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Überversorgung mit Medizintechnik durch Anbieterdruck und Fehleinschätzung des Bedarfs. Beispiel häusliche Defibrillatoren!

Artikel 1211 Es vergeht selten ein Monat, in dem nicht kometenartig ein Gerät, ein Arzneimittel oder eine ärztliche oder nichtärztliche Leistung in der öffentlichen Diskussion auftaucht, einer Vielzahl von Erkrankten umfassende Hilfe versprochen und nach Geldmitteln gerufen wird. Es nicht zur Verfügung zu stellen erschiene unmenschlich und bekäme sofort das Etikett der "Rationierung" bzw. Vorenthaltung medizinisch notwendiger Leistungen aufgeklebt.

Dazu gehört auch der so genannte automatische externe Defibrillator (AED), der nicht nur an möglichst vielen öffentlichen Orten, sondern am besten auch in jedem Haushalt vorhanden sein sollte, in dem ein Risikopatient wohnt und in denen drei von vier plötzlichen Herzstillständen stattfinden, mithin Leben gerettet werden könnten.

Der AED ist ein medizinisches Gerät, das "durch gezielte Stromstöße Herzrhythmusstörungen wie Kammerflimmern und Kammerflattern (Defibrillation) oder ventrikuläre Tachykardien, Vorhofflimmern und Vorhofflattern (Kardioversion) beenden" (Wikipedia) kann, also eindeutig lebensrettende Wirkungen hat. Bei 85% aller plötzlicher Herztode liegt nämlich anfangs ein Kammerflimmern vor.

Defibrillatoren gibt es als externe Geräte in einer manuellen und automatischen Version. Letztere erkennt automatisch, ob es sich überhaupt um ein Kammerflimmern handelt und Stimulation notwendig ist. Außerdem existieren implantierbare automatische Defibrillatoren.

Da die Ausstattung jeder Risikopatientenwohnung mit einem Gerät für alle Beteiligten eine teure Angelegenheit wäre, liegt nahe, den individuellen wie kollektiven Nutzen dieses neuen "Haushaltsgeräts" genau zu ermitteln. Dies geschah in dem hauptsächlich in angelsächsischen Länder durchgeführten "Home Automated External Defibrillator Trial" (HAT). Diese rund drei Jahre laufende Studie sollte untersuchen, ob sich eine Aufstellung der Geräte in Wohnungen von Risikopatienten gesundheitlich lohnt bzw. es eine kosteneffektive Maßnahme wäre. An der HAT-Studie beteiligten sich 7.001 Patienten, die aufgrund eines Vorderwandinfarktes gefährdet sind, jederzeit ein tödliches Kammerflimmern (Kammerarrhythmie) zu erleiden, deren Prognose aber nicht so schlecht war, dass die Indikation für einen internen Kardioverter-Defibrillator bestand.

Eine weitere Voraussetzung zur Teilnahme war, dass die Patienten mit einem Partner zusammenlebten, der bereit war, eine Reanimation durchzuführen, da dies der Patient im Versorgungsfall nicht mehr selber machen kann. Diese Partner wurden angewiesen, im Fall eines Kollapses den Notarzt zu rufen und eine Laien-Reanimation zu beginnen. Jedes zweite Paar wurde mit einem AED ausgerüstet. Die Partner lernten das Gerät zu bedienen, und die Forscher erhofften sich eine deutliche Reduktion der kardialen Todesfälle.

Diie ERgebnisse der Studie wurden jetzt in der Ausgabe der angesehenen Fachzeitschrift "New England Journal of Medicine" vom 1. April 2008 veröffentlicht.

Danach trat die erwartete Reduktion nicht ein, was an mehreren unerwarteten Faktoren lag:

• Die Sterblichkeit unter den StudienteilnehmerInnen war deutlich niedriger als erwartet (37 von 470 Patienten) und nur jeder dritte (160 Fälle oder 35,5%) verstorbene Teilnehmer starb an den Folgen eines nicht behandelten Kammerflimmern. Nach Meinung der WissenschaftlerInnen war dafür u.a. die wirksame medikamentöse Behandlung der Risikopatienten verantwortlich.
• Weitere Gründe für die geringe Wirksamkeit eines häuslichen AEDs waren aber im Wesentlichen soziale Gründe: So starben nur 117 der 160 Gestorbenen in Reichweite des häuslichen Gerätes. Lediglich bei 58 verstorbenen Patienten war ein zwingend notwendiger Sachkundiger bzw. Angehöriger anwesend. Bei 32 Patienten wurde aber schließlich der AED genutzt und entdeckte dann auch in 15 Fällen ein Kammerflimmern und löste bei 14 Personen eine Defibrillation aus. Vier Patienten oder 28,6% überlebten das Ereignis. Da das Gerät auch noch in zwei Fällen in der Nachbarschaft eingesetzt werden konnte, erhöht sich die Anzahl der geretteten Leben auf insgesamt 6.
• In den Fällen von gefährdeten Patienten, in denen das Gerät überhaupt zum Einsatz kam, liegt die Erfolgsrate von rund 12,5% (4 bei 32 Patienten) höher als die in der bisherigen Gesamtversorgung berichteten 2% oder die 6%, die im allgemeinen in Notfallstationen erreicht werden.

Auch wenn man in Rechnung stellt, dass die Ergebnisse der Studie nicht uneingeschränkt verallgemeinerbar sind (z.B. erhielten auch die Angehörigen in der Kontrollgruppe Grundzüge des Umgangs mit Herzkammerflimmer-Patienten vermittelt), würde eine flächendeckende Ausstattung von Risikopatient-Haushalten nur sehr wenige Menschenleben retten. Daher sollten die möglicherweise hier eingesetzten Geldmittel an anderen, wirksameren Orten eingesetzt werden.

Der Aufsatz "Home Use of Automated External Defibrillators for Sudden Cardiac Arrest" von Gust H. Bardy et al. ist kostenlos in einer kompletten PDF-Version erhältlich.

Bernard Braun, 21.4.2008