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"Vorsicht Röhre": Bildgebende Diagnostik zwischen Überversorgung und unerwünschten Folgewirkungen

Artikel 1817 Als empirische Belege für ein zum Teil anbieterinduziertes oder -gesteuertes Geschehen in der Behandlung von PatientInnen wurde schon immer die wachsende Anzahl und die zunehmende Häufigkeit des Einsatzes bestimmter diagnostischer Prozeduren oder Verfahren genannt. Dabei ging es nicht nur um die absolute Anzahl einzelner Untrersuchungen, sondern insbesondere um so genannte Diagnose-Kaskaden im Bereich der bildgebenden Verfahren. Die Aneinanderreihung mehrerer bildgebenden Verfahren bzw. Techniken entspringt nicht nur einer Strategie des "Auf-Nummer-Sicher-Gehens", sondern dient unter geeigneten Vergütungsordnungen auch der Optimierung ärztlicher Einkünfte und natürlich dem Umsatz der Medizintechnik-Industrie. Gegen diese kritische Beurteilung wird eingewandt, es handle sich zum Teil darum den Einsatz potenziell gesundheitsschädigender Verfahren zu vermeiden oder der gesundheitliche Nutzen würde durch Diagnosekaskaden erhöht.

Schon welche Verfahren und Untersuchungen aber wirklich neben- oder nacheinander zum Einsatz kommen und welchen Nutzen oder gar Schaden dies für PatientInnen hat, ist immer noch nicht sehr gut empirisch belegt.

2008 hatte eine Gruppe von Gesundheitswissenschaftler aus den USA untersucht, wie viele bildgebende Untersuchungen bei 377.048 Patienten einer großen Krankenversicherung von 1997 bis 2006 insgesamt durchgeführt wurden. Absolut waren es 4,9 Millionen einzelne Untersuchungen oder Tests. Die Anzahl aller bildgebenden Untersuchungen verdoppelte sich im Querschnitt während dieses Zeitraums von 260 auf 478 Untersuchungen pro 1.000 Versicherte und pro Jahr. Während sich speziell die Computertomographie-Untersuchungen (CTs) ebenfalls "nur" verdoppelten, verdreifachte sich etwa die Häufigkeit von Magnetresonanzuntersuchungen (MRI). Hinter der Zunahme verbirgt sich sowohl eine Zunahme der Anzahl der Personen, die überhaupt mit einem bildgebenden Verfahren untersucht wurde, als auch die Zunahme der Anzahl von UNtersuchungen pro einzelnem Patienten. Fast 5 % der Patienten wurden mehr als fünfmal pro Jahr diagnostiziert.

Die Autoren überprüften mit ihren Daten die immer wieder vorgetragene Hypothese, hinter der Zunahme der Bilddiagnostik stecke die Zunahme der Prävalenz bestimmter Erkrankungen, fanden dafür aber keinen empirischen Beleg. Sie untersuchten ferner die Hypothese, finanzielle Vorteile für die untersuchenden Ärzte führten zu Zuwächsen beim Einsatz bestimmter, teurer Verfahren. Obwohl sie direkte Zusammenhänge eher ausschließen, halten sie es für möglich, weitgespannte finanzielle Anreize auf die Mitglieder der "radiology community" "could affect clinical practice standards". Und schließlich untersuchen die Autoren eine Verbindung von mehr Diagnostik mit besseren Behandlungsergebnissen. Weder für diese Verbindung noch für ihr Fehlen liefert aber die vorlegende Studie ausreichend empirische Evidenz. Für gesichert halten sie aber die These, die enorm wachsenden Kosten dieser Diagnostik "are rising out of proportion to any possible benefit".
Warnend weisen die Forscher abschließend auf die enorme Zunahme der Strahlenbelastung insbesondere durch CT-Untersuchungen hin.

Zusätzlich und ganz aktuell liegen nach der Analyse des Umfangs und der Art des diagnostischen Geschehens bei 101.000 durchschnittlich 76 Jahre alten Krebspatienten zwischen 1999 und 2006, die bei der staatlichen Krankenversicherung der USA für ältere BürgerInnen, Medicare, versichert waren, noch differenziertere und vor allem indikationsbezogene Daten zum Diagnostikgeschehen vor. Dies gilt für einen Zeitraum von 2 Jahren nach der Erstdiagnose von Leukämie, Non-Hodgkin-Lymphsystemkrebs, Brustkrebs, Darm-, Lungen- oder Prostatakrebs.
Die Studie bestätigte zunächst, dass die Ausgaben für bildgebende Untersuchungen in den USA die am schnellsten wachsende Ausgabenart ist. Die Häufigkeit von bildgebenden Untersuchungen variierte je nach Krebsart erheblich. Am häufigsten wurden diese Untersuchungen bei Personen durchgeführt, die an Lungenkrebs unhd Lymphsystemkrebs erkrankt waren.

Die Ergebnisse sahen im Einzelnen so aus:

• Der durchschnittliche Lungenkrebspatient des Jahres 2006 durchlief in den zwei Jahren davor 11 konventionelle Röntgenuntersuchungen, 6 Computertomogramme, 1 Positronen-Emissions-Tomogramm (PET), einen nuklearmedizinischen Test, 1 Magnetresonanzuntersuchung (MRI), 2 Echokardiogramme und eine zusätzliuche Ultraschalluntersuchung.
• Das größte Wachstum erreichte die Anzahl der PET-Untersuchungen, die im Durchschnitt und je nach Krebsart um 36 bis 54 % pro Jahr wuchs. Zum Vergleich: MRI-Untersuchungen wuchsen jährlich um 4 bis 12 %, der Einsatz von Echokardiographie wuchs zwischen 5 und 8 % und die einfachen kardiographischen Untersuchungen nahmen in einigen Jahren sogar ab oder blieben im Rest des Untersuchungszeitraums stabil.
• Je nach Krebsart stiegen die Kosten für diese Diagnoseverfahren, wiederum in Abhängigkeit von der Krebsart, zwischen 5 und 10 %. Damit lagen die Kostenzuwächse für bildgebende Verfahren über denen für die gesamten Krebsbehandlungskosten: Diese stiegen in den 7 Studienjahren jährlich um 2 bis 5 %.

Als Erklärungsmöglichkeiten verweisen auch diese ForscherInnen u.a. auf die Möglichkeit erweiterter Indikationen hin, was ihres Erachtens besonders die Zunahme der PET-Untersuchungen erklären könnte.
Für sämtliche untersuchten Indikationen ist schließlich trotz der unbestreitbaren Relevanz solchen Wissens weiterhin unklar, ob das dramatische Ansteigen der Untersuchungshäufigkeit durch bessere gesundheitliche Ergebnisse gerechtfertigt ist - was ja immerhin eine wichtige Basis für inhaltliche Entscheidungen darstellen würde.

Selbst auf der eher technik- und industriefreundlichen Website "diagnosticimaging.com" wird daher die Frage gestellt: "Is imaging being overused on Medicare cancer patients?" Auch wenn es darauf keine eindeutig bejahende Antwort gibt, referiert der Autor den Hinweis der ForscherInnen der Duke-Universität, dass wahrscheinlich beim Großteil der jüngeren Krebspatienten noch deutlich häufiger diagnostische Verfahren zum Einsatz kämen als bei den über 70 Jahre alten Medicare-PatientInnen.

Zum Aufsatz mit den Ergebnissen der 2008 durchgeführten Studie "Rising Use of diagnostic medical imaging in a large integrated health system" von Rebecca Smith-Bindman, Diana Miglioretti und Eric Larson (Health Affairs; 27, Nr. 6: 1491-1502) gibt es kostenlos lediglich ein Abstract.

Auch zu dem Aufsatz "Changes in the use and costs of diagnostic imaging among Medicare beneficiaries with cancer 1999-2006" von Dinan MA et al. (JAMA. 2010;303(16):1625-1631) gibt es kostenlos nur das Abstract.

Bernard Braun, 5.6.10