found in CFAS II."

Die Ergebnisse der AID-"Studie" G8 Policy Briefing reveals 135 million people will live with dementia by 2050 sind kostenlos erhältlich.

Das Wichtigste zur Epidemiologie der Demenz findet sich auf 5 Seiten, welche die Deutsche Alzheimer Gesellschaft kostenlos zur Verfügung stellt.

Die Übersichtsarbeit New Insights into the Dementia Epidemic von Eric B. Larson, Kristine Yaffe, und Kenneth M. Langa ist am 27. November 2013 im NEJM erschienen und komplett kostenlos erhältlich. Diejenigen Interessierten, die sich seriös intensiver und weiter über die Entwicklung des Demenzrisikos informieren wollen und am unbedingt notwendigen und keineswegs abgeschlossenen Diskurs über dessen Bedeutung für die heutige und künftige Gesundheitspolitik teilnehmen wollen, finden hier auch bibliografische Angaben zu den Originalaufsätzen über die zitierten Studien.

Bernard Braun, 5.12.13


Anzahl älterer Arbeitnehmer mit Wechselschicht nimmt zu - schlechter Gesundheitszustand ebenfalls

Artikel 2306 Sowohl wegen des tendenziellen Rückgangs der Anzahl jüngerer Arbeitskräfte und damit auch der Facharbeitskräfte als auch wegen der sozialen, finanziellen und gesundheitlichen Nachteile von Berufs- und Erwerbsunfähigkeit vor dem Erreichen des normalen Altersrentenalters, nehmen die Appelle, auch über 50-Jährigen noch zu beschäftigen, seit Jahren zu. Diese Appelle zeigen in einigen Untergruppen der älteren Arbeitnehmer (z.B. der 60-bis 65-Jährigen) auch langsam Wirkung. Bei einigen der wichtigen Voraussetzungen für "gute Arbeit" in diesem Lebensalter, beispielsweise der altersspezifischen Gesundheitsförderung und Weiterbildung bewegt sich allerdings relativ wenig.

Und auch bei einem der wesentlichen Merkmale von Arbeit, der Arbeitszeitform, gibt es Entwicklungen, welche speziell ältere Arbeitnehmer eher belasten als entlasten. Ob dies für die Schichtarbeitsform der Wechselschicht gilt, haben jetzt WissenschaftlerInnen des "Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)" der Bundesagentur für Arbeit mit Daten von 6.585 im Rahmen des Projekts "lidA - leben in der Arbeit. Kohortenstudie zu Gesundheit und Aelterwerden in der Arbeit" befragten Personen der Geburtsjahrgänge 1959 und 1965 untersucht.

Die wesentlichen Ergebnisse lauten:

• "Die Zahl der über 50-Jährigen in Schichtarbeit hat sich im vergangenen Jahrzehnt mehr als verdoppelt (1998: 594.000 - 2011: 1,29 Millionen). Dieser Anstieg ist sowohl auf das Altern der geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 1960er Jahre als auch auf eine Ausweitung der Schichtarbeit im Dienstleistungssektor zurückzuführen." 2011 arbeiteten 13% der 50- bis unter 65-Jährigen dauernd oder regelmäßig in Wechselschicht. Bei den 20- bis unter 35-Jährigen machten dies 18%.
• "Schichtarbeit kann mit gesundheitlichen Problemen verbunden sein: So weisen Beschäftigte in Schichtarbeit einen schlechteren körperlichen Gesundheitszustand auf und geben häufiger Schlafstörungen an als Beschäftigte mit normalen Arbeitszeiten."
• "Schichtarbeitende sind öfter in Arbeiterpositionen tätig und berichten häufiger von körperlichen und psychischen Arbeitsbelastungen. Außerdem erfahren sie weniger Anerkennung durch Vorgesetzte."
• Auch wenn mit dieser Querschnittststudie keine kausalen Analysen möglich sind, zeigen mehrere multivariate Analysen, dass nicht die Schichtarbeit als Einzelfaktor mit einem schlechteren Gesundheitszustand assoziiert ist. Vielmehr ist "Schichtarbeit vor allem deshalb mit einem schlechteren Gesundheitszustand assoziert", weil Schichtdienstbeschäftigte an Arbeitsplätzen "mit starker körperlicher Belastungen, psychischer Verausgabung und mangelnder sozialer Unterstützung" beschäftigt sind. Sie sind ihr Arbeitsleben überwiegend als Arbeiter tätig auch daher auch in jüngerem Alter höheren Belastungen ausgesetzt als z.B. Angestellte.
• Weitere Erkenntnisse versprechen sich die AutorInnen dann, wenn es weitere Befragungswellen gibt.

Diese Studie zeigt noch zwei generellere Phänomene: Wer aus welchen Gründen auch immer an einer möglichst langen Beschäftigung älterer Arbeitnehmer in guter Gesundheit interessiert ist, muss auch etwas an den Arbeitsbedingungen oder -belastungen in jüngeren Jahren ändern. Auch wenn Arbeit in Wechselschicht allein nicht die befürchtete negative Wirkung auf die älteren Arbeitnehmer hat, sollte ein altersgerechter Arbeits-und Gesundheitsschutz nicht nur den Zuwachs an Schichtarbeit bei älteren Arbeitnehmern bremsen, sondern auch ihren Sockel abbauen und altersangemessene Arbeitsinhalte und -formen entwickeln.

Die Studie Beschäftigte an der Schwelle zum höheren Erwerbsalter Schichtarbeit und Gesundheit von Carina Leser, Anita Tisch und Silke Tophoven ist als IAB-Kurzbericht 31/2013 erschienen, umfasst 8 Seiten und kann kostenlos bezogen werden.

Bernard Braun, 22.11.13


Wo läßt es sich in der EU am besten aktiv Altern? Ergebnisse des "Active Ageing Index" 2012

Artikel 2277 In dem Maße wie Alterung nicht mehr als etwas überwiegend Biologisch-Naturhaftes oder als Leistung von "active-ageing"-Pillen verstanden wird, sondern als sozial mitbedingt, wächst die Bedeutung der Bedingungen und Faktoren, die ein aktives und gesundes Altern ermöglichen oder fördern.
Was hier in Frage kommt und wie die 27 EU-Mitglieder dabei abschneiden, versucht der mit Förderung der EU-Kommission entwickelte und 2012 zum ersten Mal veröffentlichte "Active Ageing Index (AAI)" abzubilden.

Der AAI besteht aus 22 individuellen alterungsrelevanten Indikatoren, die zu den Schwerpunkten Beschäftigung, soziale Partizipation, selbstbestimmtes, gesundes und sicheres Leben und Kapazitäten und eine Umgebung, die aktives Altern ermöglichen zusammengefasst sind.

Die Ergebnisse zeigen erhebliche Unterschiede zwischen den 27 Ländern und lauten u.a. so:

• Insgesamt betrachtet sind die Bedingungen für aktives Altern in Schweden und Dänemark am besten und in der Slowakei und Polen am schlechtesten. Deutschland liegt hier auf Platz 9.
• Bei den Beschäftigungsraten liegen Schweden und Zypern auf Platz 1 und 2 und Malta und Ungarn auf den Plätzen 26 und 27. Deutschland liegt hier auf Platz 10.
• Bei der sozialen Partizipation nehmen Irland und Italien die beiden besten Plätze ein, Bulgarien und Polen die beiden schlechtesten Plätze. Deutschland ritscht hier auf Platz 19.
• Bei der Bedingung selbstbestimmten Lebens liegen Dänemark und Schweden wieder auf den beiden Spitzenplätzen, Bulgarien und Lettland auf den beiden letzten Plätzen. Deutschland erreicht hier mit dem 5. Platz seine beste Positionierung beim aktiven Altern.
• Die Bedingungen für aktives Altern sehen in Schweden und Dänemark am besten, und in Lettland und Rumänien am schlechtesten aus. Deutschland belegt hier Platz 11.

Ausführlichere Erklärungen des AAI und weitere detaillierte Daten findet sich auf der Projekt-Website Active Ageing Index Home.

Noch gründlicher informiert über den AAI und seine Resultate der 2013 erschienene 76-seitige Projekt-Report Active Ageing Index 2012: Concept, Methodology and Final Results ', Methodology Report von Zaidi, A., K. Gasior, M.M. Hofmarcher, O. Lelkes, B. Marin, R. Rodrigues, A. Schmidt, P. Vanhuysse und E. Zolyomi, der komplett kostenlos erhältlich ist.

Bernard Braun, 23.9.13


"IAB-Regional"-Bericht Altenpflege 2030 in Deutsch-Südwest: Wie rechnet man sich einen bedrohlichen Pflegebedarf zurecht!?

Artikel 2178 Die Anzahl, der Qualifikationsmix und die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte in Krankenhäusern, ambulanten Pflegediensten und stationären Einrichtungen der Altenpflege reichen mit Sicherheit weder heute noch in der weiteren Zukunft aus, um alle PatientInnen und Pflegebedürftigen bedarfsgerecht, wirksam, human und wirtschaftlich zu pflegen. Dies genau zu quantifizieren ist sozialpolitisch wichtig und berechtigt.
Dazu trägt auch der gerade in der Reihe "IAB-Regional" erschienene Bericht 3/2012 zum zukünftigen Bedarf an Arbeitskräften im Bereich der Altenpflege in Rheinland-Pfalz und im Saarland bis zum Jahr 2030 bei.

Auf der Basis des so genannten Status quo-Szenarios der weiteren demografischen und Pflegeentwicklung prognostizieren die Autoren zunächst folgende Veränderungen im Pflegebereich:

• Einen "Anstieg der Pflegebedürftigen von derzeit 105.800 auf bis zu 149.000 im Jahr 2030 in Rheinland-Pfalz und von gegenwärtig 30.400 auf bis zu 40.000 im Saarland."
• "Voraussichtlich (wird) die professionelle Pflege weiter an Bedeutung gewinnen, d. h. sowohl die Versorgung durch ambulante Pflegedienste als auch die Unterbringung in stationären Einrichtungen. Die Modellrechnungen zeigen für Rheinland-Pfalz, dass sich der Bedarf an Pflegearbeitskräften von heute rund 26.500 Beschäftigten (in Vollzeitäquivalenten) auf 35.400 (starkes Engagement der Angehörigen und technischer Fortschritt in der Pflege) bis zu 48.300 (schwaches Engagement der Angehörigen und kein technischer Fortschritt in der Pflege) bis 2030 erhöhen könnte. Im Saarland ergibt sich ausgehend vom heutigen Bestand von 7.900 Arbeitskräften (in Vollzeitäquivalenten) im günstigsten Fall im Bereich der Altenpflege nur ein zukünftiger Bedarf von 9.900, sofern Produktivitätsfortschritte mit Effizienzgewinnen und eine hohe Versorgungsbereitschaft durch Angehörige gegeben sind. Oder, sofern Produktivitätsfortschritte ausbleiben und die Beteiligung von Angehörigen in der Pflege zurückgeht, werden im Bereich der Altenpflege an der Saar in 2030 13.000 Personen (in Vollzeitäquivalenten) erforderlich, um die Versorgung der Pflegebedürftigen zu ermöglichen.
• Dass die gesamte Weiterentwicklung "nicht nur vom Engagement der pflegenden Angehörigen sowie von Produktivitätsfortschritten in der Pflege" abhängt, "sondern auch von den Kosten für professionelle Pflegedienstleistungen" und der Höhe der "Verdienstmöglichkeiten im Pflegebereich" als Anreiz für Berufssuchende, sich für den Pflegebereich zu entscheiden, ist ein wichtiger Hinweis der Mitarbeiter des "Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)" der Bundesagentur für Arbeit in den beiden Ländern und NRW.

Doch auch trotz der beabsichtigten differenzierten Prognose legen die Autoren wichtige Argumente und Faktoren entweder gar nicht auf den Tisch oder "begraben" sie nach kurzer Betrachtung unter ihm. So werden Mythen gemacht!
Als erstes erwecken auch sie den Eindruck, man könne gerade die Entwicklung der Nachfrage nach Pflege und des Angebots von Pflegekräften wirklich exakt für die nächsten 20 Jahre prognostizieren. Die zahllosen Fehlprognosen über die Entwicklung des Sozial- und Gesundheitsbereich in den letzten 30-40 Jahre und das oft für unmöglich oder undenkbar gehaltene Auftreten von Innovations- und Produktivitätsschüben, sollten solche Gewissheiten eigentlich verbieten.
Die Autoren weisen dann zwar selber auf die mögliche Einseitigkeit ihrer Annahmen über die zukünftige Nachfrage nach Pflegeleistungen und Pflegekräften hin, berücksichtigen die erwähnten Alternativannahmen bei ihren Berechnungen aber komplett nicht: "Diesem Szenario liegt die Annahme zugrunde, dass es zukünftig keine Verbesserungen im Gesundheitszustand der älteren Menschen gibt, z. B. durch präventive und gesundheitsfördernde Maßnahmen, Verhaltensänderungen und/oder durch bessere Behandlungsmöglichkeiten. … Diese Status-Quo-Hypothese basiert auf der Annahme, dass die Prävalenz der Pflegebedürftigkeit im Zeitablauf unverändert bleibt, obwohl sich die Lebenserwartung verlängert. Der Umfang, in welchem zukünftig Pflegeleistungen in Anspruch genommen werden, würde sich entsprechend der gegenwärtigen Struktur der Prävalenz verändern. Die Nachfrage nach Pflegeleistungen wächst nach dieser These daher nur, weil zukünftig ein höherer Bevölkerungsanteil auf die obersten Altersklassen entfällt. Diese Status-Quo-Hypothese ist nicht unumstritten, da bis dato nicht endgültig geklärt wurde, ob die altersspezifische Prävalenz in Zukunft tatsächlich unverändert bleibt … ." Wer danach Worte oder Zahlen sucht, die belegen was eine längere Lebenserwartung bei sich verbessernder Gesundheit und Pflegebedürftigkeit, d.h. die so genannte Kompressionshypothese oder eine Verbesserung der bei vielen Pflegeanlässen (z.B. Demenz) hilfreichen Rehabilitationsangebote ("Rehabilitation vor Pflege") für die künftige Nachfrage nach Pflegekräften in den beiden Bundesländern praktisch bedeutet, sucht vergeblich.

Der 42-seitige Bericht "Der zukünftige Bedarf an Arbeitskräften im Bereich der Altenpflege in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Modellrechnungen für die Länder bis zum Jahr 2030. von Anne Otto und Carsten Pohl ist 2012 in der Reihe "IAB-Regional. Berichte und Analysen aus dem Regionalen Forschungsnetz. IAB Rheinland-Pfalz-Saarland", erschienen und komplett kostenlos erhältlich.

Bernard Braun, 7.11.12


Ungleiche körperliche Leistungsfähigkeit im Alter durch diverse Nachteile im früheren Leben bedingt

Artikel 2132 Ungleiche körperliche Leistungsfähigkeit hängt bei älteren Menschen verschiedener rassischer, ethnischer oder regionaler Herkunft zum größten Teil von gesundheitlichen und sozioökonomischen Nachteilen in sehr jungen Jahren und im weiteren Erwachsenenleben ab. Zu diesem Schluss führt eine Untersuchung der Daten von 14.564 seit 1947 an der für die USA repräsentativen "Health and Retirement Study (HRS)" teilnehmenden Personen.

Unter deren TeilnehmerInnen finden sich sowohl in den USA als auch in anderen Ländern geborene Weiße, Schwarze und "Hispanics". Die körperliche Leistungsfähigkeit wurde für die meisten TeilnehmerInnen durch die Messung der Geschwindigkeit bestimmt mit der die Personen ausatmen, sowie durch die Festigkeit des Händedrucks und die Gehgeschwindigkeit. Das physische Leistungsvermögen gilt neben dem subjektiven Wohlbefinden als einer der wichtigsten Einflussfaktoren auf den selbst wahrgenommenen Gesundheitszustand älterer Menschen. Ein schlechter körperlicher Zustand spielt schließlich eine erhebliche Rolle bei der Entstehung von Behinderungen und deren Weiterentwicklung. Für jede Person wurden außerdem eine Reihe von sozioökonomischen Merkmalen (z.B. Ausbildung, Einkommen, frühere Beschäftigung) und Kennziffern des Gesundheitsverhaltens (z.B. Rauchverhalten, Gewicht) erhoben. Das besondere Augenmerk lag auf der Erhebung der sozioökonomischen und gesundheitlichen Situation vom Kindesalter an bis in das Erwachsenenalter hinein.

Die komplexe statistische Analyse der Daten lieferte signifikante Belege für drei sozial relevante Sachverhalte:

• In den USA gibt es im höheren Lebensalter zwischen den rassisch, ethnisch und vom Geburtsland her unterschiedenen Personen große Ungleichheiten bei der körperlichen Leistungsfähigkeit. Dabei gibt es auch nicht nur auf den ersten Blick paradoxe Ergebnisse: So haben z.B. die überwiegend in körperlich beanspruchenden Berufen arbeitenden "Hispanics" einen schwächeren Händedruck als ihre weißen Landsleute, die weit häufiger Bürotätigkeiten ausübten.
• Die gesundheitliche Situation und materielle Benachteiligungen im Kindesalter und die darauf aufbauende Gesundheit im Erwachsenenalter sowie die weitere sozioökonomische Situation erweisen sich in der Untersuchung als signifikante Prädiktoren für die Ungleichheiten der körperlichen Leistungsfähigkeit und spielen eine wichtige Rolle bei der Herausbildung dieser Ungleichheiten. Die Studie liefert aber auch Hinweise, dass gesundheitliche und sozioökonomische Nachteile im Kindesalter durch objektive und subjektive Bedingungen im Erwachsenenalter und damit auch ihre negativen Wirkungen abgeschwächt werden können.
• Auch wenn die ungleiche körperliche Leistungsfähigkeit von älteren Menschen mit unterschiedlicher Hautfarbe und unterschiedlichem Herkunftsland nur zum Teil alterungsbedingt und stattdessen durch das frühere Leben bestimmt ist, handelt es sich nicht um unveränderliche Zusammenhänge. Die AutorInnen der Studie empfehlen stattdessen mit der Evidenz für die positive Wirkung sowohl im Kindesalter als auch noch im Erwachsenenalter vielfältige Interventionen, die sich auf den Abbau von sozialen Nachteilen und auf die Umkehr einer "Abwärtsspirale" richten.

Von der Studie "Race/ethnic and nativity disparities in later life physical performance: the role of health and socioeconomic status over the life course." von Haas, S.A., Krueger, P.M. und Rohlfsen, L. in der Zeitschrift "The Journals of Gerontology" (2012; Series B: Psychological Sciences and Social Sciences, 67(2): 238-248) veröffentlicht, gibt es kostenlos nur das Abstract.

Bernard Braun, 11.6.12


Alter allein erklärt nicht die Anzahl depressiver Symptome als einem Indikator für seelische Gesundheit.

Artikel 2070 Das Alter allein besitzt keine Erklärungskraft für die Häufigkeit von depressiven Symptomen oder Erkrankungen, die eine schwere Belastung der Gesundheits- und Lebensqualität älterer Menschen darstellen.
Dies ist das zentrale Ergebnis einer Analyse von Daten aus der ersten Welle des SHARE-Projekts (Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe) von 28.538 repräsentativen Personen im Alter zwischen 50 und 89 Jahren mit depressiven Symptomen (gemessen mit der so genannten EURO-D-Skala) aus elf europäischen Länder sowie Israel. Im SHARE-Projekt werden im Längsschnitt nicht nur Alters- und Krankheitsdaten erhoben, sondern auch eine Fülle soziodemografischer Daten sowie Angaben zur wirtschaftlichen Situation und den Lebensarrangements der TeilnehmerInnen.

Ein Literaturreview zeigt, dass die empirischen Befunde zu den Effekten des Alters auf depressive Symptome gemischt sind und von positiven über keine bis hin zu negativen Effekten reichen.
Die SHARE-Ergebnisse zeigen zunächst, dass die Anzahl depressiver Symptome mit dem Alter steigen und bei den Frauen höher als bei den Männern ausfällt. So steigt die durchschnittliche Anzahl von depressiven Symptomen bei Männern von 1,72 im Alter von 50-54 Jahren auf 2,63 bei den 85-89-Jährigen. Bei den Frauen steigt die Anzahl der Symptome von 2,57 auf 3,46 Symptome.

Wenn man die soziodemografischen Merkmale, die Indikatoren des Gesundheitszustands (z.B. Behinderungen, chronische Erkrankungen und geistige Fähigkeiten), die Lebensstile und die wirtschaftliche Belas-tungen in multivariate Analysen einbezieht, hebt sich der Zusammenhang zwischen depressiven Symptomen und Alter in den meisten Modellen bei den Männern auf und kehrt sich bei den Frauen sogar um. Nicht das präventiv unbeeinflussbare Alter alleine, sondern erst das Wechselspiel der in Maßen beeinflussbaren Ausprägungen des körperlichen und kognitiven Gesundheitszustands und die individuellen Lebensumstände von Senioren mit dem Alter, sind mit dem Auftreten und dem Niveau der depressiven Symptome assoziiert. Die Autorinnen weisen darauf hin, dass Faktoren wie die soziale Unterstützung, die Arbeitsbedingungen und die Art des Übergangs in die Nichtarbeitsphase im SHARE-Projekt bisher nicht erhoben werden, sehr wohl aber weitere Vermittlungsglieder zwischen Alter und Depressivität sein können.

Der Aufsatz "Der Zusammenhang zwischen Alter und depressiven Symptomen bei Männern und Frauen höheren Lebensalters in Europa. Erkenntnisse aus dem SHARE-Projekt"
von Isabella Buber und Henriette Engelhardt ist im Mai 2011 in den "Comparative Population Studies - Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft" erschienen und komplett kostenlos erhältlich.

Bernard Braun, 28.1.12


Hohe Übereinstimmung der Vorhersage der Gesamtsterblichkeit durch subjektive und "objektiv"/ärztliche Gesundheitsbewertung

Artikel 2053 Vorhersagen des gesamten Sterberisikos durch die Bewertung des Gesundheitszustandes durch Ärzte auf Basis "objektiver" Symptome und Diagnosen und von Individuen auf der Basis subjektiver Symptome, funktionaler Einschränkungen und der Lebensqualität stimmen erneut bemerkenswert überein. Unterschiede gibt es bei der Vorhersage der Sterblichkeit durch Krebs und kardiovaskuläre Erkrankungen.

Dies ist das Ergebnis einer Kohortenstudie (der so genannten "Zutphen Elderly Study") mit 710 zu Hause lebenden niederländischen Männer im Alter von 64 bis 84 Jahren, die bis zu ihrem Tod oder maximal 15 Jahre Studienteilnehmer waren. Zu Beginn der Studie im Jahr 1985, fühlten sich 352 der Männer (49,6%) gesund und 225 (31,7%) bekamen auch von ihrem Arzt eine gute Gesundheit attestiert.

Nach 15 Jahren sahen die Ergebnisse so aus:

• 503 oder 70,8% der Männer verstarben in dieser Zeit. 229 (45,5%) starben an einer kardiovaskulären Erkrankung und 144 (28,6%) an Krebs.
• Diejenigen Personen, die ihren Gesundheitszustand subjektiv als schlecht und sehr schlecht bewertet hatten, hatten statistisch signifikant ein 72% höheres Gesamt-Sterberisiko als diejenigen, die ihren Gesundheitszustand als gut oder sehr gut bewertet hatten. Dieses Risiko war bei den Personen deren Gesundheitszustand durch ärztliche Diagnosen etc. als schlecht oder sehr schlecht bewertet wurden, um 77% höher, unterschied sich von der subjektiven Bewertung nur unwesentlich.
• Bei der Vorhersage der Sterblichkeit an einem Krebsleiden hatten die Personen mit subjektiv schlecht bewerteten Gesundheitszustands ein signifikant um 141% höheres Risiko als die Personen, die ihren Gesundheitszustand als gut bewerteten. Bei der Vorhersage des Risikos an einem kardiovaskulären Leiden zu sterben gab es keine eindeutigen, d.h. statistisch signifikanten Prädiktionswerte.
• Bei der Prädiktion des Risikos z.B. an einem Herzinfarkt zu sterben, war zwar die ärztliche, "objektive" Bewertung des Gesundheitszustands besser und die Risikoerhöhung der Personen mit schlechterem ärztlich ermittelten Gesundheitszustand signifikant um 113% höher. Bei der Vorhersage der Krebssterblichkeit auf derselben Datenbasis war die Risikoerhöhung der Personen mit schlechtem ärztlich diagnostizierten Gesundheitszustandes nur gering höher als bei ihren besser bewerteten Ko-Teilnehmern. Der Unterschied war auch nicht signifikant.

Obwohl die Studie keine schlüssige oder abschließende Erklärung für die unterschiedliche Stärke der erkrankungsbezogenen Vorhersagemuster liefert, unterstreicht sie die hohe Verlässlichkeit des subjektiv wahrgenommenen Gesundheitszustands z.B. als prediktiver Indikator für das Risiko, an sämtlichen Ursachen zu versterben.

Der Aufsatz "Self-rated health and physician-rated health as independent predictors of mortality in elderly men"
von Erik J. Giltay et al. ist am 16. Dezember 2011 in der Fachzeitschrift "Age Aging" erschienen. Ein Abstract ist kostenlos erhältlich.

Bernard Braun, 17.12.11


Ein Hauch von Scylla und Charybdis: Einmalige Gabe einer Jahresdosis Vitamin D zur Sturzprävention ist nicht erfolgreich

Artikel 1846 Die regelmäßige Einnahme von Vitamin D kann Ältere vor Stürzen und damit verbundenen Knochenbrüchen schützen. Das Problem ist lediglich, dass Ältere sich aus unterschiedlichsten Gründen oft nicht an die Einnahmevorschriften für Arzneien halten und der Schutzeffekt von Vitamin D daher schwindet. Ein bei erstem Hinsehen genialer Trick hat leider nicht das gehalten, was man sich davon versprochen hatte: Eine im Herbst oder Winter verabreichte einmalige Gabe einer hohen Dosis, die für ein ganzes Jahr ausreicht, führte in einer methodisch gut abgesicherten Studie leider zu einer überdurchschnittlich hohen Sturzrate.

Das Risiko von Stürzen und damit verbundenen Knochenbrüchen ist besonders bei älteren Personen erhöht und folgenreich. Eine Reihe von Studien zeigte, dass man dieses Risiko durch die regelmäßige Einnahme einer Dosis des Vitamins D positiv beeinflussen kann. Das präventive Potenzial wurde dabei als durchaus bedeutsam eingeschätzt, auch wenn einige andere Studien keine statistisch signifikanten Effekte oder sogar ein leicht erhöhtes Risiko von Hüftfrakturen unter der Einnahme von Vitamin D zeigten. Trotzdem gilt ein zu niedriges Vitamin D-Niveau weiterhin als Risikofaktor für Stürze und Brüche und als veränderbar. Die wichtigste Voraussetzung, um aber unabhängig von der geschilderten, nicht einhelligen Studienlage wirklich wirksam zu sein, ist die regelmäßige tägliche Einnahme. Besonders bei älteren Personen lässt aber die Therapietreue bei der Einnahme von Medikamenten oder eben auch Vitaminen erheblich zu wünschen übrig.

Als Lösung wird seit einiger Zeit eine einmalige orale Gabe einer Dosis Vitamin D im Herbst oder Winter verabreicht, die für ein ganzes Jahr ausreicht. Anders als in vielen ähnlichen Fällen untersuchten Mediziner nun in einer doppelt blinden, placebokontrollierten Studie bei 2.256 zwischen Juni 2003 und Juni 2005 rekrutierten, zu Hause lebenden Frauen im Alter über 70 Jahren die Wirkungen dieser Jahresdosis. Die Beobachtungszeit betrug zwischen 3 und 5 Jahren. (doppelt blind = weder Wissenschaftler noch Teilnehmer wissen, ob sie in der Untersuchungs- oder Kontrollgruppe sind; placebokontrolliert = es gibt eine Kontrollgruppe, in der statt eines Medikaments ein Placebo verabreicht wird)

Bei der Analyse der Sturz- und Knochenbruchhäufigkeit zeigten sich aber dann in der 837 Frauen umfassenden Vitamin D-Gruppe signifikant höhere Werte als in der Placebogruppe mit 769 Frauen. 2.892 Stürze (83,4 Stürze pro 100 Personenjahre) und 171 Frakturen in der Vitamin D-Gruppe standen in der Placebogruppe 2.512 Stürze (72,7 Stürze pro 100 Personenjahre) und 135 Knochenbrüche gegenüber (p=0,03).

Das relative Risiko (RR) eines Knochenbruchs in der Vitamin D-Gruppe betrug 1,26 gegenüber der Placebogruppe (p=0,047). Das höchste Risiko für Stürze belief sich in der Vitamin D-Interventionsgruppe innerhalb der ersten 3 Monate nach Verabreichung der Jahresdosis auf 1,31. Der Wert sank in den folgenden 9 Monaten zwar auf 1,13, war aber immer noch höher als in der Placebo-Gruppe. Insgesamt war das Risiko eines Sturzes um 15 % erhöht.

Die WissenschaftlerInnen fügen ihrem Nachweis, dass die Jahresdosisbehandlung die Sturz- und Frakturrisiken erhöht, noch einige weitere Hinweise für die Behandlung und die weitere Forschung hinzu. Ein wichtiger Hinweis ist, dass offensichtlich die Einnahme von Vitamin D allein keine ausreichende präventive Wirkung hat, sondern durch andere Maßnahmen (z.B. entsprechende Trainingsangebote oder primärpräventive Unterstützung im Wohnumfeld) ergänzt oder sogar ersetzt werden sollte. Sie vermuten ferner, dass die unerwünschten Effekte auch durch die sehr hohe Vitamindosis entstanden sein könnten. Dass man eine unerwünschte Situation und Wirkung (fehlende Therapietreue) durch eine Intervention zu verändern sucht, ist nachvollziehbar. Sobald diese Intervention jedoch selber zu unerwünschten Wirkungen führt, sollte dies Anlass sein, über intelligentere und weniger gesundheitsriskante Formen der Förderung von Therapietreue nachzudenken.

Dass dies über das Ziel, Sturz- und Frakturrisiken zu senken, hinaus von Bedeutung sein könnte, zeigt ein gerade veröffentlichter Aufsatz in der Fachzeitschrift "Journals of Gerontology". Dort wurde nachgewiesen, dass der Vitamin D-Spiegel einen Einfluss auf die geistige Aktivität haben kann. Wenn er zu niedrig ist, schwindet die kognitive Flexibilität. Selbst wenn man weitere Einflussfaktoren auf die geistige Flexibilität kontrolliert, bleibt ein positiver Effekt des Vitamin D bestehen.

Ein Abstract des Jahresdosis-Aufsatzes, erschienen in der Ausgabe von JAMA vom 12. Mai 2010 (12;303(18):1815-22) ist kostenlos erhältlich: Sanders KM, Stuart AL, Williamson EJ, et al.: Annual high-dose oral vitamin D and falls and fractures in older women: a randomized controlled trial

Der Aufsatz über den Einfluss von Vitamin D auf die geistige Flexibilität ist in der Juli-Ausgabe 2010 der Zeitschrift The Journals of Gerontology (Series A Volume 64A, Issue 8: 888-895) erschienen und komplett kostenlos erhältlich: Jennifer Buell et al.: Vitamin D Is Associated With Cognitive Function in Elders Receiving Home Health Services

Bernard Braun, 6.8.10


Arbeitssicherheit und Gesundheitsförderung: Probleme und Interessen älterer Arbeitnehmer

Artikel 1841 In Griechenland, Spanien und Frankreich trieben im Mai 2010 Pläne der Regierungen zur Erhöhung des gesetzlichen Rentenalters (zurzeit 60 Jahre) Hunderttausend von Demonstranten auf die Straßen. In den Niederlanden einigten sich jetzt Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften auf eine schrittweise Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre und in Deutschland ist bereits gesetzlich festgelegt, dass das Renteneintrittsalter in kleinen Schritten bis zum Jahre 2029 von derzeit 65 auf dann 67 Jahre steigt. Das Durchschnittsalter der Erwerbsbevölkerung in Europa steigt also deutlich, auch im Gefolge dieser Gesetzesänderungen. Unklar ist, ob die Rahmenbedingungen in der Arbeitswelt hinreichend darauf vorbereitet sind.

Ein schottisches Forschungsteam des "Institute of Occupational Medicine, Edinburgh, UK" hat diese Frage jetzt aufgegriffen und eine internationale Literaturübersicht unter Einbezug von knapp 60 Veröffentlichungen erstellt, in denen schwerpunktmäßig gesundheitliche Probleme älterer Beschäftigter, teilweise aber auch Lösungsansätze vorgestellt werden. Unter anderem zeigt sich in der Bilanz, dass Ältere insgesamt seltener unfallgefährdet sind, jedoch häufiger von schweren Unfällen betroffen.

Die Fragestellungen des Forschungsteams waren: "1.) Was sind die Bedürfnisse und Interessen älterer Arbeitnehmer in Bezug auf den Gesundheitsschutz und die Gesundheitsförderung im Betrieb und unterscheiden sich diese von denen der übrigen Beschäftigten? 2.) Wie geht man im Betrieb mit diesen Interessen um? 3.) Wo gibt es Forschungslücken?" Die ursprünglich 180 dazu gefundenen Veröffentlichungen wurden hinsichtlich ihrer methodischen Fundierung bewertet und dann auf 59 Artikel eingeschränkt.

Altersbedingte biologische Veränderungen
Die Wissenschaftler zitieren viele Studien, in denen ein Absinken der sogenannten "aeroben Leistungsfähigkeit" nachgewiesen wird, also der körperlichen Ausdauer, die unter anderem mit der Sauerstoffaufnahmekapazität zusammenhängt. Dass dies für die Bewältigung körperlicher Belastungen (körperliche Schwerarbeit, aber auch länger dauernde einseitige Belastungen) erhebliche Konsequenzen hat und eine veränderte Arbeitsgestaltung erfordert, ist allzu naheliegend. Auch anthropometrische Veränderungen werden festgestellt, so unter anderem altersbedingt erhöhte Werte für das Körpergewicht und den Body Mass Index. Einzelne Parameter, wie zum Beispiel Körperkraft, Kraft beim Greifen, Gelenkbeweglichkeit, Wirbelsäulen-Flexibilität und andere unterliegen zwar altersbedingten Verschlechterungen, sind aber bei einzelnen Individuen extrem unterschiedlich ausgeprägt und teilweise auch durch Training kompensierbar.

Erholungsbedürfnisse und die Notwendigkeit von Pausen, so ein anderes Ergebnis, steigen mit dem Alter eindeutig an. Ebenso verlängern sich Reaktionsvermögen und Reaktionszeit bei Älteren, was teilweise allerdings wettgemacht werden kann durch Übung und Erfahrung. Leistungsdaten von Arbeitnehmern, in denen Geschwindigkeit eine Komponente ist, zeigen generell mit zunehmendem Alter abnehmende Werte. Was kognitive Fähigkeiten anbetrifft, so verweisen Studien auf die Hypothese "Use it or lose it" (Gebrauch es oder verlier es) - Übung ist demzufolge also ungeheuer wichtig, um intellektuelle Kompetenzen im Alter zu behalten. Andere Fähigkeiten, insbesondere der Sinnesorgane (Hörvermögen, Sehschärfe, Farbunterscheidung usw.) lassen mit dem Alter zunehmend nach, können teilweise aber betrieblich (verbesserte Beleuchtung) oder individuell (Brille) kompensiert werden.

Unfälle und Verletzungen
Obwohl Daten zu Unfällen in der Arbeitswelt aus sehr unterschiedlichen Quellen stammen (persönliche Berichte von Beschäftigten, offizielle Statistiken von Behörden oder Verbänden) scheint unter dem Strich festzustehen, dass ältere Arbeitnehmer seltener als jüngere von Unfällen und Verletzungen betroffen sind. Erschöpfung spielt als Ursache eine überaus große Rolle, in 25% aller Fälle ist dies der Hintergrund. Falls Ältere von Unfällen betroffen sind, zeigt sich jedoch, dass diese schwerwiegender sind. Während Unfälle insgesamt eine Arbeitsunfähigkeit von durchschnittlich 8 Tagen verursachen, liegt dieser Wert bei 12 Tagen für 55-64jährige und bei 18 Tagen für über 65jährige. Tödlich verlaufende Arbeitsunfälle ereignen sich in den USA dreimal so oft bei älteren Beschäftigten, im United Kingdom etwa 1,6mal so oft.

Maßnahmen zur Gesundheitsförderung im Betrieb
Leider fallen die Ergebnisse der Literatursichtung in diesem Bereich außerordentlich spärlich aus: Nur zwei Studien wurden ausgewertet und gefunden, beides sehr lang zurück liegende Studien (1999, 2000). Inzwischen liegt eine weitaus größere Zahl von Untersuchungen vor und wurde auch schon auf der Website der Bundesvereinigung für Prävention und Gesundheitsförderung vorgestellt. Das Fazit aus diesen Studien ist eher dürftig: Ältere begrüßen Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung, betonen jedoch, dass der Zugang für alle Beschäftigten möglich sein muss.

Von der Literaturbilanz ist kostenlos nur ein Abstract verfügbar: J. O. Crawford, R. A. Graveling, H. A. Cowie and K. Dixon: The health safety and health promotion needs of older workers (Occupational Medicine 2010 60(3):184-192; doi:10.1093/occmed/kqq028)

Gerd Marstedt, 31.7.10


Neues aus der Demografieforschung: Wir leben nicht länger, weil der Alterungsprozess länger dauert, sondern später anfängt!

Artikel 1837 Ist die in den meisten europäischen und nordamerikanischen Ländern auch heute noch stetige Verlängerung der Lebenserwartung in Richtung 90 und mehr Jahre der nächste Höhepunkt der "demografischen Bedrohung" oder muss man sich vielmehr überlegen, was die immer zahlreicher werdenden 90+-Menschen mit den immer mehr werdenden gesunden Lebensjahren anfangen können?

Auf diese Frage liefert jetzt eine materialreiche Studie zum Stand der demografischen Forschung des Rostocker Bevölkerungswissenschaftler James Vaupel in der renommierten Wissenschaftszeitschrift "Nature" klare Antworten.

Die empirischen Tendenzen in Schweden (seit 1861), den USA (seit 1933) und Japan (seit 1947) belegen die von Vaupel in einer deutschsprachigen Zusammenfassung seines "Nature"-Aufsatzes so formulierte Kernthese: Es gibt "ein deutliches Indiz dafür, dass die Zahl gesunder Lebensjahre wächst. Die Lebenserwartung der Menschen nimmt also zu - nicht, weil der Alterungsprozess sich insgesamt verlängert, sondern weil er immer später einsetzt. Heute Geborene können somit nicht nur darauf hoffen, den 100. Geburtstag zu feiern, sondern auch die Zeit bis zum 90. Lebensjahr in zufrieden stellender körperlicher und geistiger Gesundheit zu verbringen."
Dies wird im wesentlichen an einer insbesondere nach dem zweiten Weltkrieg in allen Ländern stetig zunehmenden Verschiebung des Zeitpunkts, ab dem es eine Restlebensdauer von 5 oder 10 Jahren gibt, ins immer höhere Alter belegt, wobei der Abstand zwischen beiden Tendenzen in etwa gleich bleibt. Seit 170 Jahren, seit dem gibt es in Schweden Lebenserwartungsstatistiken, verlängert sich das Leben pro Jahr durchschnittlich um drei Monate und hat, das sei den vielen zeitgenössischen Demografie-Auguren ins Stammbuch geschrieben, fast jede für absolut und unüberwindbare Altersmarke übersprungen.

Der Trefferstand in dem im "forum-Gesundheitspolitik" schon öfter erwähnten "Spiel" zwischen "compression of morbidity" und "Medikalisierung" verbessert sich damit zugunsten der Kompressionshypothese gut und gern auf 8:1.

Eine zweite wichtige Erkenntnis der Forschung über die Zunahme so genannter Hochbetagter lautet, dass Altern und die Umstände des Alterns beeinflussbar sind. Dabei spielten aber bisher nicht der medizinisch-technische Fortschritt und die genetische Disposition die entscheidenden Rollen, sondern "ein allgemeiner Anstieg im Lebensstandard, eine bessere Ernährung, Fortschritte in der Medizin und in der Gesundheitsversorgung sowie soziale Errungenschaften, wie etwa der erhöhte Zugang der Menschen zu Bildung" in einem bestimmten Mischungsverhältnis.

Wenn man über die gesellschaftlichen Konsequenzen des immer später eintretenden Alterungsprozesses nachdenkt, wird klar, dass sich hier auch Spreng- oder Konfliktstoff verbirgt. Hält man an den Berentungsgrenzen 60 und 65 Jahren fest, bedeutete es, dass demnächst immer mehr Menschen berentet werden, die den längsten erwachsenen und relativ autonomen Zeitabschnitt ihres Lebens erst bzw. noch vor sich haben.

Alternativ, so Vaupel, könnte eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit über die heutigen Altersrentenjahre hinaus zum einen helfen, dass das gegenwärtige Arbeitsstundenvolumen und damit ein wichtiger Faktor des heutigen und künftigen Wohlstands erhalten bleibt und dies sogar bei weniger Arbeitsstunden pro Person. Dass dies nicht bei allen Tätigkeiten geht, sollte nicht die reflexartige Beendigung dieser gesamten Diskussion provozieren, sondern der Ausgangspunkt einer Suche nach unbelastenderen Alterstätigkeiten für Dachdecker oder Krankenschwestern sein. Und wie der umstrittene Versuch der "Rente mit 67" zeigt, sollten solche andere Beschäftigungszeiten auch nicht nur zu Rentenabschlägen führen oder indirekt Beiträge zur Entlastung der Rentenkassen und des Bundeshaushalts sein.

Diese Debatte in aller Ausführlichkeit zu führen und sich auch zu streiten ist angesichts der langsam erdrückenden Datenlage zur tatsächlichen Dynamik des Alterns allemal besser als das dumpfe Räsonnieren über das Menetekel der "demografischen Bedrohung".

Der Aufsatz "Biodemography of human ageing" von James W. Vaupel ist in der Zeitschrift "NATURE" (Vol 464 vom 25.3. 2010: 536-542) erschienen und komplett kostenlos zu erhalten. Trotz seiner Kürze vermittelt er eine komplette Übersicht über die Inhalte und Quellen der seriösen demografischen Forschung, die zum Weiterlesen animiert.

Die deutschsprachige Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse des Aufsatzes findet sich unter der Überschrift "Eine angeborene Lebensspanne gibt es nicht" in der Nummer 2/2010 des u.a. vom Rostocker Max-Planck-Instituts für demografische Forschung herausgegebenen kostenlosen Informationsdienstes "Demografische Forschung aus erster Hand".

Für diejenigen, die sich jetzt vielleicht zurücklehnen und vom unaufhaltsamen Nahen ihres hundertjährigen Geburtstags träumen, enthält das genannte Heft des Informationsdienstes aber auch noch eine gehörige Portion Essig. Mit der Überschrift "Wirtschaftskrisen kosten zehn Monate Lebenszeit" deutet ein Autorenteam nämlich die Wahrscheinlichkeit an, dass andere beeinflussbare soziale Ereignisse auch lebenserwartungsverkürzend wirken können.

Bernard Braun, 22.7.10


Die Lebensqualität Älterer wird mit zunehmender Multimorbidität schlechter - aber weniger klar als erwartet

Artikel 1745 Je mehr Krankheiten älter werdende Personen haben, desto schlechter ist ihre selbst wahrgenommene Lebensqualität. Hinter diesem zentralen Ergebnis einer Ende 2009 veröffentlichten Studie des Gesundheitszustandes und der Lebensqualität älterer deutscher Personen verbergen sich allerdings mehrere unerwartete Teilergebnisse. Offenkundig wurde dort aber auch, dass Morbiditätsmerkmale bei einer methodisch fundierten und detaillierten statistischen Analyse nur wenig zur Erklärung der Lebensqualität beitragen.

In der Studie wurden Lebensqualitäts- und Gesundheitsdaten von Angehörigen einer Patientenkohorte, des so genannten "getABI - German Epidemiological Trial on Ankle Brachial Index", untersucht (Durchschnittsalter 76 Jahre, 46% männlich). Die TeilnehmerInnen wurden im Herbst 2001 in 344 für die Primärversorgung repräsentativen Hausarztpraxen rekrutiert. Je Praxis wurden durchschnittlich 20 geeignete Personen ausgewählt. Die per Telefoninterviews zu ihrer gesundheitsbezogenen Lebensqualität und einigen soziodemografischen Aspekten befragte Untersuchungsgruppe umfasste dann 2.120 Personen.

Die Daten zur Lebensqualität wurden mit zwei vielfach erprobten Instrumenten, dem EQ-5D der EuroQol-Gruppe und dem SF-8-Fragebogen (Short Form 8 Health Survey) erhoben. Die Daten über den Gesundheitszustand lieferten die Hausärzte der StudienteilnehmerInnen. Der EQ-5D ist ein standardisiertes, krankheitsunspezifisches Messinstrument das die fünf Dimensionen "Beweglichkeit/Mobilität", "für sich selbst sorgen", "alltägliche Aktivitäten", "Schmerzen/körperliche Beschwerden" sowie "Angst/Niedergeschlagenheit" mit jeweils drei möglichen Antwortkategorien umfasst. Die Einzelangaben werden zu einem Gesamtwert zusammengefasst. Der SF-8-Fragebogen ermöglicht die Erstellung eines Gesundheitsprofils mit acht Fragen: Allgemeine Gesundheitswahrnehmung, körperliche Funktionsfähigkeit, körperliche Rollenfunktion, Schmerz, Vitalität, soziale Funktionsfähigkeit, emotionale Rollenfunktion und psychisches Wohlbefinden.

Zu den wichtigsten Ergebnissen der Studie zählen folgende Zusammenhänge:
• Mit der zunehmenden Anzahl von Krankheiten sinkt die gesundheitsbezogene Lebensqualität älterer Personen statistisch signifikant ab. Dabei schränken körperliche Aspekte das Wohlbefindens stärker ein als mentale.
• 37% der TeilnehmerInnen haben Probleme mit ihrer Mobilität, 4% mit der Selbstsorge, 15% mit allgemeinen Tätigkeiten, 23% mit Angst oder Niedergeschlagenheit, aber 65% mit Schmerzen.
• Insgesamt betrachtet ist es auch die Anzahl der Erkrankungen und weniger das Alter, die mit der gesundheitsbezogenen Lebensqualität zusammenhängt.
• Die Analyse der Einzelerkrankungen zeigt erwartungsgemäß, dass vor allem kardiovaskuläre (z.B. Herzinfarkt) und zerebrovaskuläre (z.B. Schlaganfall) Ereignisse in den letzten zwei Jahren, eine chronische periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK, Verengungen der Arm- oder Beinarterien mit der Folge von Durchblutungsstörungen) sowie Beeinträchtigungen des Bewegungsapparates signifikanten Einfluss auf die Lebensqualität nehmen.
• Bei einigen Personengruppen mit schweren Gesundheitsproblemen wie etwa einer Krebserkrankung sieht die Lebensqualität aber - so nicht erwartet - nicht besonders schlecht aus.
• Gesundheitsrelevante Ereignisse wie z.B. Krankenhausaufenthalte wegen einer psychischen Erkrankung, eines kardio- oder zerebrovaskulären Ereignisses oder Blutungen im Magen-/Darmtrakt wirken sich stärker auf die Lebensqualität aus als chronische Erkrankungen.

Insgesamt werden mit dieser Studie eine Reihe von meist im Ausland gewonnener Erkenntnisse für Deutschland bestätigt und zum Teil erweitert. Erfreulich und wichtig ist schließlich ein Ergebnis, das zeigt: Die ausgewählten Erkrankungen und gesundheitsrelevanten Ereignisse haben eine durchweg sehr geringe Erklärungskraft für Unterschiede in der Lebensqualität. (Statistisch ausgedrückt ist der korrigierte R-Quadrat-Wert mit 0,079 beim EQ-5D, 0,11 bei den körperlichen Dimensionen des SF-8 und 0,021 bei den mentalen Dimensionen des SF-8 extrem niedrig.) Inhaltlich bedeutet dies, dass andere, nicht im Modell berücksichtigten Faktoren für die Erklärung der Lebensqualität wesentlich bedeutender sind als die hier beachteten.

Die Ansicht der Autoren, dabei handle es sich hauptsächlich um weitere Krankheiten, führt nach den bisherigen Erkenntnissen über die Bedeutung häufiger und auch dramatischer Krankheiten wahrscheinlich nicht wesentlich weiter. Zumindest sollten künftig beispielsweise Erwartungen der PatientInnen an das Alter, ihre Alter(n)sbilder, ihre Eigenkonzepte zum Umgang mit Krankheit (z.B. Selbstwirksamkeits- oder Kontrollerwartung), Coping-Stile und auch psychosoziale Bedingungen mitberücksichtigt werden.

Eine wichtige Schlussfolgerung aus den Studienergebnissen ist, dass sich eine bedarfsgerechte Versorgung nicht nur auf einzelne Hauptdiagnosen konzentrieren, sondern immer auch das Gesamtbild der Morbidität - unter systematischer Berücksichtigung von Faktoren der Lebensqualität - berücksichtigen sollte.

Hier ist ein Abstract der Studie: J.M. Hodek, A. Ruhe, W. Greiner (2009): Gesundheitsbezogene Lebensqualität bei Multimorbidität im Alter (Bundesgesundheitsblatt 2009; 52: 1188-1201)


Bernard Braun, 28.2.10


Vertrauen: Ein zentraler Einflussfaktor für die Gesundheit Älterer

Artikel 1737 Der selbst bewertete Gesundheitszustand hat ganz zentrale Aussagekraft für die persönliche Gesundheit, für Erkrankungsrisiken und sogar die Mortalität. Bereits 1997 wies eine Bilanz von 27 Studien nach, dass diese Beurteilung zuverlässige Aussagen für die Lebenserwartung erlaubt und zum Teil sogar aussagefähiger ist als medizinische Diagnosen oder physiologische Risikofaktoren und Funktionswerte. In vielen späteren Studien wurde diese Aussagekraft der Selbsteinstufung (Wie würden Sie Ihren Gesundheitszustand im Allgemeinen beschreiben? Ausgezeichnet - sehr gut - gut - weniger gut - schlecht) noch einmal bestätigt.

Umso bedeutender sind die zentralen Ergebnisse einer finnischen Längsschnittstudie, die nachwies, dass das soziale alltägliche Vertrauen in andere Personen, das politische Vertrauen in Regierungen und das Vertrauen in Experten und Professionals bei älteren Menschen im Zeitverlauf in vielfältiger Weise mit dem selbst wahrgenommenen Gesundheitszustand im Zusammenhang steht.

Die Studie mit anfänglich 2.815 und bei einer nachfolgenden Kontrollerhebung noch 2.216 Senioren im Alter von 72-76, 62-66 und 52-56 Jahren, untersuchte über einen Zeitraum von drei Jahren mit Befragungen, ob das Vertrauen Älterer in andere Menschen und ob Veränderungen dieses Vertrauens im Zeitverlauf sich auf den Gesundheitszustand (Selbstbewertung) auswirken. Tatsächlich zeigten sich eine Reihe wichtiger und statistisch signifikanter Zusammenhänge:

• Insgesamt hatten jene StudienteilnehmerInnen, die ein durchweg hohes Vertrauensniveau hatten, auch nach Ausschluss verschiedener Einflüsse (Alter, Familienstand, Bildungsabschluss, Wohngegend) einen deutlich besseren Gesundheitszustand als die Vergleichspersonen mit niedrigem Vertrauen. Die Chancen für einen guten Gesundheitszustand (sogenanntes "Odds-Ratio") lagen in dieser Gruppe 1,4mal so hoch.

• Dieser Zusammenhang besteht besonders stark bei Männern (Odds-Ratio = 2,25). Die Wahrscheinlichkeit, als Person mit hohem Vertrauen in Nachbarn, Regierungen und Experten eine gute Gesundheit zu haben, lag auch nach einer statistischen Kontrolle mit den genannten Merkmalen immer noch 87 Prozent höher als in der Gruppe mit niedrigem Vertrauen. Bei Frauen fällt dieser Zusammenhang deutlich niedriger aus und ist statistisch nicht mehr signifikant.

• Als Erklärung für den teilweise engen Zusammenhang zwischen Veränderungen beim Vertrauen und dem selbst bewerteten Gesundheitszustand verweisen die Verfasser auf eine doppelseitige und umkehrbare Verbindung: Vertrauen beeinflusst Gesundheit und Gesundheit beeinflusst Vertrauen. Hohes Vertrauen ist in der untersuchten Personengruppe mit intensiver sozialer Partizipation verknüpft.

Insgesamt hat sich damit aus Public Health-Sicht Vertrauen als ein wichtiges Phänomen erwiesen und Regierungsvertreter ebenso wie Wissenschaftler und Ärzte sollten nicht durch inhaltlich fragwürdige Prognosen und Krisenszenarien mutwillig Vertrauen oder Vertrauensvorschüsse in der Bevölkerung in Frage stellen. In weiteren Längsschnittanalysen muss gleichwohl noch untersucht werden, ob derartige Zusammenhänge auch in anderen Altersgruppen, Regionen oder Ländern existieren.

Hier ist ein Abstract: Olli Nummela et al: The effect of trust and change in trust on self-rated health: A longitudinal study among aging people (Archives of Gerontology and Geriatrics (Volume 49, Issue 3, November-December 2009, Pages 339-342)

Bernard Braun, 14.2.10


Altersteilzeit ist gesünder als ein abrupter Übergang vom Erwerbsleben in die Rente

Artikel 1728 Ältere Menschen, die nicht vom einen auf den anderen Tag aus einer Vollzeitbeschäftigung in Rente gegangen sind, sondern diesen Übergang mit unterschiedlichen Formen einer "Brückenbeschäftigung" bewältigten, sind danach körperlich und geistig signifikant gesünder. Zu diesem Ergebnis kommen Alternsforscher im Journal of Occupational Health Psychology. Die an der University of Maryland und der California State University in San Bernardino arbeitenden Psychologen haben die Daten der "Health and Retirement Study" ausgewertet. Diese Langzeitstudie des US-National Institute on Aging befragt seit 1992 eine Gruppe von 12.189 US-Bürgern, damals zwischen 51 und 61 Jahre alt, regelmäßig nach ihren Lebensumständen. Zu den dabei erhobenen Merkmalen zählen neben Alter und Geschlecht auch ihr Bildungsniveau und ihre gesamte finanzielle Situation. Außerdem werden Angaben zum Beschäftigungsverhältnis, zu ärztlich diagnostizierten Krankheiten oder Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes, Krebs, Lungen- und Herzerkrankungen, Schlaganfall und zur mentalen Gesundheit erhoben.

Allerdings ist die Art des Übergangs in die Rente nicht unerheblich. Unterschiedlichen Formen der "Brückenbeschäftigung" (wie etwa eine zeitlich begrenzte Teilzeitbeschäftigung, eine Beschäftigung innerhalb oder außerhalb der bisherigen beruflichen Tätigkeit oder ein zeitlich begrenzter neuer Job) zeigen nämlich deutliche Effektunterschiede für die Gesundheit.

Die positiven Auswirkungen auf die weitere gesundheitliche Entwicklung traten lediglich bei solchen Personen auf, die eine "Brückentätigkeit" im ursprünglichen Beruf und am besten im bisherigen Betrieb ausübten. Die theoretische Möglichkeit, dass dabei die körperliche und mentale Gesundheit der RentnerInnen vor ihrer Berentung eine Hauptrolle gespielt hat, schließen die Wissenschaftler nach einer entsprechenden Standardisierung aus. Selbst wenn also der Gesundheitszustand vor dem Eintritt in die Rente keine Rolle mehr spielt, sind Personen, die eine "Brückentätigkeit" im bisherigen Beruf ausüben, im weiteren biografischen Verlauf gesünder. Wenn sie sich, vor allem aus finanziellen Gründen im Rentenalter nach einem neuen Job umsehen mussten, was in den USA keine Seltenheit ist, fiel der Gesundheitsbonus der "Brückenbeschäftigung" weg. Die Autoren führen dies auf den Stress zurück, dem ältere Menschen ausgesetzt sind, wenn sie sich für kurze Zeit in ein neues Berufsfeld einarbeiten müssen.

Auch wenn dies in dieser Studie nicht ausdrücklich untersucht wurde und keine aussagekräftigen Ergebnisse vorliegen, sollte das vorliegende Ergebnis Anlass dazu geben, generell darüber nachzudenken, den traditionell abrupten Übergang von Arbeit in Rente auch in Deutschland durch intelligente Formen von Altersteilzeit zu vermeiden.

Die Studie "Bridge Employment and Retirees' Health: A Longitudinal Investigation" von Yujie Zhan, Mo Wang, Songqi Liu und Kenneth S. Shultz erschien im Journal of Occupational Health Psychology (2009, Vol. 14, No. 4, 374-389) der American Psychological Association.
• Die komplette Fassung als PDF ist kostenlos erhältlich.
• Bei PubMed findet man ein Abstract der Studie.
• Bei der APA gibt es auch eine etwas ausführlichere Pressemitteilung

Bernard Braun, 6.2.10


Körperliche Fitness stärkt die kognitiven Fähigkeiten älterer Menschen

Artikel 1658 Auch wenn manche öffentlichen Debatten über Alter und Gesundheit den Eindruck vermitteln, Altern sei ein unvermeidbarer natürlicher Prozess des Verlusts kognitiver Fähigkeiten bis hin zur Demenz, scheint dies nicht uneingeschränkt zu stimmen. Vielmehr können körperliche Aktivitäten und daraus resultierende körperliche Fitness zu einer Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten beitragen, so dass körperlich aktive ältere Menschen nicht nur körperlich leistungsfähiger, sondern auch kognitiv präsenter und mit sich zufriedener sind als ihre Altersgenossen, die nichts für ihre körperliche Leistungsfähigkeit tun. Dies zeigten bereits im Jahr 2006 die Ergebnisse einer mittelgroßen Studie mit 460 TeilnehmerInnen des "Scottish Mental Survey", die 1932 geboren wurden und noch lebten und bestätigte zum Teil ein 2008 erstellter systematischer Cochrane-Review.

Die schottische (Kohorten-)Studie besteht aus zwei Untersuchungsmodulen: Erstens wurden ihre TeilnehmerInnen sowohl als sie 11 Jahre alt waren und erneut im Alter von 79 Jahren mit einem identischen Test für kognitive Fähigkeiten getestet. Zweitens wurden Merkmale körperlicher Leistungsfähigkeit, wie die Schrittlänge oder die Lungenfunktion im Alter von 79 Jahren gemessen.

Eine Analyse der Indikatoren für körperliche Fitness und erfolgreiches kognitives Altern zeigte unter Berücksichtigung des kognitiven Niveaus im Alter von 11 Jahren, des Geschlechts, der Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht und der Existenz des Alzheimer-Prädiktor-Gens APOE-4, eine enge Assoziation von Fitness und kognitiven Fähigkeiten. Eine daraus abgeleitete Empfehlung lautete: Interventionsstudien, die ältere Menschen insbesondere auch im kognitiven Bereich stärken wollen, sollten dies u.a. auch mit der Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit versuchen.

Die Autoren des Cochrane-"intervention review" aus dem Jahr 2008 stellen zum einen fest, aerobe körperliche Aktivität bewahre bzw. verbessere die kardiovaskuläre Gesundheit und stelle damit eine wichtige Bedingung für physisch gesundes Altern dar. Um erkennen zu können, ob es auch einen positiven Zusammenhang von körperlicher Aktivität und Fitness und kognitiven Fähigkeiten gibt, untersuchten sie sämtliche randomisierten kontrollierten Studien, die bis zum 15. Dezember 2005 Wirkungen von Interventionen eines Programm zur aeroben körperlichen Aktivität bei 55 Jahre alten und älteren Personen untersucht haben. Aerobes Training bezeichnet dabei ein gesundheitsorientiertes Ausdauertraining im Unterschied zum anaeroben Training, das kurzfristig besonders hohe Leistungen verlangt. Ein Teil der Studien intervenierte auch noch mit anderen Mitteln wie beispielsweise anderer Ernährung, ein Teil bestand nur aus aeroben Aktivitäten.

Die Ergebnisse der 11 Studien, die diese Einschlusskriterien erfüllten, zeigen Folgendes:
• Trotz einiger methodischer und konzeptioneller Mängel gibt es nach Ansicht der Reviewer "Evidenz, dass aerobes Training mit Verbesserung der kardiovaskulären Fitness für die kognitiven Fähigkeiten gesunder Älterer positiv ist".
• 8 dieser Studien bestätigten eine positive Wirkung des aeroben Trainings auf die maximale Sauerstoffaufnahmefähigkeit als einem der besten Einzelindikatoren für die Leistungsfähigkeit des Herz-/Kreislaufsystems. Dieser Wert wird um nahezu 14% erhöht.
• Wichtige Indikatoren für kognitive Leistungen stehen in engem Zusammenhang mit Verbesserungen dieses Indikators für physische Leistungsfähigkeit: Die stärksten Effekte finden sich bei der Koordination der groben und feinen Muskulatur (motor function), die in den Studien und von den Reviewern zu den kognitiven Funktionen gerechnet wird und der auditiven Aufmerksamkeit.
• Bei der kognitiven Geschwindigkeit, d.h. der Zeit in der Informationen verarbeitet werden und der visuellen Aufmerksamkeit gibt es moderate Effekte.

Die Aussagefähigkeit der Ergebnisse sehen die Cochrane-Reviewer jedoch dadurch eingeschränkt, dass die Mehrheit der Studien keine signifikanten Unterschiede zwischen den kognitiven Fähigkeiten von körperlich Aktiven und Inaktiven auf dem von ihnen vereinbarten Signifikanzniveau dokumentiert und außerdem in vielen Studien keine einheitlichen Indikatoren für die kognitive Leistungsfähigkeit untersucht wurden.

Ungeeignet sind die Studienergebnisse schließlich für den Nachweis, dass die durch körperliche Aktivität verbesserten kognitiven Fähigkeiten umgekehrt einen positiven Einfluss auf die kardiovaskulärer Fitness hätten. Wegen der Schwachstellen bisheriger Studien, plädieren die Reviewer für weitere, inhaltlich besser abgestimmte Studien.

Von der schottischen Studie ist kostenlos nur ein Abstrakt erhältlich: Physical fitness and lifetime cognitive change von Ian J. Deary, Lawrence J. Whalley, G. David Batty und John M. Starr, Neurology 2006;67:1195-1200

Auch für den Cochrane-Intervention-Review von Angevaren M, Aufdemkampe G, Verhaar HJJ, Aleman A, Vanhees L. gibt es kostenlos nur ein etwas längeres Abstract: Physical activity and enhanced fitness to improve cognitive function in older people without known cognitive impairment. Cochrane Database of Systematic Reviews 2008, Issue 3. Art. No.: CD005381. DOI: 10.1002/14651858.CD005381.pub3:

Bernard Braun, 5.11.09


Soziale Aktivitäten im Alter wirken sich auch körperlich positiv aus

Artikel 1647 Mit steigendem Lebensalter lassen in zunehmendem Maße Gedächtnisleistungen und andere kognitive Funktionen nach, ebenso sinkt aber auch die körperliche und muskuläre Leistungsfähigkeit. Dass man diese natürlichen Folgen von Alterungsprozessen durch Jogging und Gymnastik, Radfahren oder andere Formen von Sport und körperlicher Bewegung zwar nicht völlig aufhalten, aber doch nachhaltig verzögern kann, haben schon mehrere wissenschaftliche Untersuchungen gezeigt. Neu ist indes das Ergebnis einer jetzt veröffentlichten US-amerikanischen Studie. Dort zeigte sich, dass bei älteren Studienteilnehmern die körperliche Fitness umso weniger nachlässt, je intensiver deren soziale Aktivitäten, also ihre Besuche bei Freunden und Verwandten, ihre Mitarbeit in Vereinen usw., ausfallen.

An der jetzt in der renommierten Zeitschrift "Archives of Internal Medicine" veröffentlichten Studie nahmen 906 Männer und Frauen im Alter von 54-100 Jahren (Durchschnittsalter 80 Jahre) teil. Zuvor waren Ältere, bei denen man eine schwer wiegende Alterserkrankung wie Demenz, Parkinson oder Schlaganfall festgestellt hatte, von der Teilnahme ausgeschlossen worden. Im Jahr 1997 wurde bei diesen Teilnehmern im Rahmen einer Fragebogen-Erhebung unter anderem das Ausmaß sozialer Aktivitäten erfasst und ebenso die körperliche Fitness und auch weitere mögliche Einflussfaktoren wie zum Beispiel Bildungsniveau, Rauchen, Body-Mass-Index. Über einen Zeitraum von durchschnittlich etwa 5 Jahren wurde dann erfasst, wie sich die körperliche Fitness der Seniorinnen und Senioren verändert.

Der Umfang sozialer Aktivitäten wurde zu Beginn der Studie mit einem Fragebogen erhoben. Dort war auf einer fünfstufigen Skala anzukreuzen (von "einmal im Jahr oder weniger" bis "täglich oder fast täglich"), wie häufig man bestimmten Tätigkeiten nachgeht. Sechs solcher Aktivitäten waren vorgegeben: In Restaurants gehen oder Sportveranstaltungen besuchen, Tagesausflüge oder mehrtägige Reisen machen, unbezahlte soziale und gemeinnützige Arbeiten verrichten, Besuche bei Freunden oder Verwandten, Mitarbeit in Vereinen oder Teilnahme an Freizeitgruppen, Besuch von Gottesdiensten oder anderen religiösen Veranstaltungen.

Die körperliche Funktionstüchtigkeit und Fitness wurde mit unterschiedlichen Übungen und zum Teil auch Apparaturen gemessen: Die Muskelkraft im Unterarm, die Dehnbarkeit und Flexibilität verschiedener Muskeln und Gelenke, die Zeit, um eine kurze Strecke zu gehen und sich um 360 Grad zu drehen und anderes mehr. Neben diesen beiden zentralen Dimensionen (soziale Aktivitäten und körperliche Fitness) wurde eine große Zahl weiterer Aspekte geprüft, die als potentielle Einflussfaktoren gelten können: Anzeichen von Depressivität, Umfang geistig-intellektueller Aktivitäten wie Zeitung lesen oder Rätsel raten, Art und Ausmaß der körperlichen Aktivitäten in der Freizeit, gesundheitliche Risikofaktoren wie Bluthochdruck oder Rauchen.

Als Ergebnis der statistischen Analysen zeigte sich dann zunächst, dass die körperliche Fitness von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst war: Umfang von Sport und Bewegung in der Freizeit, Behinderungen, Depressivität, körperliche Erkrankungen und eben auch Ausmaß der sozialen Aktivitäten. Betrachtet man die hierfür verwendeten Indikatoren näher, so wird deutlich, dass viele der hier angesprochenen sozialen Handlungen es mit sich bringen, dass man bestimmte Wegstrecken auch zu Fuß bewältigen muss. Von daher könnte das Ergebnis recht banal sein: Wer sich körperlich viel bewegt, sei es beim Besuch von Verwandten, sei es zur Teilnahme an einer Freizeitveranstaltung, behält in der Regel auch eine körperlich bessere Verfassung. Tatsächlich konnten die Wissenschaftler in einer "multivariaten" Analyse (die den Einfluss vieler verschiedener Faktoren gleichzeitig prüft) jedoch zeigen, dass auch ganz unabhängig vom Umfang körperlicher Bewegung in der Freizeit das Sozialverhalten einen wesentlichen Einfluss hat.

Im Einzelnen zeigte sich:
• Für jeden Punkt, den ein Teilnehmer auf der Skala für soziale Aktivitäten weniger aufweist, ergibt sich ein Absinken seiner körperlich-motorischen Leistungen um 33 Prozent.
• Ein solcher Unterschied von nur 1 Punkt, was die sozialen Aktivitäten anbetrifft, hat etwa dieselbe Bedeutung wie wenn der Betreffende 5 Jahre älter wäre und entsprechend schlechtere körperliche Leistungen aufweisen würde.
• Dies wiederum entspricht einem um 40% erhöhten Sterblichkeitsrisiko und einem um 65% erhöhten Risiko für eine Behinderung.
• In einer Detailanalyse zeigte sich, dass drei der erfassten sechs Aktivitäten besonders einflussreich sind für die Aufrechterhaltung oder Verschlechterung der körperlichen Fitness: Durchführung unbezahlter sozialer und gemeinnütziger Arbeiten, Besuche bei Freunden oder Verwandten, Besuch von Gottesdiensten oder anderen religiösen Veranstaltungen.

Die Forscher können in der Zusammenfassung ihrer Befunde keine eindeutig schlüssige Antwort geben, wie ihre Ergebnisse in medizinischer Hinsicht erklärt werden können. Auch weisen sie darauf hin, dass der Kausalzusammenhang unter Umständen auch in anderer Richtung interpretiert werden kann, nämlich derart, dass Senioren mit guter körperlicher Verfassung auch eher willens und in der Lage sind, sozialen und geselligen Aktivitäten außerhalb ihrer Wohnung nachzugehen. Allerdings machen sie auch noch einmal deutlich, dass die in der Verlaufsstudie gefundenen Einflüsse des Sozialverhaltens auch dann noch Bestand haben, wenn man den Umfang von Sport und Bewegung in der Freizeit mitberücksichtigt.

Kostenloses Abstract: Aron S. Buchman et al: Association Between Late-Life Social Activity and Motor Decline in Older Adults (Arch Intern Med. 2009;169(12):1139-1146)

Gerd Marstedt, 23.9.09


Befragung von Senioren: Auch 70jährige und Ältere fühlen sich überwiegend noch jung

Artikel 1646 Der gerade vom Robert-Koch-Institut (RKI), dem Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA) und vom Statistischen Bundesamt herausgegebene Bericht über "Gesundheit und Alter" stellt fest, dass die im Bericht breit dargelegten "Ergebnisse auf eine Zunahme der Lebenserwartung in Gesundheit" hindeuten und "die Verschlechterung der subjektiven Gesundheit keiner altersinhärenten Gesetzmäßigkeit" folgt. Welche Einstellung ältere Menschen aber zu ihrem Älterwerden und ihrer subjektiven Gesundheit haben und wie aufgeschlossen sie Gesundheitsförderung sehen, findet man erst in einer anderen aktuellen Studie: Die Mehrheit der 950 Teilnehmer einer standardisierten Befragung äußert positive Einstellungen zu Alter und Gesundheit. Basis der Studie war eine repräsentative Zufallsstichprobe von über dreitausend 60-jährigen und älteren Personen eines Hamburger Stadtbezirks. Auftraggeber und potenzieller Nutzer der Ergebnisse war die mit dem Hamburger Landespflegegesetz ins Leben gerufene bezirkliche Gesundheits- und Pflegekonferenz.

Im Einzelnen fühlten sich die durchschnittlich 71,5 Jahre alten Befragten, darunter 58% Frauen, 34% allein Lebende und 5% Pflegebedürftige, zu 69% "jung" oder "noch nicht alt" und das gewünschte kalendarische Lebensalter betrug im Durchschnitt 88 Jahre. Zwei Drittel bezeichneten ihren gesundheitlichen Allgemeinzustand als gut (59%) oder auch ausgezeichnet (8%).
Trotzdem sorgten sich 85% um ihre zukünftige Autonomie, 75% um ihre künftige Gesundheit und jeweils rund ein Drittel der Befragten hatte Sorgen vor Gewalt, finanziellen Problemen oder einem Umzug ins Pflegeheim. Mit Terrorängsten und Vereinsamungsängsten hatte jeder Vierte bis Fünfte der befragten Senioren zu ringen.

Bei den Fragen zu gesundheitsförderlichen Verhaltensweisen gab es ein durchwachsenes Bild: Zwar fühlte sich die Mehrheit der Befragten hierzu gut informiert, aber bei einigen Fragen war der Anteil der Unentschlossenen oder der Personen, die z.B. gezielte Fragen nach ihrem Essverhalten nicht beantworteten, mit bis zu einem Drittel sehr hoch. Zusätzlich gab es eine Reihe "änderungsbedürftiger Einstellungen". 42% verneinten, sich zum Schutz ihrer Gesundheit auszuruhen oder antworteten dazu gar nicht und 46% nahmen nicht die jährliche Grippeschutzimpfung in Anspruch. Je nach Fragestellung besaßen auch relativ viele Befragte eine fatalistische Lebensweise: 63% bejahten, ihre Krankenkasse solle für ihre Gesundheit zahlen und 48% waren der Ansicht, das Schicksal entscheide über ihre Zukunft und sie könnten nichts tun.

Die Einstellung zu Seniorentreffs war zurückhaltend und die Inanspruchnahme eher gering: So kannten oder nutzten sie 51% der Befragten deshalb nicht, weil sie sich als zu aktiv (51%) oder jung einschätzten (42%) oder keine Zeit hatten (21%).
Die Wissenschaftler sehen mit ihrer Befragung eine Reihe von Informationslücken für kommunale Einrichtungen geschlossen und halten sie für eine wichtige Planungsgrundlage - u.a. auch für eine Befragung der gesamten älteren Bevölkerung Hamburgs.

Die Anonymität der Befragung führte zu zwei Mängeln, die zu inhaltlichen Verzerrungen geführt haben könnten: Es gab keine Möglichkeit einer Erinnerung der angeschriebenen Personen ihren Fragebogen auszufüllen und außerdem keine Möglichkeit, die Gründe der eher geringen Teilnahme (Rücklaufquote 29%) zu hinterfragen.

• Zum Aufsatz von Ulrike Dapp et al. (erschienen in der Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, Volume 42, Number 3 / Juni 2009) gibt es kostenlos lediglich ein Abstract: "Im Alter aktiv und gesund leben - Ergebnisse einer repräsentativen Seniorenbefragung in Hamburg"
• Der 2009 in der Reihe "Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes" erschienene 323-seitige Untersuchungsband "Gesundheit und Krankheit im Alter" von Böhm (Statisisches Bundesamt), Tesch-Römer (DZA) und Ziese (RKI) ist komplett und kostenlos als PDF-Datei erhältlich: "Gesundheit und Krankheit im Alter"

Bernard Braun, 23.9.09


Mehr oder weniger körperliche Bewegung nach der Verrentung? Maßgeblich ist die vorherige Aktivität im Berufsleben

Artikel 1633 "Keine Zeit" ist ein häufig geäußertes Argument, wenn es darum geht, aus gesundheitlichen Gründen im Alltag mehr Sport und körperliche Bewegung zu haben. Mit Eintritt in die Rente sollte dieses Argument dann allerdings entfallen. Ob man tatsächlich bei Rentnerinnen und Rentnern solche Verhaltensänderungen feststellen kann, hat eine US-amerikanische Längsschnittstudie jetzt untersucht. Die Analyse erbrachte keine einheitlichen Befunde: Nach einer körperlich anstrengenden Berufstätigkeit sinkt das Ausmaß körperlicher Bewegung, nach einer sitzenden, wenig belastenden Arbeit zeigt sich ein Anstieg.

Die Längsschnitt-Studie basiert auf Daten der US-amerikanischen "Health and Retirement Study", einer 1992 begonnenen Verlaufsstudie, in der eine repräsentative Stichprobe älterer Bürgerinnen und Bürger der Geburtsjahrgänge 1931-1947 mehrere Male im Abstand von zwei Jahren zu Aspekten wie Arbeit und Rente, Gesundheit und Freizeit telefonisch befragt wurden. Berücksichtigt wurden Daten aus den Jahren 1996 bis 2002, kurz vor und kurz nach der Berentung. Die Datenanalysen basieren auf Informationen von etwa 11.500 Studien-Teilnehmern. Fragestellung war: Wie verändert sich der Lebensstil und insbesondere die körperliche Aktivität nach der Verrentung? Zeigen sich hier Unterschiede in Abhängigkeit von der vorherigen Arbeit und insbesondere den dort vorherrschenden körperlichen Belastungen?

Die zentrale abhängige Variable, das Ausmaß körperlicher Aktivität wurde mit folgender Frage erfasst: "Haben Sie in den letzten 12 Monaten zumeist dreimal oder öfter pro Woche Sport getrieben oder anstrengende körperliche Aktivitäten betrieben? Mit anstrengende körperliche Aktivitäten meinen wir Sport, schwere Hausarbeit oder körperlich anstrengende berufliche Aufgaben?" Alle Teilnehmer wurden je nach ihrer Tätigkeit vor der Verrentung einer von zwei Gruppen zugeordnet: Sitzende Arbeit oder körperlich anstrengende Arbeit. Weiterhin in den Telefon-Interviews erfasst und in der Analyse berücksichtigt wurden der Gesundheitszustand, chronische Erkrankungen, das Bildungsniveau, der mit verschiedenen Fragen erfasste materielle Wohlstand, Rasse und Geschlecht.

Zentrale Ergebnisse der "multivariaten" Analyse (in der alle genannten potentiellen Einflussfaktoren zugleich mitberücksichtigt wurden), waren dann:
• Betrachtet man die Gesamtgruppe, so zeigt sich keinerlei Effekt des Renteneintritts auf Veränderungen im Niveau körperlicher Aktivität. Hintergrund dafür ist, dass man in Untergruppen extrem gegenläufige Tendenzen beobachten kann.
• Während Rentnerinnen und Rentner, die früher eine körperlich sehr anstrengende Tätigkeit innehatten, nach Ende der Berufstätigkeit nur noch sehr wenig körperliche Bewegung haben, ist dies bei Gruppen, die früher eine überwiegende sitzende und körperlich nicht anstrengende Tätigkeit ausgeübt haben, genau umgekehrt.
• Unabhängig davon bzw. zusätzlich und verstärkend zeigt sich auch ein Einfluss des materiellen Wohlstands: Bei eher ärmeren Bevölkerungsgruppen sinkt noch einmal das Ausmaß an körperlicher Aktivität. In wohlhabenderen Gruppen zeigt sich kein Effekt.

Dass Rentnerinnen und Rentner, die früher eine körperlich sehr anstrengende Tätigkeit innehatten, nach Ende der Berufstätigkeit nur noch sehr wenig körperliche Bewegung haben, hängt einerseits damit zusammen, dass ihr beruflich veranlasstes (und oft erzwungenes) hohes Aktivitäts-Niveau nun entfällt und dies andererseits nicht kompensiert wird durch freiwillige und in der Freizeit umgesetzte, körperlich anstrengende Beschäftigungen wie Sport oder Gartenarbeit. Umgekehrt gelingt es jedoch vielen früheren Angestellten bzw. Erwerbstätigen mit niedrigen Belastungen im Job mit Eintritt in die Rente, einen körperlich aktiveren Lebensstil zu führen. Woran dies liegt und welche Konzepte zur Gesundheitsförderung geeignet wären, diese besondere Problematik für frühere Arbeiter und materiell weniger gut gestellte Rentner/innen zu lösen, bedarf weiterer Forschungsarbeit.

Zur Studie gibt es kostenlos lediglich ein Abstract: Sukyung Chung, Marisa E. Domino, Sally C. Stearns, Barry M. Popkin: Retirement and Physical Activity: Analyses by Occupation and Wealth (American Journal of Preventive Medicine, Volume 36, Issue 5, May 2009, Pages 422-428)

Gerd Marstedt, 30.8.09


"Vor dem Schlaganfall sind alle gleich" ? Viele ältere Frauen unterschätzen ihr Schlaganfall-Risiko

Artikel 1604 Entgegen landläufigen Erwartungen über das eher gesundheitsbewusste Alltagsverhalten von Frauen sind diese oft unfähig, individuelle gesundheitliche Verhaltensmerkmale auch als Risikofaktoren für einen Schlaganfall zu identifizieren. Frauen unterschätzen ihr eigenes Schlaganfallrisiko und versuchen auch weniger als man vermuten könnte, ihr Verhalten primärpräventiv zu verändern. Da Frauen Risikofaktoren für einen Schlaganfall aufweisen, die sich von denen bei Männern unterscheiden, und auch, weil sie ein höheres Sterblichkeitsrisiko nach einem Schlaganfall haben als Männer, müssen gesundheitserzieherische Strategien sehr frauenspezifisch angelegt sein.

Dies sind die wesentlichen Ergebnisse einer Studie, die an der Universität von Conneticut in den USA mit 805 Frauen im Alter von 50 bis 70 Jahren und mindestens einem bekannten Schlaganfallrisikofaktor durchgeführt wurde. Die untersuchte Frauenkohorte hatte einen hohen Anteil weißer (92%), sozial gut gestellter (33% verdienten mehr als 75.000 $) und hoch qualifizierter (29% hatten einen höheren Schulabschluss) Frauen.

Die Teilnehmerinnen erhielten in der Studie einen fünfteiligen Fragebogen, in dem ihr Wissen über den Schlaganfall, ihre Risikowahrnehmung, die ihnen bekannten Risikofaktoren, ihr Zugang zu Versorgungsangeboten und eine Reihe soziodemographischen Merkmale abgefragt wurden. Für die Gesamtbewertung des Risikobewusstseins und des Umgangs mit ihrem Schlaganfallrisiko waren insbesondere folgende Ergebnisse ausschlaggebend:

• Nur 5% der Frauen mit diagnostiziertem und erfahrenem Vorhofflimmern identifizierten dies als Risikofaktor für einen Schlaganfall. Nur 64% dieser Frauen berichteten über eine Behandlung mit dem dazu in den USA als sinnvoll empfohlenen Wirkstoff Warfarin, der die Blutgerinnung oder Blutverklumpung verhindern hilft. Andere bekannte Risikofaktoren wurden zwar behandelt, aber bei weitem nicht bei allen davon betroffenen Frauen: Rund 87% der Frauen mit Bluthochdruck gaben an, ihn gut zu kontrollieren, 7% der Frauen rauchten noch und 62% der Frauen mit Diabetes hatten einen niedrigen Blutzuckerwert (HbA1c < 6,5%). Fast zwei Drittel der Frauen nahmen täglich Aspirin ein.

• Lediglich 15% der Frauen, die an einer Herzerkrankung litten, dachten dabei an ein Risiko für den Eintritt eines Schlaganfalls.

• Auf einer Zehnerskala ordneten die Frauen ihr wahrgenommenes Schlaganfallrisiko durchschnittlich nur bei 5,7 ein. Damit ist die Wahrnehmung des persönlichen Risikos der Frauen mit erhöhtem Risiko nicht höher als die anderer risikoärmerer Frauen.

• Die befragten Frauen identifizierten aus einer Liste von 6 möglichen Warnzeichen für einen Schlaganfall durchschnittlich 2,7 Faktoren.

• Obwohl 71% der Frauen Schwäche und Benommenheit als Warnsignal angaben, betrachteten nur 34% der Befragten konkret Sichtveränderungen, 32% Kopfschmerzen oder 26% Sinnesverwirrungen als konkrete Warnzeichen. Rund 69% nannten verwirrtes Sprechen als ein Warnsignal.

• Von 11 beeinflussbaren Risikofaktoren gaben die befragten Frauen im Schnitt 3,9 als bekannt an.

• Als Einflussfaktoren der Risikowahrnehmung erwiesen sich in einer multivariaten Analyse vor allem die Sorge, einen Schlaganfall zu erleiden, der eigene hohe Blutdruck und Diabetes und etwas schwächer noch das Erkrankungs-Risiko anderer Frauen. Zu den Faktoren, die in dem multivariaten Modell keine signifikante Rolle spielten, gehören u.a. das Rauchen (mindestens 100 Zigaretten im Lebensverlauf), der Krankenversicherungsschutz und einige körperliche Symptome - darunter auch eine gefährliche Verengung der Halsschlagader (Carotis-Stenose).

• Überraschenderweise besteht bei der Risikowahrnehmung der hier untersuchten Frauen keine Beziehung zum Kontakt mit einem Arzt. Die Wissenschaftlerinnen nehmen an, dass insbesondere Fachärzte, bei denen die Frauen wegen ihrer anderen Erkrankungen in Behandlung sind, das Schlaganfallrisiko nicht ansprechen.

• Fasst man einige Ergebnisse zusammen, ist das Wissen über Schlaganfall bei den Frauen mit dem höchsten Risiko am niedrigsten und die verpassten Gelegenheit für Primärprävention ebenfalls.

• Auch wenn die Wissenschaftlerinnen auf eine Reihe von Grenzen der Verallgemeinerbarkeit ihrer Studie hinweisen (u.a. überdurchschnittlich viele weiße Frauen aus Vorstädten und ein relativ geringer Rücklauf an beantworteten Fragebögen) ist ihr Hinweis auf die Notwendigkeit von gezielten Aufklärungskampagnen über Art und Niveau des Schlaganfallrisikos und entsprechende präventive Maßnahmen für Frauen sehr wichtig. Dazu gehören auch Informationen für Familienmitglieder, die praktische Hinweise auf den Umgang mit akuten, aber verkannten Anzeichen eines Schlaganfalls beinhalten.

Quelle: Von dem siebenseitigen Aufsatz "Perception of risk and knowledge of risk factors in women at high risk for stroke" von JL Dearborn JL und LD McCullough aus der Fachzeitschrift "Stroke" (Stroke 2009;40;1181-1186) ist
- ein Abstract und der
- komplette Text kostenlos erhältlich.

Bernard Braun, 10.7.09


Im mittleren Lebensalter geschieden, verwitwet oder Single? Dann ist im Alter das Alzheimer-Risiko deutlich erhöht

Artikel 1601 Personen, die im mittleren Lebensalter, also etwa mit 50, nicht mit einem Partner zusammen sind, weisen ein deutlich höheres Risiko auf, im späteren Lebensalter (mit 65-79 Jahren) an Demenz zu erkranken. Wer lange verheiratet war oder eine feste Beziehung hatte und dann im mittleren Lebensalter Witwe/r wurde, hat beispielsweise ein fast 8mal so hohes Risiko einer späteren Demenz-Erkrankung. Dies hat jetzt eine methodisch überaus fundierte finnische Verlaufsstudie gezeigt, die bei knapp 2000 Personen über einen sehr langen Zeitraum hinweg (1972 bis 1998) Daten erhoben hat.

Soziale Netzwerke und ein kommunikativer, sozial aktiver Lebensstil, so legen es einige epidemiologische Studien nahe, können aufgrund des intellektuellen und kommunikativen "Trainings" vor Demenz-Erkrankungen schützen. Leider handelte es sich bei den meisten dieser Untersuchungen um retrospektive Studien mit Daten über frühere Lebensbedingungen und Ereignisse. Solche durch Rückschau gewonnenen Befragungs-Daten können jedoch täuschen. Darüber hinaus haben viele Studien nur einen recht kurzen Untersuchungszeitraum von einigen Jahren. Und hier liegt die Schwierigkeit einer eindeutigen Klärung der Kausalität unmittelbar auf der Hand: Waren die Studienteilnehmer anfänglich sozial isoliert und inaktiv und hat dies zur späteren Demenz geführt? Oder waren sie zuvor schon in einem Demenz-Frühstadium und daher nicht in der Lage zu umfangreichen sozialen Aktivitäten?

Die jetzt in der Zeitschrift "British Medical Journal (BMJ)" veröffentlichte Studie basiert auf Stichproben von über 30 Tausend Teilnehmern, die in Finnland für mehrere medizinische Studien zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen untersucht worden sind. Aus diesem Teilnehmerkreis wurde eine Teilstichprobe gewählt, rund 2000 Männer und Frauen, die im Jahr 1972 durchschnittlich etwa 50 Jahre alt waren bzw. mit einer gewissen Streuung auch ein wenig jünger oder älter. Für diese Gruppe und diesen Zeitpunkt lag eine Reihe von Daten vor, die in die spätere Analyse einflossen: Familienstand bzw. feste Partnerschaft, Bildungsniveau, Geschlecht, Rauchverhalten, BMI, Blutdruck, Berufstätigkeit, psychische Störungen.

In Verbindung gesetzt wurden diese Daten mit anderen Informationen, die dann etwa zwei Jahrzehnte später erhoben worden waren, also zu einem Zeitpunkt als die Studienteilnehmer im Durchschnitt etwas älter als 70 waren. Dazu gehörten insbesondere wieder Angaben zum neuen Familienstand, Untersuchungsergebnisse zu psychischen Erkrankungen (darunter kognitive Beeinträchtigungen sowie Alzheimer-Erkrankungen), sowie ferner auch Ergebnisse genetischer Analysen. Als Ergebnis dieser statistischen Analysen zeigte sich dann:

• Insgesamt und über alle Gruppen hinweg gilt die Tendenz: Wer im mittleren Lebensalter einen Partner hat, erkrankt später seltener an Alzheimer und zeigt auch seltener Anzeichen eines Nachlassens kognitiver Leistungen. Bei Singles, Witwern/Witwen und Geschiedenen ist über alle Untergruppen hinweg das Erkrankungsrisiko doppelt so hoch.
• Studienteilnehmer, die schon früh (also etwa mit 50) Witwe oder Witwer wurden, zeigten ein Demenzrisiko das knapp acht mal so hoch lag wie bei anderen, die den Partner nicht frühzeitig durch Tod verloren hatten.
• Bei Hinzuziehung genetischer Faktoren zeigte sich: Witwer, die Träger des APOE3-Gens waren (ein Genvariante, die für die Entstehung von Alzheimer mitverantwortlich gemacht wird) wiesen sogar ein 25mal so hohes Erkrankungsrisiko auf.
• Recht deutlich zeigen sich Geschlechtsunterschiede, ganz gleich, welche Gruppen man betrachtet: Im mittleren und auch im späteren Alter allein, zunächst mit Partner und dann allein. In allen Fällen lag das Risiko einer späteren Alzheimer-Erkrankung bei Männern, die im mittleren Alter allein waren, deutlich höher (zum Teil fast doppelt so hoch) wie bei Frauen.
• Vergleichbare Befunde wie für das Risiko der Alzheimer-Erkrankung ergaben sich auch für kognitive Beeinträchtigungen, die mit Testverfahren gemessen worden waren.

Die Befunde hatten auch in multivariaten Analysen Bestand, wenn der Einfluss anderer Faktoren (Bildungsniveau, Berufstätigkeit, Geschlecht, Rauchen, BMI, Blutdruck usw.) mitberücksichtigt wurde. Zur Erklärung ihrer Befunde diskutieren die Wissenschaftler ein Modell "sozio-genetischer Verletzbarkeit": Danach bewirkt der vorzeitige Verlust eines Partners Stresserfahrungen und Gefühle von Trauer und Einsamkeit, die ihrerseits wiederum das Immunsystem negativ beeinträchtigen und so die Entwicklung von Demenzerkrankungen vorantreiben.

Volltext der Studie: Krister Hakansson et al: Association between mid-life marital status and cognitive function in later life: population based cohort study (BMJ, Published 2 July 2009, doi:10.1136/bmj.b2462)

Gerd Marstedt, 8.7.09


Jüngerer Partner = Jungbrunnen oder Sterberisiko? Es kommt aufs Geschlecht an!

Artikel 1569 Die talkshowtaugliche Floskel "die Menschen leben immer länger" verbirgt, so die sozialepidemiologische Forschung, eine Menge Ungleichheiten. Darunter fallen die Unterschiede zwischen städtischer und ländlicher, armer und reicher, gebildeter und ungebildeter sowie auch der Unterschied zwischen verheirateten oder mit Partner lebenden und alleinstehenden Personen.

Etwas, was trotz des Hinweises auf die Bedeutung von Partnerschaft im Allgemeinen in dieser differenzierenden Reihe bisher nicht vorkam, ist der Altersabstand zwischen Partnern.

Eine aktuelle Studie aus dem renommierten Rostocker "Max-Planck-Instituts für demografische Forschung" mit umfänglichen Personenstandsdaten aller Einwohner Dänemarks zwischen 1990 und 2005 schließt diese Wissenslücke und fördert Interessantes zutage.

Die Forschungsfrage, ob der Altersabstand zum Ehepartner die Lebenserwartung von Frauen und Männern beeinflusst und dies sogar unterschiedlich, wurde durch vielfache Vergleiche der relativen Sterberisiken von Paaren in verschiedenen Altersgruppen mit einer Referenzaltersgruppe des gleichen Geschlechts ermittelt, die mit einem praktisch gleichaltrigen Partner zusammen leben.

Die Ergebnisse sehen so aus:

Männer, die mit einer jüngeren Partnerin zusammen leben, profitieren davon. Je größer der Altersabstand zur Partnerin ist, desto höher ist ihre Lebenserwartung. Wenn Männer 7 bis 9 Jahre älter sind, haben sie ein 11% geringeres Sterberisiko als Männer gleichen Alters mit einer gleichaltrigen Partnerin. In der Gruppe mit dem maximalen Abstand von 15 bis 17 Jahren ist das Sterberisiko vergleichsweise um 19% niedriger. Ob der "Gewinn" noch größer wird, wenn der Altersabstand noch größer ist, ist mangels entsprechender Untersuchungen nicht bekannt.
• Wenn Männer eine ältere Partnerin haben, steigt dagegen ihr Sterberisiko und zwar bei einem Altersabstand von 7 bis 17 Jahren um rund 22%.

• Bei Frauen wirken sich dagegen Altersabstände systematisch anders aus: Sie haben das geringste Sterberisiko, wenn sie und ihr Partner gleichaltrig sind. Ist ihr Partner jünger steigt ihr Sterberisiko und zwar um rund 20%, wenn ihr Partner 7 bis 9 Jahre jünger ist - wiederum im Vergleich mit einer Partnerschaft in der Frau wie Mann in etwa gleich alt sind.
• In Partnerschaften eines jüngeren Manns mit einer älteren Frau haben zumindest in Dänemark beide Partner ein erhöhtes Sterberisiko.

Unklar bleibt in der Studie, wie die beobachteten und teilweise gegenläufigen Effekte und vor allem die für die Lebenserwartung von Frauen viel gravierenderen Auswirkungen einer Partnerschaft mit einem jüngeren Mann zu erklären sind. Mit Sicherheit spielen dabei eine Menge sozialer, psychologischer und geschlechtsspezifischer Faktoren, Normalitätsnormen und Vorurteile eine Rolle. Zu denken ist dabei z.B. daran, dass die vermutete Beziehung des gestandenen SPD-Vorsitzenden Müntefering zu einer 40 Jahre jüngeren Frau unter dem Etikett "toller Hecht" durchaus die Lebensfreude Münteferings fördern kann, während schon die Beziehungen der prominenten 50-jährigen Entertainerin Madonna mit wesentlich jüngeren Männern naserümpfend als "peinlich" bewertet werden. Frauen mit geringerem Selbstwertgefühl als Madonna könnten darunter leiden - was sich möglicherweise auf ihre Lebenserwartung auswirkte. Wenn es sich nicht um prominente Partner handelt, hält es die Studie aus Rostock für möglich, dass Partnerschaften zwischen einem jüngeren Ehemann und einer älteren Ehefrau so stark "unter Druck" geraten, dass dadurch ein negativer Einfluss auf die Lebenserwartung beider entsteht.

Eine Zusammenfassung unter der Überschrift "Ein jüngerer Partner - ein längeres Leben?" der demnächst in der Zeitschrift "Demography" erscheinenden Studie "How does the age gap between partners affect their survival?" von Sven Drefahl ist kostenlos in der neuesten Ausgabe (Jahrgang 6, Nr. 1/2009) des vierteljährlich erscheinenden und uneingeschränkt empfehlenswerten und bestellbaren Newsletter "Demografische Forschung Aus erster Hand" des Max-Planck-Instututs für demografische Forschung, des Rostocker Zentrums zur Erforschung des demografischen Wandels und des Vienna Institute of demography erhältlich.

Bernard Braun, 28.5.09


Literaturstudie widerlegt weit verbreitete Vorurteile über die Einsamkeit älterer Generationen

Artikel 1549 Das Bild älterer Menschen in der Öffentlichkeit ist auch heute noch von vielen Vorurteilen und Stereotypen geprägt. In einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage in Schweden stimmten 90 Prozent der Aussage zu, dass Rentner und Pensionäre durchweg an Einsamkeit leiden und über die Hälfte war der Meinung, dass diese Bevölkerungsgruppen sich meist langweilen und mit ihrem Leben unzufrieden sind. Tatsächlich, so hat eine jetzt in der Zeitschrift "European Journal of Ageing" veröffentlichte Literaturstudie gezeigt, treffen diese Annahmen über ältere Bürgerinnen und Bürger kaum in dieser Form zu.

Was das Gefühl der Einsamkeit anbetrifft, so zeigt eine Auswertung von etwa 40 internationalen Studien folgende Ergebnisse. In den Altersgruppen 25-44, 45-64 und 65-79 trifft das Gefühl der Einsamkeit jeweils für etwa 25% zu. Deutlich höhere Quoten zeigen sich bei 15-24jährigen und ebenso bei über 80jährigen, dort sind es jeweils 40-45 Prozent, die sich häufiger einsam fühlen. Das Gefühl sozialer Isolation ist also nicht für Ältere generell charakteristisch, sondern nur für die Allerältesten (ab 80) und dieses Gefühl ist genau so häufig vorzufinden bei den jüngsten Bevölkerungsgruppen.

Lars Tornstam, der Autor der Literaturstudie ist auch der Frage nachgegangen, ob Einsamkeit sich unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen häufiger findet. So könnte man von der Hypothese ausgehen, dass in südeuropäischen Ländern mit starken familiären Bindungen Gefühle sozialer Isolation deutlich seltener auftreten als in "individualistischen" Gesellschaften, wie zum Beispiel in Skandinavien. Auch hier decken jedoch Ergebnisse internationaler Umfragen ein Vorurteil auf. Der Anteil von Bürgerinnen und Bürgern, die sich öfter einsam fühlen, beträgt
• in Dänemark: unter 5%
• in Finnland, Deutschland, Niederlande, United Kingdom: 5-9%
• in Belgien, Frankreich, Irland, Luxemburg, Spanien: 10-14%
• in Italien, dem früheren Jugoslawien: 15-19%
• in Griechenland, Portugal: über 19%
Damit wird unter dem Strich ein Nord-Süd-Gefälle deutlich, was die Verbreitung des Einsamkeits-Gefühls betrifft, allerdings genau entgegengesetzt zur vermuteten Richtung. Tornstam erörtert hier verschiedene Hypothesen zur Erläuterung dieses Sachverhalts, kommt jedoch zu keinem schlüssigen Befund.

Eine dritte Annahme schließlich, die durch die Literaturstudie widerlegt wird, geht davon aus, dass das Gefühl der Einsamkeit sich im historischen Zeitablauf vergrößert hat bzw. heute häufiger verbreitet ist als in früheren Jahrzehnten. Tatsächlich zeigen die seit dem Jahr 1980 hierzu heran gezogenen Studien jedoch: Entweder zeigen sich keine empirischen Veränderungen oder sie deuten in geringem Umfang das Gegenteil an, nämlich eine sinkende Quote derjenigen, die sich einsam fühlen.

Die Studie im Volltext: Pearl A. Dykstra: Older adult loneliness: myths and realities (European Journal of Ageing, published online 04 April 2009, 10.1007/s10433-009-0110-3)

Die zitierte schwedische Bevölkerungsumfrage deckt eine Vielzahl weiterer Stereotype und Vorurteile über ältere Mitbürger/innen auf: Lars Tornstam: Stereotypes of Old People Persist: A Swedish "Facts on aging quiz" in a 23-year comparative perspective (International Journal of Aging in Later Life, 2007, 2:33-59)

Gerd Marstedt, 5.5.09


Todkranke, aber tiefreligiöse Krebspatienten wünschen sich am Lebensende öfter aggressive, lebensverlängernde Maßnahmen

Artikel 1513 Gläubigen Christen und tiefreligiösen Menschen anderen Glaubens, so könnte man vermuten, fällt es leichter, den nahenden Tod zu akzeptieren - weil sie das Sterben als Ausdruck göttlichen Willens wahrnehmen oder weil sie den Tod nur als Übergang ins Himmelreich interpretieren. Tatsächlich scheinen jedoch gläubige Menschen sich sehr viel mehr als Ungläubige an das diesseitige, irdische Leben zu klammern. Eine jetzt veröffentlichte US-amerikanische Studie jedenfalls hat gezeigt, dass todkranke Krebspatienten, die ihre Krankheit durch Religion und Frömmigkeit zu bewältigen trachten, sehr viel häufiger als andere auch aggressive, lebensverlängernde Maßnahmen wie Wiederbelebung oder künstliche Beatmung wünschen und in der Klinik auch erhalten.

Basis der Studie, die jetzt in der Zeitschrift "Journal of the American Medical Association (JAMA)" veröffentlicht wurde, sind Interviews und Fragebogenerhebungen bei einer Gruppe von 345 Patienten mit Krebs in fortgeschrittenem Stadium. Alle wurden um ihre Teilnahme gebeten zwischen den Jahren 2003 und 2007. Voraussetzung dafür waren mehrere Bedingungen unter anderem eine Krebsdiagnose in fortgeschrittenem Stadium (Metastasen) und ein Fortschreiten der Krankheit nach einer Chemotherapie.

Zu Beginn der Studie wurden dann von den Patienten und zusätzlich auch einem Angehörigen vielfältige Informationen erfasst, darunter sozio-demographische Daten (wie Alter, Geschlecht, Bildung, Religionszugehörigkeit) und subjektive Angaben zum Gesundheitszustand. Darüber hinaus wurde aber auch in Fragebögen versucht, den Bewältigungsstil der Betroffenen im Umgang mit ihrer Krankheit näher zu bestimmen. Eine besonders ausführlich erfasste Bewältigungsform war das "Religious Coping", das durch eine Reihe von Fragen erfasst wurde nach dem Ausmaß des Gottvertrauens, der religiösen Sicherheit, der Interpretation von Schicksalsschlägen, ihrer Glaubens-Gewissheit.

Protokolliert wurde dann, ob die Studienteilnehmer in der letzten Lebenswoche aggressive und lebensverlängernde Therapiemaßnahmen bekommen hatten oder nicht. Dabei zeigte sich in einer multivariaten Analyse: Krebspatienten mit einem sehr hohen Grad der Religiosität und Gottgläubigkeit erhielten (im Vergleich zu einer Gruppe "Ungläubiger") 2,9mal so oft eine intensive lebensverlängernde Therapie, und zwar Beatmung (2,8mal häufiger), Wiederbelebungsmaßnahmen (3mal häufiger), mechanische Beatmung (2,8mal häufiger). In die Analyse einbezogen waren sozialstatistische Merkmale wie das Alter, aber auch andere, nicht-religiöse Formen der Krankheitsbewältigung (wie z.B. intensives Verlangen nach emotionaler Unterstützung). Eine schlüssige und plausible Interpretation dieser Befunde liefern die Forscher (noch) nicht, wollen dieser Frage aber in weiteren Studien nachgehen.

Hier ist ein Abstract der Studie: Andrea C. Phelps u.a.: Religious Coping and Use of Intensive Life-Prolonging Care Near Death in Patients With Advanced Cancer (JAMA. 2009;301(11):1140-1147)

Gerd Marstedt, 19.3.09


Kukidents! Grufties! Wer in der Jugend negative Altersstereotype pflegt, erkrankt später öfter an Herz-Kreislauferkrankungen

Artikel 1497 Vorbei die Zeiten, da Camillo Felgen anno 1961 in einem Schlager noch seine "Ehrfurcht vor schneeweißen Haaren" besang. Sind Begriffe wie "Uhus" (unter Hundert) oder "Üfüs" (über Fünfzig) noch nicht sonderlich despektierlich, so deuten die Wortschöpfungen "Kukidents" und "Grufties" auf einen deutlichen Wertewandel hin. Besonders negativ ausgeprägte Altersstereotype, so hat eine Studie der Yale School of Public Health aus Baltimore jetzt gezeigt, sind aber unter Umständen nicht ohne gesundheitliche Nebenwirkungen im höheren Lebensalter. Männer und Frauen im Alter von 18-49 Jahren, die man seit dem Jahr 1968 im Rahmen einer Längsschnittstudie ("Baltimore Longitudinal Study of Aging") kontinuierlich untersuchte, waren später sehr viel häufiger von Herz-Kreislauf-Erkrankungen betroffen, wenn sie in einer Befragung zu Beginn der Studie besonders negative Urteile über das Alter und Ältere abgegeben hatten. Dieser Zusammenhang ließ sich auch dann bestätigen, wenn man in multivariaten Analysen eine Vielzahl anderer Einflussfaktoren für Erkrankungen mitberücksichtigte.

Knapp 400 Männer und Frauen im Alter von 18 bis 49 Jahren, die alle noch nicht von einer Herz-Kreislauferkrankung betroffen waren, wurden für diese Studie aus einer größeren Längsschnitt-Untersuchung ausgewählt. Alle hatten zu irgendeinem Zeitpunkt seit dem Jahr 1968 auch in einem Fragebogen Auskunft gegeben über ihre Krankheitsgeschichte und ihr Gesundheitsverhalten, ihr Bildungsniveau, Einkommen und weitere sozialstatistische Merkmale. Darüber hinaus waren verschiedene medizinische Untersuchungen bei ihnen durchgeführt worden (Blutdruck, Cholesterin usw.) und schließlich hatten sie in einem Fragebogen auch ihre Meinung über das Alter und Ältere kundgetan. Diese Einstellung wurde anhand von fünf Aussagen erfragt, zu denen man jeweils verschiedene Grade der Zustimmung oder Ablehnung ankreuzte: Es läuft schlechter, wenn man älter wird; Ich habe jetzt genau so viel Elan wie letztes Jahr; Man ist im Alter zunehmend weniger nützlich; Ich bin jetzt genau so glücklich wie ich es früher war; Wenn man älter wird, ist vieles besser als man früher gedacht hat.

Bei den Teilnehmern wurde dann im Zeitraum 1968 bis 2007 kontrolliert, ob Herz-Kreislauf-Erkrankungen auftraten. Es gab insgesamt 89 solcher Ereignisse wie Herzinfarkt oder Schlaganfall. Es zeigte sich dann, dass diese Erkrankungen umso häufiger auftraten, je negativer das Altersbild der Teilnehmer früher gewesen ist. So hatten innerhalb eines Zeitraums von 30 Jahren nur 13 Prozent derjenigen mit einem positiven Altersbild ein Herz-Kreislauf-Ereignis, aber rund doppelt so viele (25 Prozent) derjenigen mit einem ausgeprägt negativen Altersstereotyp. Dieser Zusammenhang blieb auch bestehen, wenn eine multivariaten Analyse durchgeführt wurde, bei der eine Vielzahl weiterer, auch denkbarer Einflussfaktoren mitberücksichtigt wurde: Alter, Geschlecht, Bildung, Familienstand, Body Mass Index, Rauchen, Depressivität, Selbsteinschätzung des Gesundheitszustands, chronische Erkrankungen und andere.

Die Wissenschaftler diskutieren ihre Befunde nur sehr kurz, so dass auch unklar bleibt, wie sich der Zusammenhang zwischen Altersbild und späterer Gesundheit erklären lässt. Ein Erklärungsansatz, wenngleich nicht der einzige, wurde schon in einer früheren Studie der Forschungsgruppe entdeckt: Wer ein negatives Bild vom Alter hat, zeigt auch häufiger gesundheitlich riskante Verhaltensweisen wie wenig Sport und körperliche Bewegung, ungesunde Ernährung. vgl. Becca R. Levy, Lindsey M. Myers: Preventive health behaviors influenced by self-perceptions of aging (Preventive Medicine, Volume 39, Issue 3, September 2004, Pages 625-629) Wie es scheint, würde ein negatives Altersbild bedeuten: Vom Alter erwarte ich ohnehin nur wenig Gutes, dann kann ich jetzt im jüngeren Alter auch ohne Rücksicht auf meine Gesundheit leben.

Die neuere Studie ist in der Zeitschrift "Psychological Science" online vorab veröffentlicht. In Kürze dürfte dazu auch ein kostenloses Abstract verfügbar sein: Becca R. Levy u.a.: Age Stereotypes Held Earlier in Life Predict Cardiovascular Events in Later Life (Psychological Science, Published Online: 13 Feb 2009, doi: 10.1111/j.1467-9280.2009.02298.x)

Gerd Marstedt, 25.2.09


Medikalisierung vs. Kompression: Künftiger Anstieg der Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben im Alter deutlich überschätzt.

Artikel 1490 Nach mehreren klaren Relativierungen der auch in den USA dramatisierend geführten Debatte - "die demographische Katastrophe" - über unerwünschte gesundheitliche und ökonomische Auswirkungen des Altwerdens und der relativen Zunahme älterer Menschen, liegt mit einem achtseitigen Aufsatz des Essener Gesundheitsökonomen Stefan Felder nun auch aus deutschen Landen ein empirisch gut begründeter Einspruch gegen den Mainstream der Medikalisierungspropheten vor.

Die beiden Hypothesen stammen aus einer seit einiger Zeit geführten Debatte über den Zusammenhang von Altwerden und Älterwerden mit Morbidität und Gesundheitsversorgungs- wie Pflegekosten. Die "Medikalisierungshypothese" sieht durch die höhere Lebenserwartung auch die Anzahl der kranken Jahre oder multimorbid überlebenden Personen und damit die Pro-Kopf-Ausgaben wachsen, die "Kompressionshypothese" dagegen sieht die Anzahl der beschwerdefreien Jahre wachsen und die Gesundheitsausgaben erst am Lebensende oder im letzten Lebensjahr besonders wachsen. Je nachdem welcher Hypothese man folgt, wird die an sich erfreuliche Verlängerung der Lebenszeit als Katastrophe oder Gewinn gesellschaftlicher Lebensqualität dargestellt.

Während also insbesondere in den USA die Debatte zunehmend (in Fußballbegriffen steht es dort 4:1 für die Kompressionshypothese) von empirischen Erkenntnissen zugunsten der "compression of morbidity" bestimmt wird, hing die allemal zu Überdramatisierungen neigende deutsche Szene eher noch allen Varianten der Medikalisierung und erdrückenden Morbiditätslast des Alters nach.

Der bereits im Oktober 2008 erschiene Aufsatz von Stefan Felder liefert aber die folgenden Gegenargumente:

• Auch er hebt den von ihm bereits vor Jahren mit Krankenversicherungsdaten aus der Schweiz gewonnenen Trend der Konzentration der Gesundheitsausgaben (mit Pflegekosten) zu Beginn und am Ende des Lebens hervor.
• Der Versuch das Leben zu verlängern steigert die Ausgaben für medizinische Versorgung in der Regel im letzten Lebensjahr stark. Sie betragen mehr als das Zehnfache der Ausgaben für die in diesem Jahr überlebenden Personen.
• Trotzdem sinken die Gesundheitsausgaben für über 65-Jährige am Lebensende mit zunehmendem Alter. In einer deutschen Untersuchung fand sich folgender Beleg für diese Dynamik: Die Zahl der im letzten Lebensjahr verbrachten Tage im Krankenhaus lag zwischen dem 55. und 65. Lebensjahr am höchsten und sank danach mit zunehmendem Alter. Dahinter vermutet man, dass Ärzte und Patienten in jüngerem Alter eher bereit sind, alle medizinischen Maßnahmen auszuschöpfen als in höheren Lebensjahren bzw. der Nähe zu einem "natürlichen" Sterbealter.

Die Folgen dieser Trends sehen nach Felder völlig anders aus als die Debatte über die Bedeutung der Alterung für die Finanzierungszukunft des Gesundheitssystems erwarten lässt:

• "Die demografische Alterung hat nur einen schwachen Einfluss auf die Gesundheitsausgaben einer Bevölkerung." Entscheidender ist die Nähe zum Tod.
• "Es gibt kaum empirische Evidenz, die für die Gültigkeit der Medikalisierungsthese spricht". Felder verweist dabei auch auf Berechnungen mit Daten des Mikrozensus für Deutschland, nachdem jüngere Alterskohorten nicht nur länger lebten, sondern auch einen "Zugewinn an Lebensjahren in guter Gesundheit erfuhren." Bereits im "Dritten Altenbericht der Bundesregierung" aus dem Jahr 2000 hieß es dazu auf der Basis der damals und derzeit bestmöglichen empirischen Daten u.a.: "Für Deutschland hat Dinkel auf der Grundlage der Mikrozensusdaten 1978-1995 die Entwicklung des - subjektiven - Gesundheitszustands im Alter und die Verlängerung der ferneren Lebenserwartung in Gesundheit in der Abfolge der Geburtsjahrgänge 1907, 1913 und 1919 untersucht (Dinkel 1999). Je nach Kohorte wurde dabei die Zeit zwischen dem 60. und 89. Lebensjahr betrachtet. Die Ergebnisse dieser Untersuchung offenbaren eine merkliche Verbesserung des Gesundheitszustands auch im höheren Alter und einen absoluten und relativen Rückgang der in Krankheit verbrachten Lebensjahre der Seniorinnen und Senioren. Dinkels Ergebnisse ... legen nahe, dass zumindest in den letzten Dekaden die "gewonnenen" Altersjahre auch einen - sogar überproportionalen - Gewinn an gesunden Lebensjahren mit sich brachten."
• Auch für eine von Felder überprüfte so genannte Status-quo-Hypthese findet sich "keine empirische Bestätigung". Diese Hypothese meint, "dass altersspezifische Ausgaben nur von den Fortschritten der medizinischen Technik abhängen."
• Die Kompressionshypothese habe dagegen eine "feste empirische Basis".

Der Aufsatz "Im Alter krank und teuer? Gesundheitsausgaben am Lebensende" ist in Heft 4 des Jahrgangs 2008 der Beilage "Gesundheit und Gesellschaft-Wissenschaft (GGW)" einer Verlagsbeilage der Zeitschrift "Gesundheit+Gesellschaft" des Wissenschaftlichen Institus der Ortskrankenkassen (WIdO) erschienen und kostenlos komplett erhältlich.

Bernard Braun, 15.2.09


Gesundheit, Altern und Ruhestand in Europa: Erste Ergebnisse der SHARE-Studie

Artikel 1424 Die SHARE-Studie (Survey of Health, Ageing, and Retirement in Europe) hat über 40.000 Personen im Alter über 50 Jahren zu ihrer Gesundheit und wirtschaftlichen Situation, zu sozialen und familiären Beziehungen befragt. Einbezogen wurden Ältere unter anderem in Österreich, Deutschland und der Schweiz sowie weiteren 12 Ländern in Europa. Über 1.000 Wissenschaftler haben bereits auf Grundlage der Daten der ersten Welle eine Fülle von Forschungsergebnissen erzielt. Auf der Homepage des Projekts werden einige dieser Befunde jetzt vorgestellt. So zeigt sich beispielsweise im Bereich Gesundheit:

• Nordeuropäer sind gesünder und reicher, aber die Menschen im Süden leben länger. Am zufriedensten mit ihrer Gesundheit sind die Dänen, gefolgt von den Schweden und Schweizern.
• Wie gesund Männer und Frauen in Europa leben, hängt überall stark von Einkommen und Ausbildung ab. Befragte mit einem niedrigen Bildungsabschluss bewegen sich wesentlich seltener und leiden häufiger unter Gewichtsproblemen als Gleichaltrige mit einem höheren Schulabschluss. In allen Ländern sind Männer deutlich häufiger übergewichtig als Frauen.
• In einigen Ländern stellt Armut im Alter noch immer ein ernst zu nehmendes Problem dar. Im Süden müssen Personen über 50 generell mit weniger Einkommen als im Norden auskommen. Allerdings ergibt sich ein positiveres Bild, wenn etwa der Besitz eines eigenen Hauses mitberücksichtigt wird. Finanzielle Not wird außerdem oft durch die Nähe zur Familie gelindert. Als wichtiger Schutz vor Armut erweist sich das Zusammenleben mit Kindern - nicht nur in einem Haushalt, sondern auch in getrennten Wohnungen innerhalb eines Hauses. Dies betrifft nicht nur Senioren in Südeuropa, sondern auch in Deutschland und Österreich.
• Das Renteneintrittsalter ist in Europa sehr unterschiedlich. Der Faktor Gesundheit scheint dabei eine geringere Rolle zu spielen, als allgemein angenommen wird. Eine große Bedeutung kommt hingegen Unterschieden im Renten- und Sozialsystem zu. In Ländern wie Österreich oder Frankreich, in denen die Frühverrentung finanziell gefördert wird, nutzen Arbeitgeber und Arbeitnehmer diese Möglichkeit auch verstärkt.
• Die Ergebnisse von "50+ in Europa" zeigen außerdem, wie wichtig Zufriedenheit am Arbeitsplatz ist. Zufriedene Arbeitnehmer arbeiten länger. Auch Eigenverantwortung und Anerkennung im Beruf fördern ein längeres Arbeitsleben. Schlechte Bedingungen am Arbeitsplatz gehen dagegen häufig mit Gesundheitsproblemen und einem frühen Renteneintritt einher.

Die Daten der zweiten Erhebungswelle des Survey of Health, Ageing, and Retirement in Europe (SHARE) sind ab sofort für Wissenschaftler in der ganzen Welt kostenlos, via Download, zugänglich. SHARE reagiert damit auf die Aufforderung des Europäischen Rats, eine systematische Datenbasis für die empirische Alternsforschung in Europa aufzubauen. SHARE enthält Umfragedaten zur Gesundheit, zur wirtschaftlichen Situation, und zu sozialen und familiären Beziehungen von mehr als 40.000 Personen ab einem Alter von 50 Jahren.

• Homepage: SHARE - Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe
Download erster Untersuchungsergebnisse, einzelne Kapitel, englisch
Download Gesamtbericht aller Kapitel, englisch
"50+ in Europa" - Erste Ergebnisse im Überblick, deutsch

Gerd Marstedt, 28.11.08


Demenz: Weder omnipräsent noch unvermeidbar - Hochbetagte Frauen erkranken häufiger an Demenz, gut ausgebildete weniger!

Artikel 1284 Demenz wird in der Mehrzahl der öffentlichen Diskurse über die gesundheitlichen Risiken der längeren Lebenserwartung als eine scheinbar unvermeidbare biologische Folge "des" Alterns dargestellt und entwickelt auch daher ihre bedrohliche Kraft.

An dieser Allgegenwärtigkeit und Unvermeidbarkeit waren schon immer Zweifel berechtigt. Eine gerade veröffentlichte Studie über die Häufigkeit der Demenz unter Hochbetagten, also der über 90 Jahre alten US-AmerikanerInnen, erlaubt es von ihrer TeilnehmerInnenanzahl her zum ersten Mal die Berechtigung solcher Zweifel zu überprüfen und zu quantifizieren.

In dem zuerst am 2. Juli 2008 online in der Zeitschrift "Neurology" veröffentlichten Aufsatz "Prevalence of dementia after age 90. Results from The 90+ Study" von M. M. Corrada, R. Brookmeyer, D. Berlau, A. Paganini-Hill und C. H. Kawas finden sich u.a. folgende Ergebnisse:

• Von 911 Senioren, die 90 Jahre oder älter waren, und in der so genannten "90+-Study", einer der weltweit größten Befragungsstudien unter Hochbetagten untersucht wurden, litten 375 an altersbedingten Demenzkrankheiten, bei denen eines der Hauptsymptome Gedächtnisverlust ist. Frauen machen rund 75% der Bevölkerung dieses Alters aus.
• Frauen über 90 Jahre erkranken häufiger an Demenz als gleichaltrige Männer. Insgesamt lag der Anteil von dementen Personen unter den über 90-jährigen Frauen bei 45 %, der von gleichaltrigen Männern "nur" bei 28%. Wenn Männer aber an Demenz erkranken, leben sie wesentlich kürzer.
• Im Alter von 65 bis 85 steigt die Wahrscheinlichkeit, an Demenz zu erkranken, sowohl für Männer als auch für Frauen rapide an. Während nur etwa 2 % der 65- bis 69-Jährigen an Demenz leiden, steigt die Zahl bei den 85- bis 89-Jährigen auf über 20 % an.
• Bei Frauen verdoppelt sich die Wahrscheinlichkeit für Demenz ab dem 90. Lebensjahr alle fünf Jahre, nicht jedoch bei Männern. Ob die Verteilung der Krankheit in dieser Altersklasse geschlechtsbedingt ist, oder ob Frauen einfach nur länger mit dieser Art von Krankheit überleben können, ist nach Auffassung von Corrada et al. noch genauer zu klären.
• Außerdem fanden die Forscher heraus, dass Frauen mit einem hohen Bildungsstandard zudem ein um 45 % geringeres Risiko für Demenz als schlechter ausgebildete Frauen haben. Dieser Effekt höherer Bildung ist aber interessanterweise bei den gleichaltrigen Männern nicht zu entdecken.

Zur Möglichkeit, das Auftreten von Demenz im Alter zu vermeiden oder zumindest durch geeignete Mittel den Zeitpunkt der Inzidenz von Demenz hinauszuschieben, gab es aber bereits mehrfach empirische Hinweise.

So kam beispielsweise der schon vor einigen Jahren auf der Basis einer langjährigen Beobachtung des Krankheitsgeschehens von 18.766 an der "Nurses' Health Study" beteiligten 70-81-jährigen US-Amerikanerinnen verfasste und in der Fachzeitschrift JAMA (JAMA, September 22/29, 2004—Vol 292, No. 12: 1454-1461 publizierte Forschungsbericht "Physical Activity, Including Walking, and Cognitive Function in Older Women" von Jennifer Weuve, Jae Hee Kang, JoAnn E. Manson, Monique M. B. Breteler, James H. Ware und Francine Grodstein zu folgendem zentralen Befund:

"We found that regular physical activity was associated with less cognitive decline. On almost all the cognitive measures higher levels of activity were associated with less cognitive decline, and aside from category fluency, these trends were significant at the P 0,001 level."

Zum neun Seiten umfassenden Aufsatz "Prevalence of dementia after age 90. Results from The 90+ Study" gibt es kostenfrei lediglich ein Abstract.

Der Aufsatz "Physical Activity, Including Walking, and Cognitive Function in Older Women" kann kostenfrei in voller Länge heruntergeladen waren.

Bernard Braun, 4.7.2008


Ältere US-Bürger mit intensiven sozialen Kontakten weisen einen deutlich schwächeren Gedächtnisverlust auf

Artikel 1278 Seniorinnen und Senioren, die häufiger soziale Kontakte pflegen, mit Nachbarn, Freunden oder in einem Verein, weisen einen deutlich geringeren Abbau der altersbedingt nachlassenden Gedächtniskapazität auf im Vergleich zu eher isoliert lebenden Älteren. Dieses Ergebnis einer über 6 Jahre dauernden Langzeitstudie bei fast 17 Tausend Männern und Frauen im Alter über 50 wurde jetzt in der Zeitschrift "American Journal of Public Health" veröffentlicht.

Schon frühere Studien hatten Hinweise ergeben, dass fehlende soziale Kontakte mit Erkrankungen wie Alzheimer oder Demenz im Zusammenhang stehen könnten. Eine Forschungsgruppe an der Harvard School of Public Health (Boston, USA) führte nun jedoch erstmals im Rahmen einer großen repräsentativen Stichprobe älterer US-Amerikaner eine Studie durch, die diesen Zusammenhang im Längsschnitt-Vergleich analysierte. Insgesamt viermal wurden die 16.638 Männer und Frauen in den Jahren 1998 bis 2004 befragt.

Dabei wurde neben sozialstatistischen Merkmalen besonders das Sozialverhalten in einem Fragebogen untersucht. Für häufige Kontakte mit Nachbarn, Freunden, Verwandten oder Arbeitskollegen gab es dabei dann ebenso Punkte wie für die Mitarbeit in einem Verein, einer Kirche oder Partei oder für andere ehrenamtliche Tätigkeiten. Jeder Studienteilnehmer erhielt dann 0-5 Punkte, je nachdem, wie intensiv seine sozialen Kontakte ausfielen. Darüber hinaus wurden auch die Gedächtnisleistungen bei diesen Erhebungen geprüft. Nach dem Vorlesen von 10 Wörtern sollten diese wiederholt werden, einmal direkt nach dem Vorlesen und noch einmal 5 Minuten später, nachdem man abgelenkt wurde und andere Fragen beantworten musste.

In der statistischen Analyse zeigte sich dann.
• Der durchschnittliche Punktwert für die Gedächtnisleistungen verschlechterte sich innerhalb des sechsjährigen Untersuchungszeitraums und sank in der Gesamtgruppe im Durchschnitt von 11,0 Punkten im Jahren 1998 auf 10,0 Punkte 2004.
• Personen, die zu Beginn der Studie ein höheres Maß an Sozialkontakten hatten, wiesen dabei jedoch einen erheblich verlangsamten Abbau der Gedächtnisleistungen auf.
• Bei jener Gruppe mit den geringsten Kontakten war die Verschlechterung der Gedächtnisleistungen doppelt so groß wie bei der Gruppe mit den meisten Kontakten.
• Am stärksten zeigte sich dieser Zusammenhang für Studienteilnehmer mit einer niedrigen Schulbildung.
• In der Analyse berücksichtigt wurden auch andere Faktoren, die für einen Gedächtnisverlust maßgeblich sein können, wie insbesondere Gesundheitszustand und Erkrankungen.

Zwar ist es grundsätzlich möglich, diskutieren die Wissenschaftler ihre Befunde, dass der Verursachungsmechanismus auch umgekehrt verläuft und Ältere sich besonders dann sozial zurückzuziehen und isolieren, wenn sie merken, dass ihre intellektuellen Fähigkeiten nachlassen. Im Rahmen einer Verlaufsanalyse spezieller Gruppen mit besonders hohem oder schnellem Gedächtnisverlust ergaben sich aber keine Hinweise, die diese Interpretation plausibel machen. Von daher erscheint es für die Forscher sehr viel wahrscheinlicher, dass das Ausmaß sozialer Kontakte und die damit einhergehenden Anforderungen Ursache sind für das mehr oder weniger gute Funktionieren intellektueller Leistungen im höheren Lebensalter. Der Befund erscheint ihnen auch gesundheitspolitisch und für Public Health Maßnahmen überaus bedeutsam, wobei zukünftig zu erforschen wäre, welche Art von Sozialkontakt und Kommunikation besonders positive Wirkungen innehat.

Hier ist ein Abstract der Studie: Ertel Karen A. u.a.: Effects of social integration on preserving memory function in a nationally representative US elderly population (American Journal of Public Health, July 2008, Vol 98, No. 7, 1215-1220)

Gerd Marstedt, 25.6.2008


"Geben ist seliger denn nehmen und bewahrt vor Alters-Depression": Langzeitstudie der Unterstützung von erwachsenen Kindern durch Eltern

Artikel 1232 Der Zusammenhang von sozialen Aktivitäten und Beziehungen und Gesundheit gehört zu den Grunderkenntnissen und argumentativen Eckpfeilern eines bio-psychosozialen und salutogenetischen Verständnisses von Gesundheit.

Ob und wie abhängig eine Erkrankung an Depression und besonders im höheren Lebensalter von der sozialen Aktivität als Eltern ist, untersuchten nun us-amerikanische Psychologen genauer und fanden unerwartete Wirkungen.

Obwohl die meisten Eltern der Meinung sind, ihre erwachsenen Kinder müssten materiell auf eigenen Füßen stehen und sie hätten ihre elterliche Verantwortung voll erfüllt, nimmt der Anteil von Eltern zu, die ihre erwachsenen Kinder finanziell oder mit anderen materiellen Gütern unterstützen (müssen). Dies hängt u.a. mit den Schwierigkeiten oder Langwierigkeiten zusammen mit denen jüngere Erwachsene zu kämpfen haben, um einen festen Arbeitsplatz zu erhalten.

Ob diese Art "Notsituation" nun Eltern so deprimiert, dass sie im Extremfall depressiv werden oder ob dies gesundheitlich spurlos an ihnen vorbeigeht, wurde in einer Längsschnittstudie mit 304 Eltern aus dem Projekt "University of Southern California Longitudinal Study of Generations", die überwiegend der weißen Mittelschicht und Arbeiterschicht angehören und im Alter zwischen 50 und 72 Jahren sind, näher untersucht. Jedes Elternteil wurde zufällig mit einem seiner Kinder zu einem Paar zusammengeführt. Die ForscherInnen maßen zu Beginn der Studie mit einem standardisierten Instrument ("Center for Epidemiologic Studies Depression Scale") Symptome für Depression und wiederholten diese Messung drei und sechs Jahre danach. Außerdem wurde bei jedem erwachsenen Kind erhoben, wie stark es von der Unterstützung der Eltern abhängig war.

Nachdem der mögliche Einfluss von Alter, Geschlecht, Einkommen, der selbst wahrgenommenen Gesundheit und weiterer Faktoren durch eine Standardisierung ausgeschlossen wurde, entdeckten die ForscherInnen bei Eltern, die ihre Kinder mit Geld und anderen materiell nützlichen Sachen unterstützten, eine deutlich geringere statistisch signifikante (p =.036) Wahrscheinlichkeit für eine depressive Erkrankung als bei Eltern, die solche Leistungen nicht erbrachten. Für einen möglichen Einfluss immaterieller Unterstützung wie dem Äußern von Komplimenten und von Ermunterungen der Kinder auf die mentale Gesundheit der Eltern gab es dagegen keinen signifikanten Hinweis.

Vom Aufsatz "When Parents Matter to Their Adult Children: Filial Reliance Associated With Parents' Depressive Symptoms" von Amy L. Byers, Becca R. Levy, Heather G. Allore, Martha L. Bruce und Stanislav V. Kasl in der Januar-2008-Ausgabe der Fachzeitschrift The Journals of Gerontology Series B: Psychological Sciences and Social Sciences 63: P33-P40 (2008) ist kostenfrei lediglich ein Abstract erhältlich.

Bernard Braun, 11.5.2008


Neue Studie zeigt sinkende Lebenszufriedenheit in den 40er Jahren - Ein Beleg für die Midlife Crisis?

Artikel 1132 Im Alltagsgespräch findet man ihn zuhauf, den Hinweis auf die "Midlife Crisis" insbesondere des Mannes. Hier ist fast immer auch die Vermutung präsent, dass Zukunftspessimismus und depressive Stimmungen in den 40er Jahren einer fast biologisch verankerten Gesetzmäßigkeit unterliegen. Wissenschaftliche Studien waren demgegenüber bislang eher widersprüchlich, in einigen fand man deutliche statistische Belege, in anderen äußerte nur eine Minderheit solche persönlichen Erfahrungen. Eine neue Studie hat nun aus sehr unterschiedlichen und sehr großen Datensätzen weltweit Hinweise erbracht, dass es sie möglicherweise doch gibt, die seelische Krise zur Lebensmitte.

In den Analysen von David G. Blanchflower und Andrew J. Oswald wurde überdies ein Effekt mitberücksichtigt, der die Ergebnisse früherer Studien verfälscht haben könnte: Der sogenannte "Kohorten-Effekt". Es könnte ja durchaus sein, so die Überlegung der beiden Forscher aus England und den USA, dass bei Daten, die nur zu einem Zeitpunkt erhoben worden sind, die aktuellen gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse nachhaltig durchschlagen. So kann man ja nicht davon ausgehen, dass Bevölkerungsgruppen im Alter von 18 bis etwa 25 Jahren immer besonders aufrührerisch oder anti-autoritär sind, nur weil im letzten Jahrhundert die 68er-Generation sich so verhielt.

Daher berücksichtigten sie in ihren statistischen Analysen auch diesen Kohorten-Effekt. Als Ergebnis für nahezu alle herangezogenen Datensätze fanden sie dann jedoch gleichwohl heraus: Die allgemeine Lebenszufriedenheit zeigt für fast alle untersuchten Länder und für Männer wie Frauen, den Verlauf einer U-Kurve. Etwa in der Lebensmitte - mit 45 Jahren - ist diese Zufriedenheit am niedrigsten ausgeprägt. Dass es sich dabei nicht nur um eine flüchtige und banale Stimmung handelt, sondern eher schon um eine seelische Krise, die teilweise auch in Depressivität umschlagen kann, zeigten Ergebnisse aus einer speziellen EU-Befragung, in der nicht die "Lebenszufriedenheit" erfasst worden war, sondern Indikatoren, die Hinweise auf seelische Erkrankungen geben.

Die Analyse der Wissenschaftler basiert auf:
• mehreren Erhebungen des "General Social Survey of the United States" im Zeitraum 1972-2006,
• der "Eurobarometer"-Umfrage der EU aus den Jahren 1976 bis 2002 mit insgesamt über 500.000 Teilnehmern,
• Daten aus vier Erhebungswellen des "World Values Survey" im Zeitraum 1981-2004, die in 25 Ländern weltweit durchgeführt wurde,
• einer speziellen Befragung des Eurobarometer, in der Fragen zu psychischen Beeinträchtigungen gestellt wurden.

Die Wissenschaftler erklärten: "Es ist egal, ob man Single ist oder verheiratet oder Kinder hat, ob man ein reicher Banker oder eine schlecht bezahlte Aushilfskraft ist. Es kann jedem passieren, ob Mann oder Frau". Lediglich bei US-Amerikanern fanden sie eine Abweichung vom internationalen Trend, Frauen erleben dort ihren seelischen Tiefpunkt mit 40, Männer erst mit 50 Jahren. Über die Ursachen und Hintergründe ihres Befundes treffen sie allerdings mehr als vage Aussagen, sie glauben, "dass der U-förmige-Verlauf von irgendetwas im Innern des Menschen herrührt." Eine Möglichkeit sei, dass Menschen in dieser Lebensphase erstmals sehr eindringlich merken, dass es für sie nicht erfüllbare und unrealistische Hoffnungen gibt.

• Die Studie erscheint in einer der kommenden Ausgaben von "Social Science & Medicine"
• Sie ist als PDF auch hier verfügbar auf der Homepage von Andrew J. Oswald: David G. Blanchflower, Andrew J. Oswald: Is Well-being U-Shaped over the Life Cycle?
• Und hier ist eine Pressemitteilung der University of Warwick: Researchers Find That Middle-Aged Misery Spans the Globe

Gerd Marstedt, 3.2.2008


Wir werden immer älter! Oder ist der Zenit der steigenden Lebenserwartung vielleicht schon überschritten?

Artikel 0795 "Wir werden immer älter, und die Lebenserwartung in Deutschland wird sich auch in den kommenden Jahrzehnten weiter erhöhen. Setzt sich der beobachtete Trend fort, so könnte die Lebenserwartung deutlich stärker ansteigen als es die offiziellen Prognosen vermuten lassen: Im Jahr 2050 läge sie hierzulande dann über 90 Jahre." So oder so ähnlich wie in dieser Meldung des Zentrums für Demografischen Wandel "Immer älter und kein Ende in Sicht" ist der Tenor der Zukunftsprognosen, in der Epidemiologie, der Demographie, der Gesundheitsökonomie und -politik. Die Heraufsetzung des Rentenalters wurde mit der unaufhaltsam steigenden Lebenserwartung ebenso begründet wie gesundheitspolitische Schreckens-Szenarios heraufbeschworen wurden: Die Krankheitskosten einer vermeintlich schon bald vergreisten Bevölkerung werden als nicht mehr bezahlbar dargestellt, so dass mehr privat finanzierte Vorsorge als unabdingbar empfohlen wird.

Ein wenig zu denken geben sollten in Anbetracht eines verklärten Blicks in die Zukunft, in der wir 80, 90 oder 100 Jahre alt werden, andererseits die in jüngster Zeit gehäuften Meldungen über eine immer kränkere Bevölkerung, die schon im Jugendalter adipös ist, im mittleren Alter aus lauter Diabetikern besteht und spätestens zu Rentenbeginn an Alzheimer oder Parkinson erkrankt ist. Denn schließlich sind schon unsere "Kinder in alarmierender Gesundheitsverfassung", meldet der Bielfelder Jugendforscher Klaus Hurrelmann. Forscher der John Hopkins Bloomberg School of Public Health in Baltimore sagten jetzt mithilfe einer Computersimulation auf der Basis von Bevölkerungsprognosen der Vereinten Nationen voraus, dass sich die Anzahl der Alzheimer-Erkrankten bis zum Jahr 2050 vervierfachen wird und wir einer globalen Alzheimer-Epidemie entgegensehen. Und die Weltgesundheitsorganisation hat bis zum Jahr 2030 einen Anstieg der Diabetes-Erkrankungen um 39 Prozent vorhergesagt, wobei dies noch eine deutliche Unterschätzung des Problems sein könnte. Denn nach einer Studie im Lancet ("Trends in diabetes prevalence, incidence, and mortality in Ontario, Canada 1995-2005: a population-based study" wurde im kanadischen Staat Ontario der vorhergesagte Wert bereits im Jahr 2005 überschritten.

Unaufhaltsam steigende Lebenserwartung trotz ebenso rasanter Verbreitung chronischer Erkrankungen? Offensichtlich ist der Glaube an den medizinisch-technischen Fortschritt und daraus resultierende zukünftige Heilungschancen für eine Vielzahl von Erkrankungen ebenso ungebrochen wie der feste Glaube, dass Präventionsmaßnahmen es schon richten werden. Nach dem Großangriff auf das Rauchen steht derzeit das Übergewicht auf der Agenda und weitere Kampagnen, nicht nur zum Alkohol-Abusus und Drogenkonsum sind absehbar. Leider fehlt es bislang an überzeugenden Belegen, dass die eingesetzten Präventionsmaßnahmen und Interventionsprojekte auch flächendeckend wirksam sein könnten.

Ein großes Fragezeichen hat jetzt eine US-amerikanische Studie hinter die These gesetzt, dass die Lebenserwartung zumindest in den westlichen Wohlstandsgesellschaften auch weiterhin nachhaltig anwächst. Die Wissenschaftler halten es für möglich (wenngleich ebenso unbewiesen wie die gegenteilige Annahme), dass der Zenit der steigenden Lebenserwartung bereits überschritten ist. An der University of Pennsylvania und der Carleton University verglichen sie bei einer Stichprobe von über 20.000 US-Amerikanern deren Angaben über den eigenen Gesundheitszustand miteinander. Dabei wurden verschiedene Jahrgangsgruppen einander gegenübergestellt. Begonnen wurde mit den Befragungen im Jahr 1992, alle zwei Jahre wurden die Umfragen wiederholt. Verglichen wurden so die Angaben von drei Geburtsjahrgängen: 1936-41 (heute etwa 66-71 Jahre alt), 1942-47 (heute 60-65) und 1948-53 (heute 54-59).

Im Vergleich der Antworten aus den drei Jahrgangsgruppen zeigten sich dann deutliche Unterschiede, und zwar derart, dass die heute Fünfzigjährigen in deutlich schlechterer gesundheitlicher Verfassung sind als es die übrigen beiden Generationen in diesem Alter waren, sie berichten über mehr Schmerzen und haben auch größere Schwierigkeiten mit einfachen körperlichen Alltagsverrichtungen (wie Treppensteigen, Heben von Lasten usw.). Überdies liegen bei ihnen nach eigener Angabe häufiger chronische Erkrankungen, psychische Störungen und auch Alkoholprobleme vor - im Vergleich zu früheren Generationen in derselben Lebens- und Altersphase.

Zwar könnte es sein, dass die festgestellte schlechtere gesundheitliche Verfassung auch ein Effekt einer anderen Wahrnehmung ist: Möglicherweise ist die Symptomtoleranz der Jüngeren niedriger, fühlen sie sich auch dann schon als "krank", wenn ältere Generationen dies lediglich als Unpässlichkeit definieren würden. Gleichwohl könnten die Studienergebnisse zumindest zu einer Diskussion beitragen, bei der der Fortschrittsoptimismus in Sachen Lebenserwartung nicht mehr als Automatismus wahrgenommen wird oder als selbstverständlicher Erfolg eines auch für die Zukunft absehbaren medizinisch-technischen Fortschritts.

• Hier ist eine Pressemitteilung mit den wichtigsten Befunden: Could Baby Boomers Be Approaching Retirement in Worse Shape Than Their Predecessors?
• Hier findet man ein Abstract der Studie: Cross-Cohort Differences in Health on the Verge of Retirement - National Bureau of Economic Research Working Paper (Die komplette Studie ist kostenpflichtig)

Gerd Marstedt, 11.7.2007


Einsamkeit im hohen Lebensalter erhöht das Risiko einer Alzheimer-Erkrankung

Artikel 0546 Wer im Alter keinen Partner mehr hat und allein leben muss, wer sich einsam fühlt und keine oder keine befriedigenden sozialen Kontakte hat, für den erhöht sich das spätere Risiko einer Alzheimer-Erkrankung. Dies stellten jetzt Wissenschaftler aus Chicago fest, die über 800 ältere Männer und Frauen (Durchschnittsalter 80) vier Jahre lang beobachtet und befragt hatten. "Einsamkeit" wurde dabei mehrfach, jeweils nach einem Jahr, anhand eines Fragebogens auf einer Skala von eins bis fünf ermittelt, darüber hinaus überprüften die Forscher Erinnerungs- und Denkvermögen sowie die Fähigkeit der Teilnehmes, Neues zu lernen. Bei Teilnehmern, die während des vierjährigen Beobachtungszeitraums starben, wurde außerdem nach ihrem Tode eine Obduktion durchgeführt und in mehrerer Gehirnregionen nach demenzbedingten Schäden gesucht.

Insgesamt erkrankten 76 Studienteilnehmer während der vier Jahre an Alzheimer. Unter diesen erkrankten Senioren fanden sich sehr viel mehr Teilnehmer, bei denen man zuvor höhere Werte auf der Einsamkeitsskala gefunden hatte. Mit jedem Punkt auf der Einsamkeits-Skala stieg das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, um etwa die Hälfte. Jene Gruppe, die sich besonders einsam fühlte (Skalenwert 3,2) hatte ein doppelt so hohes Risiko für die Erkrankung wie Studienteilnehmer mit einem sehr niedrigen Wert (1,4 Punkte). Die Ergebnisse der Obduktion und dort gefundene medizinische Indikatoren der Alzheimer Erkrankung zeigten allerdings keinen Zusammenhang zum festgestellten Einsamkeits-Wert. Ein Abstract des Aufsatzes in der Zeitschrift "Archives of General Psychiatry" (2007;64:234-240) findet man hier: Loneliness and Risk of Alzheimer Disease

Bereits im Jahre 2000 hatte eine Stockholmer Forschungsgruppe über ein ähnliches Ergebnis berichtet. Dort waren über einen Zeitraum von drei Jahren etwa 1200 Stockholmer Männer und Frauen, die zuhause lebten und zunächst keine Anzeichen einer psychischen Erkrankung aufwiesen, beobachtet worden. Auf der Basis von medizinischen Untersuchungen und psychologischen Tests wurde dann bei 176 Patienten eine Demenz diagnostiziert. Zugleich hatten geschulte Altenpfleger mit persönlichen Interviews festgestellt, wie es um die Einsamkeit und soziale Kontakte der Studienteilnehmer bestellt war. Es zeigte sich dann, dass Alleinlebende und Personen ohne engere soziale Bindungen ein zweifach höheres Risiko der Demenz-Erkrankung aufwiesen. Die Leiterin der Forschungsgruppe, Dr. Laura Fratiglioni, vom Stockholmer Forschungszentrum für Gerontologische Forschung, wies in ihrer Veröffentlichung auch noch einmal auf die Bedeutung dieser Ergebnisse für die kommunale Betreuung und Altenpflege hin: "Es ist wichtig, dass die Älteren in ihrer angestammten Wohnung und Umgebung bleiben können. Aber wir müssen uns auch darum kümmern, dass sie dort nicht einsam und völlig auf sich allein gestellt bleiben." Hier findet man ein Abstract dieser Veröffentlichung aus dem "Lancet" (Volume 355, Number 9212, 15 April 2000): Influence of social network on occurrence of dementia: a community-based longitudinal study

Gerd Marstedt, 6.2.2007


Handicaps im höheren Lebensalter: Neue Literaturübersicht des DZA

Artikel 0490 Unter dem Titel "Gesundheitszustand und gesundheitsrelevantes Verhalten Älterer" ist das zweite Heft der Reihe "GeroStat Report Altersdaten" erschienen. Diese Publikationsreihe des Deutschen Zentrums für Altersfragen (DZA) bietet mit aktuellen Zahlen und Hinweisen auf wichtige Datenquellen und Studien einen Überblick zu unterschiedlichen Lebensbereichen älterer Menschen. Anknüpfend an das 1. Heft der Reihe "Lebenserwartung, Mortalität und Morbidität" (PDF, 6 MB) stehen im aktuellen "GeroStat Report Altersdaten" vielfältige Daten zum Gesundheitszustand und Gesundheitsverhalten älterer Menschen im Mittelpunkt. Dabei werden unterschiedliche deutsche und internationale Datenquellen verwendet.

Mit der funktionalen und der subjektiven Gesundheit werden zwei Konzepte des Gesundheitsbegriffs vorgestellt, die eng zusammenhängen mit der Lebensqualität älterer Menschen. Die funktionale Gesundheit beschreibt, inwieweit ein Mensch mit seinen gesundheitlichen Gegebenheiten und trotz eventueller Einschränkungen Alltagsanforderungen bewältigen kann. Die subjektive Gesundheit ist dagegen ein Maß für die eigene Bewertung des Gesundheitszustandes. Sie kann für den Einzelnen von objektiv messbaren Gesundheitsparametern deutlich abweichen und trotzdem den Gesundheitszustand und die gesundheitsbezogene Lebensqualität unter Umständen genauer beschreiben als diese. Einige wichtige Aspekte des Gesundheitsverhaltens der Älteren werden im letzten Teil dieses Reports näher beleuchtet.

Die Daten verdeutlichen einige Einschränkungen und Handicaps im höheren Lebensalter, beispielsweise:
• Der Anteil derjenigen, die Schwierigkeiten beim Lesen einer Zeitung haben, steigt bei den über 75-Jährigen auf fast ein Drittel. Beim Erkennen von Personen auf der Straße sind es in dieser Altersgruppe 17 Prozent, die Probleme angeben.
• Hörverluste gehören ebenfalls zu den häufigsten chronischen Störungen des Alters. Im Bundesgesundheitssurvey 1998 bezeichneten sich 17 Prozent der 70- bis 79-jährigen Frauen und 31 Prozent der gleichaltrigen Männer als schwerhörig, darunter auch Befragte, die über ein Hörgerät verfügten. Ein Fünftel bzw. ein Viertel der über 75-jährigen Befragten gaben Schwierigkeiten an beim Hören während des Telefonierens bzw. während eines Gruppentreffens.
• Mobilitätseinschränkungen nehmen erwartungsgemäß mit dem Alter zu und werden vor allem im hohen Alter zu einem Problem für die selbständige Lebensführung. Ältere Frauen sind stärker als Männer von Einbußen ihrer Mobilität betroffen. Etwa jeder Vierte gab an, stark eingeschränkt zu sein beim Steigen mehrerer Treppenabsätze, beim Zurücklegen einer Strecke von mehr als einem Kilometer bzw. von mehreren Straßenkreuzungen

Das Heft beinhaltet Informationen zu folgenden Themen:
• Ausgewählten funktionalen Beeinträchtigungen (Sensorische Beeinträchtigungen - Sehen und Hören, Beeinträchtigungen der Mobilität, Aktivitätseinschränkungen im Alltag - ADL und IADL)
• Chronische Krankheiten und Multimorbidität
• Subjektive Gesundheit
• Gesundheitsrelevantes Verhalten (Nikotinkonsum, Körperliche Aktivität, Körpergewicht - Body Mass Index (BMI), Alkoholkonsum)

Die Studie (PDF, 28 Seiten) wird hier kostenfrei zum Download angeboten: GeroStat Report Altersdaten: Gesundheitszustand und gesundheitsrelevantes Verhalten Älterer

Gerd Marstedt, 17.1.2007


Können über 55-Jährige gesund und produktiv beschäftigt werden? Eine Frage, die bald beantwortet werden muss!

Artikel 0360 Auch wenn man sich das in Deutschland aktuell kaum vorstellen kann: Die Zeiten wo es nur in einer Minderheit von Betrieben Arbeitnehmer mit mehr als 50 Jahren gibt, werden als eine Wirkung des heftig beschworenen demografischen Umbaus bald vorbei sein. Allein um den Status quo der Produktion halten zu können, werden in wenigen Jahren erhebliche Teile der Erwerbsbevölkerung diesen Alters arbeiten müssen.
Dann wird aber auch eine heute mangels Notwendigkeit nur selten angesprochene Problematik extrem wichtig werden:
• Wie leistungsfähig und arbeitsfähig ist diese Altersgruppe und können diese Fähigkeiten verbessert werden?
• Welche spezifischen Fähigkeiten existieren bei älteren Arbeitnehmern und wie sieht die Komplementarität zu den anderen Fähigkeiten Jüngerer aus?
• Kommt man zu dem Schluss, dass Alterung nicht zwangsläufig Leistungsverlust und gesundheitliche Beeinträchtigung bedeutet, wie müssen dann Trainings aussehen, die z.B. für über 55-Jährige angeboten werden?

In den USA, wo der Anteil der über 55-jährigen Arbeiter an allen Erwerbstätigen für das Jahr 2014 auf mehr als 20 % geschätzt wird, ist gerade im Auftrag der American Association of Retired Persons (AARP) von Charness und Czaja der Forschungsbericht "Older Worker Training: What We Know and Don’t Know" erstellt worden.

Der Bericht beschäftigt sich mit zwei Themen:
• Welche Kenntnisse gibt es über die Zusammenhänge von Ausbildung und Fortbildung sowie Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit? Wie sieht die Fähigkeit älterer Erwachsener aus, neue Fähigkeiten zu erlernen und sich an andere Umgebungen anzupassen?
• Welche Themen und Fragen müssen angegangen werden um eine gesunde und produktive Beschäftigung für ältere Erwachsene zu fördern?

Wo es möglich ist, enthält der Bericht Leitlinien für Trainingprogramme für Ältere. Er stützt sich auf die Ergebnisse gründlicher Recherchen in der gerontologischen, psychologischen und humanwissenschaftlichen Literatur.
Alles in allem sind die Autoren auf dieser Basis optimistisch, dass Ältere viele der erwähnten Fähigkeiten mit spezifischer Unterstützung und Trainings erwerben können. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist aber, dass alle gesellschaftlichen Akteure u.a. durch derartige Berichte auf diese Herausforderung und ihre Wichtigkeit aufmerksam gemacht werden.

Hier finden Sie den 36-seitigen Bericht "Older Worker Training: What We Know and Don’t Know".

Bernard Braun, 2.12.2006


Alter und Erwerbstätigkeit: Gewünscht wird von Arbeitnehmern mehr Flexibilität

Artikel 0305 Eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung zum Thema "Beschäftigungsfähigkeit und Aktivität bis ins Alter" ist unlängst der Frage nachgegangen, welche Voraussetzungen aus Sicht der Erwerbstätigen erfüllt sein müssten, um bis zum 65. Lebensjahr und darüber hinaus einem Beruf nachzugehen. Untersucht wurde auch, welche Bereitschaft bei Erwerbstätigen zur Beteiligung an Maßnahmen zur Sicherung bzw. Stärkung der eigenen Beschäftigungsfähigkeit besteht,
welche Vorstellungen der Erwerbstätigen bezüglich des Übergangs von der Erwerbs- in die Nacherwerbsphase vorherrschen und welche Bereitschaft bei Erwerbstätigen zu einem über die Erwerbstätigkeit hinausgehenden gesellschaftlichen Engagement vorzufinden ist.

In der Umfrage wurden deutschlandweit im Mai 2006 insgesamt 1.001 abhängig beschäftigte Erwerbstätige befragt. Die Auswahl der Erwerbstätigen folgte einem Zufallsverfahren, die Befragung erfolgte anonymisiert auf der Grundlage eines standardisierten Fragebogens. Einige wichtige Ergebnisse der Befragung waren:

Flexible Gestaltung des Renteneintrittsalters: 6 von 10 Erwerbstätigen möchten ihren Renteneintritt im Alter zwischen 60 und 67 selbst bestimmen und wünschen sich eine flexible Gestaltung des Renteneintrittsalters. Hierfür wären sie bereit, entsprechende Rentenabschläge bei vorzeitigem Renteneintritt in Kauf zu nehmen.
Voraussetzungen für eine berufliche Betätigung bis zum 65. Lebensjahr: 70 Prozent der Erwerbstätigen wünschen sich mehr Anerkennung der eigenen Arbeitsleistung durch die Vorgesetzten und sehen hierin eine zentrale Motivation, um ihrer derzeitigen Berufstätigkeit bis zum 65. Lebensjahr nachzugehen. Ebenfalls für 7 von 10 Erwerbstätigen ist eine Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit ab einem bestimmten Lebensalter eine wichtige Voraussetzung für eine Tätigkeit bis zum 65. Lebensjahr.
Reduzierung der Arbeitszeit zum Ende der beruflichen Laufbahn: 77 Prozent der Erwerbstätigen möchten bis zum Erreichen des Renteneintrittsalters beruflich aktiv bleiben. Fast jeder Zweite (47 Prozent) wünscht sich dabei eine Reduzierung der bisherigen Arbeitszeit und würde gegebenenfalls eine Teilzeit-Beschäftigung vereinbaren.
Gesellschaftliches Engagement in der Nacherwerbsphase: 7 von 10 Erwerbstätigen wollen sich nach ihrer Pensionierung gesellschaftlich einbringen und engagieren.
Ökonomische Notwendigkeit einer Betätigung im Rentenalter: 7 von 10 Erwerbstätigen sehen für sich die Notwendigkeit, in der nachberuflichen Phase noch etwas dazu verdienen zu müssen.

Die komplette Studie kann bei der Bertelsmann-Stiftung bestellt werden (30 Euro).
Eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse (20 Seiten) kann hier heruntergeladen werden:
Älter werden - aktiv bleiben - Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage unter Erwerbstätigen in Deutschland

Gerd Marstedt, 13.11.2006


"Pflege ohne Druck" - Bayerische Studie zum Vorkommen und zur Prophylaxe von Dekubitus veröffentlicht

Artikel 0223 Ein Dekubitus ist eine durch länger anhaltenden Druck entstandene Schädigung der Haut und des darunter liegenden Gewebes. Nach vorsichtigen Schätzungen entwickeln in Deutschland jährlich mehr als 400.000 Menschen einen Dekubitus. Vornehmlich sind ältere, pflegebedürftige und vor allem immobile Menschen betroffen. Allein die Therapie von Decubitalulcera Grad III und IV verursacht jährliche Kosten von etwa 1 bis 2,1 Milliarden Euro.

Aus diesem Grund hat das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen im Rahmen der Qualitätssicherung in der ambulanten und stationären Altenpflege dem Thema Dekubitus einen besonderen Stellenwert eingeräumt und das Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO mit der Durchführung einer Untersuchung aller stationären Einrichtungen und ambulanten Dienste zum Thema Dekubitus beauftragt. In der vorliegenden Studie wurden erstmals flächendeckend Daten für das Bundesland Bayern zur Dekubitushäufigkeit, den Risikofaktoren sowie den in der Praxis eingesetzten prophylaktischen Maßnahmen und Therapien erhoben. Die
Erfahrungen der Pflegekräfte aus der Praxis bildeten wichtige Ansatzpunkte zur Identifikation von Verbesserungspotenzialen in der Dekubitusversorgung. Die Schlussfolgerungen und Empfehlungen der Studie beinhalten Impulse für eine bessere Versorgung von dekubitusgefährdeten Menschen.

Die Untersuchung liefert sehr detaillierte Daten und Informationen, angereichert durch Tabellen und Grafiken, zu den Themen: Dekubitusrisiko, Dekubitushäufigkeit, Risikofaktoren, Prophylaxe, Expertenstandard, Dekubitustherapie, Dokumentation, Fortbildung, Interdisziplinäre Zusammenarbeit, Hilfsmittelverordnung. Basis der Studie sind Fragebogen-Erhebungen bei allen stationären Plegeeinrichtungen und ambulanten Diensten in Bayern.

Der 146seitige Bericht ist jetzt kostenlos beim Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen als PDF-Datei herunterzuladen: Pflege Ohne Druck - Dekubitus: Ursachen der Entstehung, prophylaktische Maßnahmen und Rahmenbedingungen in der häuslichen und stationären Altenhilfe in Bayern

Gerd Marstedt, 28.12.2005


Nicht die Familie, aber Freundschaften erhöhen bei Älteren die Lebenserwartung

Artikel 0184 Eine australische Längsschnitt-Untersuchung über einen Zeitraum von 10 Jahren hat jetzt gezeigt, dass ein Netzwerk guter sozialer Kontakte und Freundschaften dazu beiträgt, die Lebenserwartung Älterer zu verlängern. Für familiäre Kontakte (Verwandte, Ehepartner, Kinder) konnte ein solch positiver Effekt auch bei sehr intensiven sozialen Beziehungen in der Familie nicht aufgezeigt werden. In die Studie einbezogen waren über 1.500 Teinehmer im Alter von 70 Jahren oder darüber. In Telephon-Interviews wurde seit dem Jahr 1992 wiederholt untersucht, welche Art und Qualität sozialer Kontakte bestanden: Telefonkontakte und persönliche Begegnungen, zu Kindern, Partnern und Freunden. Kontrolliert wurden in der Studie auch wichtige Rahmenbedingungen wie Schichtzugehörigkeit, Gesundheitszustand und gesundheitliches Risikoverhalten.

Als überraschendes Ergebnis zeigte sich, dass Senioren mit sehr intensiven Kontakten und einem dichten sozialen Netzwerk andere Senioren mit wenig Freunden nach einem Zeitraum von 10 Jahren um 22% überlebt hatten, das heißt: Die Sterbequote betrug in der Gruppe mit vielen Freunden nur 78% im Vergleich zu 100% in der Gruppe mit den wenigsten Freunden. Für die Intensität familiärer Kontakte hingegen konnten keine solchen Einflüsse festgestellt werden. Kontrolliert wurden auch Stressfaktoren und belastende Erfahrungen wie der Tod des Ehegatten oder der Gattin.

Eine der Wissenschaftlerinnen, Lynn Giles, erklärte zu den Ergebnissen, dass familiäre Kontakte nicht bedeutungslos seien. Eine separate Analyse hätte gezeigt, dass diese einen erheblichen Einfluss auf Behinderungen und Handicaps haben - allerdings nicht auf die Lebenserwartung. Dieser Effekt sei vermutlich daraus erklärbar, dass das soziale Netzwerk sehr starken Einfluss auf das Gesundheitsverhalten (Rauchen, Ernähtrung) habe, aber auch bedeutsam sei in Notfallsituationen, wenn medizinische Hilfe benötigt wird. Ebenso können Freundschaften sich sehr positiv auf das Lebensgefühl und die Selbstachtung auswirken.

Die Studie wurde durchgeführt am "Centre for Ageing Studies" an der Flinders University im australischen Adelaide. Sie basiert auf der "Australian Longitudinal Study of Ageing (ALSA)". Veröffentlicht wurde der Artikel im Journal of Epidemiology and Community Health, frei zugänglich ist ein Abstract: Effect of social networks on 10 year survival in very old Australians.

Eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse findet sich hier: News-Medical.Net: Make Friends, Live longer

Gerd Marstedt, 20.11.2005


Rente erst mit 67 oder 70? Daten und Fakten zur Erwerbsbeteiligung Älterer

Artikel 0119 Die Forderungen nach einer Heraufsetzung des Renteneintrittsalters auf 67 oder gar 70 Jahre tauchten in letzter Zeit vermehrt auf. Für die marode Finanzsituation des Sozialstaats und insbesondere der Rentenversicherung scheinen solche Vorschläge eine treffliche Lösung zu sein. Dass es sich um Augentäuscherei handelt, wird spätestens dann klar, wenn man sich Fakten zur Erwerbsbeteilung älterer Arbeitnehmer näher anschaut und auch die Gründe des vorzeitigen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben. Ein späterer Renteneintritt ist für eine überaus große Zahl von Arbeitnehmern aus gesundheitlichen Gründen gar nicht möglich. Eine Heraufsetzung des Rentenalters würde also keineswegs die Kassen der Rentenversicherung füllen, weil es mehr (ältere) Beitragszahler gibt, sondern allenfalls die Zahlungsverpflichtungen reduzieren, zu Lasten der Älteren.

Zwei umfangreiche Expertisen, erstellt für den 5.Altenbericht der Bundesregierung im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, dokumentieren ausführlich den Forschungsstand zur Erwerbsbeteiligung und gesundheitlichen Verfassung älterer Arbeitnehmer. Der Altenbericht selbst wird der Öffentlichkeit erst Anfang 2006 vorgestellt, die dazu erstellten Expertisen stehen jedoch als PDF-Dateien schon jetzt zur Verfügung: Expertisen zum Projekt "Potenziale des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft".

Der Bericht "Arbeiten ab 50 in Deutschland" wurde erstellt vom Institut "Arbeit und Technik" in Gelsenkirchen. Er geht anhand vieler Daten folgenden Fragen nach:
• Welcher Anteil der Personen ab 50 Jahren ist überhaupt erwerbstätig?
• Welche Formen und welchen Umfang hat die Alterserwerbstätigkeit? Bildet sie die hauptsächliche Existenzgrundlage oder dient sie dazu, andere Einkommensquellen (z. B. Rente) zu ergänzen?
• Wie verteilt sich die Alterserwerbstätigkeit nach Geschlecht, Qualifikationsniveau, Nationalität?
• In welchen Wirtschaftszweigen und Betriebsgrößen sind die Älteren erwerbstätig?
• Welcher Anteil der nicht Erwerbstätigen Älteren ab 50 Jahren würde gern arbeiten? Welche Art und welchen Umfang von Tätigkeit suchen sie?
Download der PDF-Datei (48 Seiten) "Arbeiten ab 50 in Deutschland"

Die Studie "Gesundheitliche Potenziale und Grenzen älterer Erwerbspersonen" wurde vom Deutschen Zentrum für Altersfragen, Berlin erstellt. Sie beschäftigt sich mit der Gesundheit älterer Erwerbspersonen. Hierbei finden neben der Gesundheit (Selbsteinschätzung Gesundheitszustand, Erkrankungen etc.) und dem Gesundheitsverhalten (Tabakkonsum, Sport, Übergewicht) auch die Arbeitszufriedenheit und arbeitsbedingte Belastungen Berücksichtigung.
Download der PDF-Datei (81 Seiten) "Gesundheitliche Potenziale und Grenzen älterer Erwerbspersonen"

Gerd Marstedt, 2.9.2005


Alterssurvey 2005: Gesundheit der später geborenen Älteren ist besser

Artikel 0069 Für den gerade der Öffentlichkeit vorgestellten "Zweiten Alterssurvey" wertete das Deutsche Institut für Altersfragen (DZA) mit Unterstützung des Bundesministeriums
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bundesweite repräsentative Umfragen unter den 40-bis 90-Jährigen aus den Jahren 1996 und 2002 aus. Damit sind zum ersten Mal für Deutschland erste Langzeitbeobachtungen über die Entwicklungen wichtiger Aspekte der Lebenssituation älterer Menschen möglich. Dazu zählen auch Gesundheit und Gesundheitsversorgung älterer Menschen.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse unterstreicht die Evidenz der so genannten "Kompressionshypothese" über das Auftreten von Krankheit mit zunehmender Lebenserwartung und verwirft eine empirische Evidenz für die so genannte "Medikalisierungshypothese": Jüngere Jahrgänge kommen mit einer besseren Gesundheit ins und durchs Alter als jene, die früher geboren wurden. Dies bedeutet, dass sich offensichtlich die Lebenszeit verlängert, ohne dass Ältere mehr Lebensjahre mit Krankheiten, Beeinträchtigungen und Pflegebedürftigkeit leben müssen.
Darüber hinaus belegen die Untersuchungen noch, dass Gesundheit/Krankheit nicht allein Folge des biologischen Alters ist und Prävention gegen Multimorbidität bereits im jüngeren Lebensalter notwendig ist.
Das Bild wird mit Daten über die Häufigkeit der gesundheitsbedingten Einbußen der Lebensqualität im Alter und der trotzdem geringer in Anspruch genommenen Rehabilitationsmaßnahmen angereichert.

Insgesamt, belegt der Zweite Alterssurvey, sind die meisten Senioren und Seniorinnen mit ihrer Situation einverstanden: Über 80-Prozent der 40-bis 85-Jährigen gab an, mit dem Leben zufrieden zu sein, jeder dritte befragte Person ist mit dem Leben sogar voll zufrieden. Zahlreiche Materialien zum Survey gibt es beim Deutschen Zentrum für Altersfragen
Ausgewählte Ergebnisse des 2. Alterssurvey zu Gesundheit und Gesundheitsversorgung im Alter bietet eine Broschüre des BMFSFJ

Bernard Braun, 7.8.2005


Behinderungen im Alter sinken "dramatisch"!

Artikel 0033 Die Häufigkeit chronischer Behinderungen der 65 Jahre und älteren US-Amerikaner verändert sich zwischen 1982 und 1999 dramatisch - sie sinkt!!! Dies ist das spektakuläre und so gar nicht zum weltweiten Lamento über das "wir werden immer älter und kränker" passende Ergebnis einer von Kenneth Manton und Xiliang Gu bereits 2001 vorgelegten empirischen Studie über die "Changes in the prevalence of chronic disability in the United States black and nonblack population above 65 from 1982 to 1999".

Nach den Daten des "National Long Term Care Survey (NLTCS)" fiel der Anteil der älteren behinderten Bevölkerung mit Einschränkungen der Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) altersstandardisiert zwischen 1982 und 1989 um jährlich 0,26 Prozent, zwischen 1989 und 1994 um jährlich 0,38 Prozent und zwischen 1994 und 1999 um jährlich 0,56 Prozent. Gegen Ende des Untersuchungszeitraums profitierte die schwarze Bevölkerung sogar etwas mehr als die nichtschwarze Bevölkerung (diese hatte aber auch eine bessere Ausgangsposition). Es gibt Hinweise auf Zusammenhänge von geringerer Behinderung und höherem Niveau schulischer Bildung.

Hier findet sich der Text der Studie von Manton und Gu

Bernard Braun, 26.7.2005


Älterwerden und Gesünderwerden - Utopie oder Wirklichkeit!?

Artikel 0032 Eine der meist empiriefreien Grundgewissheiten der Demografie-Debatte in Deutschland ist die Assoziation von längerer Lebenserwartung und höherer Krankheitslast. In einem weltweit einmaligen Forschungsprojekt des "National Bureau of Economic Research (NBER)" der USA, dem so genannten "Early Indicator Project", werden dieser und andere Zusammenhänge für das 20. Jahrhundert mit Lebensverlaufdaten von über 45.000 Armeeangehörigen in mehreren Studien genauer untersucht. Das Ergebnis der Studie "Long-Term Declines in Disability Among Older Men: Medical Care, Public Health, and Occupational Change" von Dora Costa lautet: "Functional disability (difficulty in walking , difficulty in bending, paralysis, blindness in at least one eye, and deafness in at least one ear) in the United States has fallen at an average annual rate of 0.6 percent among men age 50 to 74 from the early twentieth century to the early 1990s. Twenty-four to 41 percent of this decline is attributable to innovations in medical care, 37 percent to reduced chronic disease rates, and the remainder is unexplained. The portion due to reduced chronic disease rates can be subdivided into the 9 percent accounted for by reduced infectious disease rates (particularly rheumatic fever, malaria, typhoid, and acute respiratory infections), the 7 percent accounted for by occupational shifts away from manual labor and to white collar jobs, and the 21 percent that is unexplained."

Hier findet sich der Text der leider kostenpflichtigen Studie

Bernard Braun, 26.7.2005


Länger leben mit geringer Krankheitslast

Artikel 0029 Eine der meist empiriefreien Grundgewissheiten der Demografie-Debatte in Deutschland ist die Assoziation von längerer Lebenserwartung und höherer Krankheitslast. In einem weltweit einmaligen Forschungsprojekt des "National Bureau of Economic Research (NBER)" der USA, dem so genannten "Early Indicators Project", werden dieser und andere Zusammenhänge für das 20. Jahrhundert mit Lebensverlaufdaten von über 45.000 Armeeangehörigen in mehreren Studien genauer untersucht. Das Kernergebnis der Studie "Changes in the Process of Aging During the Twentieth Century Findings and Procedures of the Early Indicators Project" von Robert Fogel lautet dagegen: "Perhaps most striking, the average age of onset of various common chronic conditions increased by 10 years over an 80-year period, ..., while life expectancy increased by just 6.6 years. In sum, these facts suggest that Americans are not only living longer than in the past, but are also healthier throughout the life cycle, even in old age."

Damit liegt ein weiterer empirischer Beleg für die so genannte "compression of morbidity"-Hypothese vor. Diese geht davon aus, dass längere Lebenserwartung auch die Zunahme gesunder Lebensjahre bedeutet und die mögliche Krankheitslast sich am Ende des Lebenslaufes befindet oder gar nicht auftritt. Die "Medikalisierungs"-Hypothese behauptet stattdessen eine mit zunehmender Lebenserwartung ebenfalls zunehmende Anzahl von Lebensjahren mit Krankheit.

Hier findet sich der Text der (kostenpflichtigen) Studie Changes in the Process of Aging During the Twentieth Century Findings and Procedures of the Early Indicators Project

Bernard Braun, 26.7.2005