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Gesundheitssystem
Finanzierung und Kosten, Lohnnebenkosten


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Wie drückend und standortgefährdend ist die Steuer- und Sozialabgabenquote Deutschlands 1975-2007? OECD-Bericht entdramatisiert

Artikel 1372 Auch wenn dies in dem Monat, in dem eine deutsche Bundesregierung innerhalb einer Woche aus der "Steuerlast" mindestens 400 Milliarden Euro mobilisiert, um zwischen den deutschen Banken wieder Vertrauen einkehren zu lassen, gerade nicht passt, gab es und wird es bald wieder den bitterernsten Diskurs über die immer unerträglicher alle privatwirtschaftliche Initiativen und den "Wirtschaftsstandort Deutschland" belastende Steuer- und Abgabenlast in Deutschland geben. Und es wird bald wieder heißen, "wir" könnten "uns" das eine oder andere öffentliche Gut nicht mehr leisten, weil durch seine Finanzierung die Steuer- und Abgabenlast noch weiter erhöht würde.

Passend dazu veröffentlichte die OECD gerade für ihre Mitgliedsländer und den Zeitraum 1965 bis 2006/2007 einen Überblick zur Entwicklung der Steuer- und Abgabensummen und -quoten, deren absolute Werte und Anteil an der im Bruttoinlandsprodukt (BIP) zusammengefassten Wirtschaftsleistung. Diese Publikation, die OECD "Revenue Statistics 1965-2007", kommt dabei zu einem wesentlich differenzierten und zum Teil völlig anderen Bild über die Entwicklung in Deutschland als dies in dessen Standortdebatte an die Wand gemenetekelt wird.

Um die Daten richtig interpretieren zu können ist wichtig, dass die OECD unter den Begriff "taxes" oder "tax revenue" eine Reihe von Steuern und Abgaben zusammenführt. Hinter "taxes" verbergen sich also richtige Steuern auf Einkommen, Gewinne, Vermögen, Honorare, Konsum und andere richtige Steuern sowie die Pflichtbeiträge von Beschäftigten und Arbeitgeber für die soziale Sicherung.

Die zentralen Ergebnisse der Berechnungen der OECD sehen so aus:
• Die gesamte Steuer- und Abgabequote (Prozentanteil der "taxes" am BIP) bewegt sich in Deutschland zwischen 34,3 % (1975), Maxima von 37,2 % (1995 und 2000) und 35,6 % (2006) wie 36,2 (2007 vorläufiges Ergebnis). 2005 war ein Zwischentief von 34,6 % erreicht. Während Deutschland sich 1975 noch deutlich über dem OECD-Durchschnittswert von 29,4 % befunden hat, liegt es in den letzten Jahren knapp über (2005=35,8 %) oder knapp unter diesem Wert (2006=35,9 %). Vergleicht man Deutschland mit den EU15-Ländern liegt es in den letzten 10 Jahren konstant und deutlich unter deren Durchschnittswert von 39 % (1995), 40,6 % (2000), 39,7 % (2005) und 39,8 % (2006). 1975 lag dagegen der deutsche Wert noch ebenso deutlich über dem EU15-Wert von 32,2 %.

• Die Steuerbelastung von Einkommen und Gewinnen in Anteilen am BIP liegt in DEutschland seit 1990 konstant unter dem Wert aller OECD-Länder und sogar deutlich unter dem der EU15-Länder. 2006 betrug dieser Wert in Deutschland 10,8 %, in der OECD 13 % und im EU15-Bereich 13,8 %.

• Ebenfalls eher undramatisch sieht die Empirie bei den Pflicht-Sozialabgaben (Anteil am BIP) aus. Sie fallen nach einem Anstieg von 8,5 % (1965) auf 14,5 % (1995 und 2000) über 13,9 % (2005) auf 13,7 % (2006). In der gesamten OECD steigt dieser Wert kontinuierlich von 4,6 % (1965) auf 9,1 % (2005 und 2006). Bei den EU15-Ländern fällt die Sozialabgabenquote von einem Allzeit-Hoch von 11,4 % (1995) auf 11,1 % (2005 und 2006). Überlegt man sich, dass in mehreren Ländern die soziale Sicherheit überwiegend aus Steuern finanziert wird, wirkt der relativ hohe Sozialabgabenwert nicht mehr dramatisch, sondern sogar relativ günstig.

• In einer Reihe von vergleichenden Übersichten zur Veränderung der gesamten Steuer- und Abgabenquote oder einzelner Komponenten der "taxes" in den Jahrzehnten zwischen 1975 und 2005, platziert sich Deutschland immer im mittleren oder unteren Bereich der Veränderungsraten. So nimmt z.B. der Anteil der gesamten Steuern und Abgaben am BIP in der OECD zwischen 1975 und 2006 um 1,2 Prozentpunkte zu. Beim Spitzenreiter Island stieg dieser Wert um über 10 Prozentpunkte während er beim Schlusslicht Slowakei um fast 7 Prozentpunkte abnahm. Deutschlands Wert nahm ebenfalls ab und zwar um fast 2 Prozentpunkte. Nur noch in den Niederlanden, Kanada, Finnland, Polen und Ungarn war die Abnahme höher, während sie z. B. in den USA oder Großbritannien mehr oder weniger kräftig zunahm.

Wer sich in den Bericht weiter vertieft wird eine Fülle von Status quo-Daten und Entwicklungsreihen finden, die das hier gezeichnete Bild anreichern und auch weiter differenzieren. Was die Daten in keinem Fall bestätigen, ist die Berechtigung für eine Überdramatisierung der Lage des Wirtschaftsstandorts Deutschland im direkten Vergleich mit auf dem Weltmarkt konkurrierenden OECD-Volkswirtschaften aufgrund von Steuern und Abgaben. Forderungen, den Standort durch einen Abbau dieser Quoten zu stärken, sind ebenfalls in keinem Fall aus den OECD-Daten abzuleiten.

Diese Schlussfolgerungen gelten auch dann, wenn man der geäußerten und zum Teil auch berechtigten Kritik an den Datenkörpern der OECD (z.B. unterschiedliche nationale Statistiksysteme) für den Vergleich derartig vieler Länder eine bestimmte Berechtigung einräumt.

Den in englischer und französischer Sprache verfassten und mit einem umfangreichen statistischen Anhang versehenen 365-Seiten-Bericht "Revenue Statistics 1965-2007 - Statistiques des recettes publiques 1965-2007" gibt es als PDF-Datei kostenlos.

Bernard Braun, 24.10.08